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Defizite im Gesundheitswesen

Rede von Michael Leutert,

Rede zum Haushalt des Gesundheitsministeriums

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend über das Budget des Gesundheitsministers. Das heißt, wir sprechen über 14,5 Milliarden Euro. Es wurde hier schon mehrmals gesagt: Allein 14 Milliarden Euro davon fließen in den Gesundheitsfonds. Das bedeutet, dass wir das eigentlich an die Krankenkassen durchreichen. Das ist natürlich Grund genug, sich einmal damit zu beschäftigen, wie die Steuergelder dort verwendet werden. Das hat sich auch der Bundesrechnungshof gedacht und in der letzten Woche seine jährlichen Bemerkungen dazu abgegeben. Es lohnt sich durchaus, einen Blick in das 300 Seiten umfassende Werk zu werfen. Es ist allerdings zum Teil erschreckend.

Bevor ich dazu komme, möchte ich etwas dazu sagen, wie sich die Situation für den normalen Bürger darstellt. Es gab mehrere Loblieder auf die derzeitige Gesundheitspolitik; begonnen hat damit der Kollege Singhammer. Ich weiß nicht, vielleicht leben wir in unterschiedlichen Ländern. Für den normalen Menschen in unserem Land stellt sich die Situation so dar: Er zahlt Monat für Monat seine Krankenkassenbeiträge, von seinen Steuergeldern wird der Extrazuschuss zum Gesundheitsfonds gezahlt, und seit 1993 hat er insgesamt zwölf Gesundheitsreformen erlebt. Diese Gesundheitsreformen bedeuteten für ihn: Zuzahlungen für Medikamente, Kürzungen beim Zahnersatz, Kürzungen beim Krankengeld, Kürzungen beim Zuschuss für Brillengestelle, Streichung des Sterbegeldes, Streichung des Entbindungsgeldes, Einführung der Praxisgebühr und letztendlich Einführung von Zusatzbeiträgen, also die Minikopfpauschale. So sieht es für den normalen Menschen in unserem Land aus. Das alles muss er unter der Überschrift „Reform“ ertragen. Die Schlagworte „Kosteneffizienz“, „Wirtschaftlichkeitsgebot“ und „Wettbewerb stärken“ waren im Prinzip die Losung, die zu einer Lösung führen sollten.

Im jetzt vorliegenden Bericht des Bundesrechnungshofes kann man allerdings auch die andere Seite sehen, nämlich wie die Krankenkassen mit den Mitgliedsbeiträgen und den Milliarden an Steuergeldern umgehen. Es wäre eigentlich anzunehmen, dass sie sparsam damit umgehen, dass sie sich der Situation bewusst sind, aber leider ist dem nicht so. Vielmehr kann man neben Unregelmäßigkeiten bei Krankenkassenfusionen, bei ungerechtfertigten und überhöhten Gehältern und Abfindungen für Vorstände unter anderem auch die Überschrift lesen ‑ Herr Kollege Fricke hatte es angesprochen ‑: Millionenverluste bei Krankenkassen durch hohe Mieten und nicht benötigte Büroflächen. ‑ Krankenkassen haben noch nicht errichtete Bürogebäude angemietet, und zwar langfristig. „Langfristig“ heißt in diesem Fall über 20 Jahre, und zwar ohne Kündigungsoption. Angemietet wurden diese Objekte zu Mietpreisen, die doppelt so hoch waren wie die ortsüblichen Vergleichsmieten. Es wurden 14 Euro pro Quadratmeter statt 7 Euro pro Quadratmeter gezahlt. Es wurden sogar Flächen angemietet, die gar nicht benötigt wurden. Beispielsweise wurden statt 8 000 Quadratmeter, die eigentlich nur benötigt wurden, 19 000 Quadratmeter angemietet. Die wurden dann untervermietet, natürlich zu den ortsüblichen Mieten, oder sie standen leer. Man hat also Verluste eingefahren. Allein bei diesen Vermietungsgeschäften sprechen wir über Verluste von insgesamt 14 Millionen Euro.

Was hier beschrieben wird, ist nicht nur einfach ein Versehen, sondern es ist schlicht Veruntreuung. Es ist kriminell, was hier passiert ist.

(Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Na, na, na!)

Das ist ein Fall für den Staatsanwalt. Herr Kollege Fricke, es tut mir Leid: Man kann den Minister, ihren Parteifreund, doch nicht einfach so aus der Verantwortung lassen. Das Ministerium sieht in den vom Bundesrechnungshof aufgeführten Fällen keinen Handlungsbedarf, sondern es heißt: So wie es passiert ist, ist es in Ordnung. Auf der anderen Seite ist es so, dass die Versicherten, die die Reformen erlebt haben und immer wieder wegen Kostenexplosion auf Leistungen verzichten oder mehr zahlen mussten, in den letzten Jahren nicht einmal die ihnen zustehenden Leistungen bekommen.

Besonders geschmacklos ist es dann, wenn es um die Kinder geht: Ich meine die Mutter/Vater-Kind-Kuren; das Thema dürfte bekannt sein. Obwohl es gesetzliche Regelungen dazu gibt, verweigern die Krankenkassen in vielen Fällen die Bewilligung. Der Bundesrechnungshof spricht in diesem Fall sogar von „Willkür von Entscheidungen“. Allein durch diese Praxis der Willkür haben die Krankenkassen in den letzten Jahren 11 Millionen Euro eingespart. Noch einmal zum Vergleich: Auf der einen Seite werden 14 Millionen Euro für dubiose Mietgeschäfte verpulvert, auf der anderen Seite werden 11 Millionen Euro für Mutter/Vater-Kind-Kuren nicht genehmigt. Das halte ich für einen Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, wenn Sie nicht in der Lage sind, diese Probleme in Ihrem Zuständigkeitsbereich zu lösen, möchte ich Sie zum Schluss noch auf eine Sache aufmerksam machen, die auch das Gesundheitssystem betrifft. Ihr Koalitionspartner hat vor einigen Wochen den Mindestlohn entdeckt.

(Mechthild Rawert (SPD): Lohnuntergrenze!)

Durch die ganzen Reformen sind natürlich auch die Krankenhäuser mehr und mehr gezwungen, ihre Kosten zu senken, zum Beispiel indem sie Dienstleistungen ausgliedern. Das führt dazu ‑ so viel zum Alltag; Sie haben davon gesprochen ‑, dass insbesondere die Beschäftigten im Bereich Service zu Tiefstlöhnen arbeiten müssen. Sie haben keine Tarifverträge, und die Politik hilft diesen Menschen nicht, indem sie einen Mindestlohn einführt. 400 Meter von hier entfernt streiken deshalb die Beschäftigten der CFM an der Charité seit nunmehr 72 Tagen. Von hier aus die herzlichsten Grüße an die Kollegen dort. Die Linke wünscht viel Durchhaltevermögen und Erfolg.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Leutert, achten Sie bitte auf die Zeit.

Michael Leutert (DIE LINKE):

An Sie, Herr Minister, kann ich nur appellieren: Helfen Sie den Beschäftigen im Gesundheitssystem, indem Sie sich als FDP-Minister in Ihrer Partei für den Mindestlohn einsetzen. Damit würden Sie den Beschäftigten einen großen Dienst erweisen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)