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Der Bildungsetat der Bundesregierung manifestiert soziale Selektivität, anstatt sie zu bekämpfen

Rede von Nicole Gohlke,

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen,

dieser Bildungshaushalt markiert keinen Aufbruch – er ist pure bildungspolitische Stagnation!

Die Regierung findet für sich selbst lobende Worte und behauptet, man bewege sich auf die oft beschworene „Bildungsrepublik“ zu.
Sie sind ja dermaßen leicht zufrieden zu stellen – Ihnen reicht es offenbar schon aus, dass der Bildungshaushalt nicht – wie andere Haushaltsposten – auch noch abgeschmolzen wird. Die Frage ist aber nicht, ob die Regierung zufrieden gestellt ist, sondern, ob es die Menschen sind.
Und ich sage Ihnen: für die jungen Menschen, die Schülerinnen und Schüler, für die Studierenden und Auszubildenden ist es eine Katastrophe, wie Sie die Augen verschließen vor den Problemen.

Aber ich bin sicher – die Studierenden und Schülerinnen und Schüler, werden sie schon noch darauf aufmerksam machen - offenbar brauchen Sie erst immer eine Protestbewegung, bevor Sie politisch etwas dazu lernen.
In meinem Bundesland Bayern kommt ja sogar die CSU in Folge der Bildungsproteste und im Angesicht der politischen Niederlage zu ganz ungeahnten Einsichten und will jetzt die Studiengebühren abschaffen.

Die LINKE sagt „Nein“ zu diesem Haushalt, und ich sage Ihnen auch warum:

Erstens: Er verwaltet den Mangel, er bietet aber weder dem Bildungs- noch dem Wissenschaftssystem eine Zukunft.
Zweitens: Die finanziellen Aufstockungen kommen nicht da an, wo sie am dringendsten gebraucht werden, sondern Sie schieben das Geld wieder in „Elite-“ und Standort-Projekte.
Und drittens: damit verfestigt diese Regierung auch im Bereich Bildung die soziale Spaltung in der Gesellschaft, und das ist eine gesellschaftspolitische Katastrophe!

Was ist der Stand der Dinge?
In den letzten Monaten gab es gleich mehrere Untersuchungen, die wieder einmal belegt haben, wie sehr die soziale Herkunft den Bildungserfolg in der Bundesrepublik bestimmt – da die Bundesregierung die Ergebnisse nicht mehr präsent zu haben scheint, zitiere ich mal ein paar:

Die Studie „Aufstiegsangst“ der vodafone-Stiftung sagt: Die Studie „Aufstiegsangst“ der vodafone-Stiftung sagt: Die Chance von Kindern aus akademischen Elternhäusern, ein Studium aufzunehmen, ist sechsmal höher, als bei Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schichten.
Die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ sagt, dass nur 20% der jungen Erwachsenen in der Bundesrepublik ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern erreichen. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 37%. Und 22% der jungen Erwachsenen schließen ihre Ausbildung sogar mit einem niedrigeren Bildungsabschluss als ihre Eltern ab - damit ist Deutschland eins von drei Ländern, in denen die Bildungsmobilität nach unten stärker ausgeprägt ist, als nach oben.
Die DGB-Studie „Generation abgehängt“ sagt, dass 2,2 Millionen Menschen im Alter von 20-34 keinen Berufsabschluss, dementsprechend schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt haben und kaum ihren Lebensunterhalt verdienen können.

Das sind die Fakten, und nicht etwa linke Ideologie!

Alle Studien zeigen ausnahmslos: In der Bundesrepublik werden Bildungschancen vererbt,
es ist in der Bildung wie in einem Kastensystem: bildungsnah bleibt bildungsnah und bildungsfern bleibt bildungsfern - und daran soll sich nach dem Willen von schwarz-gelb offensichtlich auch nichts ändern!

Reden Sie nicht von der „Bildungsrepublik“, wenn Sie noch nicht mal auf die Idee kommen, dass ein Bildungshaushalt in so einer Situation viel mehr leisten müsste, als Löcher zu stopfen und nachzubessern. Soviel Ignoranz muss man erst einmal aufbringen!

Schauen wir mal, was die Regierung tut – und was sie unterlässt:
Statt Nachqualifizierungsprogramme für junge Menschen ohne Berufsabschluss aufzulegen, bleibt die Regierung beim Förderdschungel verschiedener Projekte. Niemand findet sich darin zurecht, das Geld kommt nicht da an, wo es soll.
Statt mit Bundesgeld endlich umfassend in eine bessere schulische Bildung zu investieren, die eine individuelle Lernförderung ermöglicht, blockieren Sie die umfassende Abschaffung des Kooperationsverbotes und verweigern, dass der Bund mit seinem Geld den Ländern in der Bildung helfen kann.
Statt die Forschung in der Breite auf solide Füße zu stellen, und statt endlich umfassende Forschungsprogramme für die neuen Bundesländer und für Fachhochschulen auf den Weg zu bringen, setzen sie weiter auf eine Politik der Eliteförderung. Sie kümmern sich nur um Leuchttürme und wollen nicht wahrhaben, dass die längst in der Wüste stehen.
Statt ein Programm für die Juniorprofessur aufzulegen und statt endlich die Tarifsperre für den Wissenschaftsbereich aufzuheben, betreiben Sie Projektfinanzierung und Deregulierung. Heißt also: miserable Beschäftigungsbedingungen beim wissenschaftlichen Personal.

Zu alle dem sagt die LINKE "Nein"!

Und im Hochschulbereich – die gleiche Misere:
statt den Hochschulpakt endlich bedarfsgerecht aufzustocken, statt die tatsächlichen Bedürfnisse der jungen Generation zum Maßstab für die Finanzierung zu nehmen, bleiben Sie bei Ihren selbstberechneten Fantasie-Zahlen.

Jetzt musste sogar schon die Kultusministerkonferenz ihre Prognosen nach oben korrigieren und hat berechnet, dass bis zum Jahr 2020 mindestens 750.000 Studienplätze fehlen werden – selbst das ignorieren Sie: für 2013 gehen Sie von einer Studienanfängerzahl von 434.126 aus; die KMK geht aber von 490.000 aus. Somit fehlen jetzt schon mindestens 56.000 Studienplätze! Die vorgesehene Anhebung der Mittel für den Hochschulpakt wird also bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken! Und während der Bedarf noch nicht mal gedeckt ist, planen Sie schon wieder, das Geld für den Hochschulpakt direkt nach der Bundestagswahl, ab 2014, wieder abzusenken, weil dann ja das „Studierendenhoch“ „überstanden“ sei, wie Sie behaupten und wohl hoffen.

Fakt ist aber: wir haben es nicht mit einer kurzfristigen Spitze zu tun, nicht nur mit einmaligen doppelten Abiturjahrgängen und den Effekten des Aussetzens der Wehrpflicht, sondern mit einer gestiegenen Studierneigung – immer mehr junge Menschen wollen studieren, 75% der Bachelor-AbsolventInnen wollen nach dem Bachelor einen Master machen, und darüber sollten wir uns freuen! Und es könnten noch viel mehr sein, wenn nicht jedes Jahr Tausende von den Hochschulen abgelehnt würden.

Die Folgen Ihrer Politik sind deutlich sichtbar:
im Studienjahr 2011 fehlten fast 100.000 Studienplätze.

Aktuell rechnete man allein in Kassel jetzt mit 31.000 Bewerbungen auf 3500 Plätze. In Leipzig kamen im Fach Psychologie auf 72 Studienplätze knapp 4000 Bewerber. Und in Baden-Württemberg fehlen ab 2013 7000 Masterplätze.

Eine Studienberechtigung reicht schon lange nicht mehr aus, um studieren zu dürfen: Die Studierwilligen müssen ein absurdes und völlig intransparentes Geflecht von Zulassungsbeschränkungen, Numerus Clausus, Auswahlverfahren und Extra-Tests über sich ergehen lassen – von einem Recht auf Bildung und Ausbildung keine Spur.

Die Hochschulen platzen aus allen Nähten, die Wohnheime und Mensen sind völlig überlastet,
und die Studierenden müssen teilweise bis Weihnachten warten, bis sie ihr erstes BAföG erhalten.
Dafür fehlt schwarz-gelb dann offenbar jede Fantasie, sich vorzustellen, wie es ist, über drei Monate ohne jede Finanzierung zu leben! Sie wollen statt dessen den Topf für das BAföG im kommenden Jahr auch noch um 15% kürzen! Obwohl das BAföG derzeit viel zu wenige erreicht, und obwohl der BAföG-Durchschnitt derzeit bei nur 436€ liegt, und obwohl im Übrigen ein Zimmer in München schon 350€ kostet!

Statt das BAföG zum Instrument des sozialen Ausgleichs zu machen, statt die Altersgrenzen abzuschaffen, auf Vollzuschuss umzustellen und endlich Schülerinnen und Schüler zu fördern,
erhöhen Sie die Mittel für ihre Schnapsidee von Deutschlandstipendium, bei dem in diesem Jahr wahrscheinlich 16 Mio.€ verfallen werden, weil sich nicht genügend Firmen oder Sponsoren finden, die das Programm ko-finanzieren wollen.
Das ist doch absurd!

Und jetzt höre ich Sie schon wieder sagen, wie Sie uns LINKEN eine "Wünsch-Dir-Was"-Politik vorwerfen.
Aber in Ihren eigenen Studien finden sich wertvolle Hinweise, wie man eine gute Bildung für alle finanzieren kann. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung heißt es: die vermögensstärksten 10% der Haushalte vereinen 53% des gesamten Nettovermögens auf sich; der unteren Hälfte der Haushalte bleibt gerade mal 1%. Die Süddeutsche Zeitung titelte daraufhin: „Reiche trotz Finanzkrise immer reicher“.
Und während das Nettovermögen des Staates in den vergangenen zwanzig Jahren um über 800 Milliarden € zurückgegangen ist, hat sich das Nettovermögen der privaten Haushalte von knapp 4,6 auf rund 10 Billionen € mehr als verdoppelt.

Auch hier wieder deutliche Zahlen - eigentlich liegt der Zusammenhang auf der Hand!
Wir haben ein Einnahme-, kein Ausgabe-Problem, wir müssen nicht sparen, wir müssen umverteilen! Die Steuerpolitik dieser Regierung und ihrer Vorgänger belastet aber seit Jahren die unteren Einkommensschichten und entlastet die oberen, die mittlerweile gar nicht mehr wissen, wohin sie mit dem ganzen Geld eigentlich sollen.
Wir brauchen endlich eine Umverteilung von oben nach unten und nicht umgekehrt!

Und da wird auch nicht die von den Grünen auf dem Parteitag beschlossene einmalige Vermögensabgabe reichen. Denn wenn wir die Schieflage in dieser Gesellschaft ändern möchten, dann müssen wir das eben nicht einmalig, sondern langfristig und dauerhaft tun!

Wir brauchen neben einer Vermögensabgabe eine Millionärssteuer, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent und eine höhere Erbschaftssteuer.

Die LINKE will endlich Schluss damit machen, dass soziale und Bildungschancen wie im Feudalismus vererbt werden!
Der Regierung ist so ein Denken fremd - Sie verweigert Chancengleichheit und aktiven Ausgleich,
und die FDP hält wie in Bayern an einer Politik fest, bei der man sich den Bildungszugang und die Bildungschancen käuflich erwerben kann, wie im Falle von Studiengebühren.

Aber die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht für das, was ihnen rechtmäßig zusteht, zahlen. Sie wollen nicht, dass der Geldbeutel und der soziale Status der Eltern darüber bestimmt, welchen Bildungsweg die Kinder nehmen.

Und damit haben sie sehr recht - denn Bildung ist ein Menschenrecht! Und für dessen Gewährleistung hat die Regierung zu sorgen!

Es gilt das gesprochene Wort.