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Der eigentliche Sinn von Tourismus

Rede von Ilja Seifert,

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren!

Auf 70 schön gestalteten Seiten lobt sich die Bundesregierung im Tourismuspolitischen Bericht für ihr unermüdliches Tun. Der Bericht quillt geradezu über von Rekordzahlen. Ich muss mich an dieser Lobhudelei nicht beteiligen, sondern kann gleich zur Sache kommen. Der Bericht reiht akribisch aneinander, was in welchem Ressort wann getan wurde, das man irgendwie dem Tourismus zurechnen könnte.

(Zuruf von der FDP: Fleißarbeit!)

– „Fleißarbeit“ können Sie ruhig sagen. – So meint die Bundesregierung der Querschnittsaufgabe Tourismuspolitik gerecht zu werden. Dann stellt sie fest, dass eine große Menge der Kompetenzen in den Ländern liege. Da könne sie sowieso nichts tun, zumal die Tourismuswirtschaft ohnehin mittelständisch geprägt sei, und da müsseman sowieso die Marktkräfte walten lassen. Und – die Rekordzahlen belegen es – sie obwalten wunderbar.

Eine Regierung hat aber nicht die Aufgabe, nur zusammenzuzählen und artig aufzuschreiben, was so im Lande geschieht. Sie soll gestalten. Sie soll Konzepte entwickeln und daraus Maßnahmen ableiten. Für den Tourismusbereich hieße das, nicht nur philosophierende Leitlinien vorzulegen, sondern ihnen auch Gestaltungskraft zu geben. Das, was jedoch fehlt, ist der Gestaltungswille. Hätte ihn diese Regierung, müsste er irgendwie erkennbar sein – ist er aber kaum. Weil diese schwarz-gelbe Koalition nicht einmal ernsthaft von Tourismuspolitik spricht, braucht man sich auch nicht zu wundern, dass sie nur die Tourismuswirtschaft kennt. So kommt es, dass zwar die 2,9 Millionen direkt in der Tourismuswirtschaft Beschäftigten manchmal erwähnt werden – das hat auch Kollegin Mortler wieder getan –, wenn die Bedeutung dieses Zweiges für die Volkswirtschaft hervorgehoben werden soll. Wenn aber nach den Arbeitsbedingungen gefragt wird, dann sind die Angaben dürftig. Dabei wäre es eine erstrangige Aufgabe, sich für ganzjährige und existenzsichernde Löhne sowie für familienverträgliche Arbeitsbedingungen zu engagieren. Aber: Fehlanzeige!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der einseitige Blick auf die Wirtschaft verstellt auch die Sicht auf den eigentlichen Sinn von Tourismus. Der besteht nämlich nicht darin, der Tourismuswirtschaft eine Wertschöpfungskette zu basteln. Nein, die eigentliche Aufgabe besteht darin, Menschen mit und ohne Behinderungen zu ermöglichen, sich zu erholen, zu entspannen,sich die Welt anzuschauen, ihre Gesundheit zu stärken, andere Kulturen kennenzulernen, vielfältige Freizeiterlebnisse zu haben usw. Immerhin – Kollegin Mortler hat es gerade gesagt –: Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft unterzeichnete im Oktober 2012 den Ethikkodex der UNWTO – 13 Jahre nach dessen Verabschiedung. DIE LINKE hat das schon lange gefordert. Aber genau in diesem Kodex sind die Aufgaben, die ich gerade nannte, kodifiziert. Dass deren Erfüllung auch Wertschöpfung zulässt, bleibt unbenommen; klar. Aber die Prioritäten müssen stimmen. Hier fehlt das Primat der Politik vor der Wirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Tourismuspolitik braucht Koordination auf mehreren Ebenen, auch innerhalb der Bundesregierung. Eine weitere Ebene, die der Koordination – eigentlich auch der Kooperation – bedürfte, ist die zwischen und mit den Bundesländern. Beides funktioniert aber nur unzureichend. Das eine nennt man Föderalismus. Ich sage: Kleinstaaterei. Das andere nennt man Ressorthoheit. Ich sage: Gartenzaundenken.

Die aktuelle Jahrhundertflut zeigt doch zum Beispiel an der Elbe, dass man sich bisher nicht einmal auf einheitliche Deichhöhen beiderseits desselben Flussabschnitts einigen konnte. Zu den Leidtragenden gehören auch viele touristisch geprägte Kommunen in meinem Bundesland Sachsen. Wer eine Querschnittsaufgabe richtig angehen will, braucht auch Querschnittszuständigkeiten. Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass ich seit Jahren ein starkes Tourismusministerium fordere. Aber ich könnte mir auch eine andere Organisationsform vorstellen, beispielsweise eine Tourismusbeauftragte oder einen Tourismusbeauftragten, die oder der wirklich mit Kompetenzen und Befugnissen ausgestattet wäre.

(Zuruf von der FDP: Haben wir doch!)

Der jetzige Amtsinhaber ist zwar ein sympathischer Zeitgenosse – keine Frage, wir verstehen uns gut –, aber wirkliche Gestaltungsmacht hast du nicht, lieber Ernst Burgbacher. Ansonsten früge der Beauftragte, wie sich denn diese oder jene Maßnahme in das Tourismuskonzept der Bundesrepublik einfüge. Und wenn sie damit nichts zu tun hätte, dann könnte er Umwidmungen erreichen. Aber: Fehlanzeige! Ein unbefriedigendes Beispiel zeigt sich im Kinder- und Jugendtourismus. In der Debatte zum Antrag der LINKEN zum sozialen Tourismus verweisen Sie angesichts der Tatsache, dass immer mehr Kinder und Jugendliche aus finanziellen Gründen nicht mehr in den Urlaub fahren können, auf die Möglichkeit der Bezuschussung von Schulfahrten. Diese ersetzen aber keinen Familienurlaub. Wir brauchen beides.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):

Ja? – Ich sehe: Es blinkt. Entschuldigen Sie, liebe Präsidentin. Ich komme zum Schluss. Ich hätte noch etliche Beispiele aufzuführen, wo Sie keine Gestaltungskraft aufbringen. Aber ich darf sagen: Die Linke steht für einen sozialen, ökologischen und barrierefreien Tourismus, an dem alle teilhaben können. Wir werden daran auch in der Zukunft weiter arbeiten. Eines will ich noch sagen: Der Tourismusausschuss ist ein Beispiel dafür, dass über die Fraktionsgrenzen hinweg gut zusammengearbeitet werden kann. Das will ich durchaus positiv hervorheben.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das musste noch gesagt werden!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich habe den Eindruck, dass der Tourismus eine relativ zeitaufwendige Sache ist.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ja! Aber eine schöne, Frau Präsidentin!)