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Den Flüssen mehr Raum - das ist die Kernfrage

Rede von Roland Claus,

(Zu Protokoll gegebene) Rede von Roland Claus, Mitglied des Haushaltsausschusses und Ost-Koordinator der Fraktion DIE LINKE, in der Debatte zum Antrag von CDU/CSU und FDP "Die Elbregion mit einem zukunftsweisenden Gesamtkonzept ökologisch und ökonomisch weiterentwickeln" (Drs. 17/14112) am 27.06.2013

Die Fraktion DIE LINKE freut sich, dass die Regierungskoalition diesen Vorstoß unternimmt. Es liegt in diesem Antrag ja doch so etwas wie die Einsicht, dass dogmatisierter Föderalismus an den lebensweltlichen Zusammenhängen scheitern muss. Natürlich braucht es ein länderübergreifendes Gesamtkonzept für die Elbregion. Und es braucht dann auch Gremien, die dieses Gesamtkonzept umzusetzen in der Lage sind. Und diese, selbstverständlich, müssen international gestaltet sein, denn die Elbe beginnt ihren Lauf bekanntlich in Tschechien, und zur Elbregion gehören alle Nebenflüsse mit ihrem jeweiligen Einzugsgebiet, also auch – um nur die größten zu nennen – die Moldau, die Mulde, die Saale und die Havel.

Leider erfasst der Antrag nicht diese Gesamtdimension, und das ist für uns einer der Gründe dafür, dass wir dem Antrag nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten. Ein weiterer Grund besteht darin, dass der Antrag einfach nicht aktuell ist. Zwar ist das Hochwasser von 2013 durchaus erwähnt. Aber an welcher Stelle? Ganz am Ende des Antrags. Hochwasserschutz taucht dort auf als ein Punkt unter vielen anderen. In seinen Kernpunkten behandelt der Antrag die Elbe so, wie sie im Mai 2013 existiert hat. Die Dramatik des Hochwassers der ersten Junihälfte 2013 bleibt ausgespart. Aber da gab es Pegelstände, wie sie noch nie gemessen worden sind, und mit dem Dammbruch bei Fischbeck in Sachsen-Anhalt ist eine Katastrophe geschehen, deren Folgen auch jetzt noch nicht vollständig überschaubar sind. Die Heftigkeit und die enorme Längenausdehnung des Flutscheitels auf 30 bis 40 Kilometer hatten ihre Ursache im Aufeinandertreffen der Flutscheitel von Elbe und Saale. Was für ein Ereignis braucht es denn noch, um deutlich zu machen, dass ein Konzept für die Elbregion selbstverständlich eines für die Saaleregion einschließen muss? Und wie dicht müssen denn die fälschlich „Jahrhunderthochwasser“ genannten Ereignisse nach 2002, 2006, 2011 und 2013 noch aufeinanderfolgen, bis ins Bewusstsein dringt, dass Hochwasserschutz nicht als irgendein Teilproblem in einem Gesamtkonzept für eine Flussregion behandelt werden darf, sondern dass er den Kern des Ganzen zu bilden hat?

Aber dann freilich nicht nur als eng geführtes Deichbau- oder Spundwanderrichtungsproblem, sondern als Grundfrage des Umgangs mit den Flüssen überhaupt. Es ist doch widersinnig, zuerst über diese und jene betriebswirtschaftlich mehr oder weniger effiziente Nutzung eines Flusses nachzudenken und erst danach die Frage nach dem Hochwasserschutz zu stellen. Und zwar widersinnig auch unter ernsthaftem – sprich: volkswirtschaftlichem – ökonomischem Blickwinkel. Wie viel Gewinn müsste denn eine herkömmlich als effizient gepriesene Fluss-Schifffahrt erwirtschaften, damit sie die vielen Milliarden, die bei einem „Weiter so!“ im Flussmanagement künftig aller paar Jahre für die Überwindung der Überflutungsschäden erbracht werden müssen, auszugleichen vermag? Müssen solche Feststellungen über die Kostenvorteile der Binnenschifffahrt gegenüber Lkw und Bahn, wie sie im Antrag enthalten sind, nicht einer erneuten Prüfung unterzogen werden – und zwar unter Einrechnung der Milliarden, die uns der bisherige Umgang mit den Flüssen kostet? Und muss damit nicht immer auch wieder die Frage gestellt werden, wie viel von all diesem kontinuierlichen Wachstum des Transportvolumens, mit dem der Antrag ganz selbstverständlich arbeitet, tatsächlich notwendig ist? Ist es nicht hohe Zeit, auch unter diesem Aspekt der tatsächlichen Kosten nicht nur der Transporte selbst, sondern eben auch der Erhaltung und Pflege und Bewahrung der Transportwege neu über regionale Wirtschaftskreisläufe nachzudenken?

DIE LINKE hat im März 2012 einen eigenen Antrag für ein umfassendes Elbkonzept vorgelegt (Drs. 17/9160), in dem klar gesagt ist: „Die unterschiedlichen Nutzungsansprüche an die Elbe, ihre Nebenflüsse und ihr Einzugsgebiet wie Hochwasserschutz, Schifffahrt, Tourismus, Natur- und Umweltschutz, Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Energiegewinnung, Industrie und Siedlung müssen auf der Basis einer naturnahen Flussentwicklung berücksichtigt werden.“ Die naturnahe Flussentwicklung als Basis von allem, denn ein naturfernes Flussmanagement führt zur Zerstörung von allem. Die rot-rote Landesregierung in Brandenburg, in der DIE LINKE u.a. das Umweltministerium führt, hat beim Elbehochwasser 2013 mit der Flutung der für genau diesen Fall vorgehaltenen Havelpolder ein Beispiel dafür geschaffen, was in den nächsten Jahren vor allem getan werden muss: Es müssen große Überflutungsflächen angelegt werden. Dies kann – wie bei den Havelpoldern – hinter dem Deich geschehen. Dann erfolgt die den Fluss entlastende Flutung mittels Schleusen. Oder es geschieht – auch dafür hat Brandenburg am „Bösen Ort“ kurz vor Hitzacker ein Beispiel geschaffen – durch die Rückverlegung von Deichen.

Damit so etwas Wirklichkeit werden kann, braucht es das Zusammenwirken aller Beteiligten. Bäuerinnen und Bauern, Anwohnerinnen und Anwohner, am Fluss angesiedelte Unternehmen, die Binnenschifffahrt, der Naturschutz, die Forstwirtschaft – sie alle müssen an einem Strang ziehen, und der Fluss macht an Ländergrenzen nicht halt und das Wasser nach einem Deichbruch auch nicht.

Die Brandenburger Landesregierung fordert dieser Tage erneut eine nationale Hochwasserkonferenz. 2010 war ein ähnlicher Vorschlag von der Bundesregierung zurückgewiesen worden. Es ist jetzt höchste Zeit für eine solche Konferenz. Von ihr könnten dann auch entscheidende Impulse für ein tatsächlich in die Zukunft weisendes Gesamtkonzept für die Elbregion ausgehen.