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Dass der Aufschwung die Kinder nicht erreicht, ist ein Skandal

Rede von Roland Claus,

Rede von Haushaltsausschussmitglied Roland Claus in der Debatte zum Haushalt 2008 des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 29.11.2007

Roland Claus (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir reden bei diesem Etat über zu Zahlen gewordene Politik für und mit Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Wenn man sich fragt, wer eigentlich nicht dazugehört, dann stellt man fest, dass nur noch männliche Singles mittleren Alters übrig bleiben, wie wir merken, ein weites Feld, ohne das Demokratie nicht möglich wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Bundesministerin, gerade weil Sie als Sympathieträgerin der Bundesregierung gelten, müssen Sie sich gefallen lassen, dass wir Sie an den Ergebnissen Ihrer Politik und nicht an der Zahl Ihrer Talkshowbesuche messen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Wahrheit gehört sicherlich: Gemessen an der Familienpolitik der CSU, ist das, was Sie leisten, ein Stück weit revolutionär. Aber gemessen an den Erfordernissen einer zukunftsfähigen Jugend- und Familienpolitik, ist auch diese Politik schlicht rückständig. Das ist leider das Ergebnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Mittlerweile gibt es so etwas wie das von-der-Leyen-Prinzip: Die Ministerin macht eine Ankündigung. Diese wird mit Interesse aufgenommen. Danach gibt es einen Aufschrei in der SPD, nicht weil sie meint, dass die Ministerin etwas Falsches gesagt hätte, sondern weil sie meint, es hätte sich gehört, dass die SPD das sagt. Dann gibt es einen Aufschrei in der CSU,

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und bei Frau Lafontaine gibt es einen Aufschrei!)

die das Abendland in Gefahr sieht. Dann trifft sich in der Regel Frau von der Leyen mit dem Finanzminister. Heraus kommt ein sogenannter Kompromiss. Wie dieser aussieht, haben wir beim geplanten Vorziehen der Kindergelderhöhung auf 2009 erlebt.
Der vom Kinderhilfswerk herausgegebene Kinderreport 2007 sollte uns allen zu denken geben. Wenn man den Bogen etwas weiter spannt und sich die letzten 30 Jahre der Bundesrepublik anschaut, dann stellt man fest, dass es den Bundesregierungen mit ihrer Politik gelungen ist, die Geburtenzahl zu halbieren. Innerhalb von nur 15 Jahren ist ihnen das auch im Osten Deutschlands gelungen. Im gleichen Zeitraum hat sich der private Reichtum vervielfacht, die Kinderarmut leider verfünfzehnfacht. Das ist ein Skandal, mit dem wir uns nie abfinden werden, weder in diesem Hause noch anderswo.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir alle müssen uns fragen, ob wir nicht klammheimlich den Grundsatz „Den Kindern soll es einmal besser gehen“ - den haben Christen und Nichtchristen einmal geteilt - allmählich durch die Einstellung „nach mir die Sintflut“ ersetzen. Gerade weil Sie den Zusammenhang von Demokratie und Familie betonen, müssen Sie sich ein paar Fragen gefallen lassen. Wie soll der Langzeitarbeitslose in seinem Umfeld Selbstbewusstsein vorleben? Was ist daran noch demokratisch, wenn die Verkäuferin ihrer Tochter den Schulausflug wiederholt nicht bezahlen kann? Wie soll nach einer fünfeinhalb Tage dauernden Arbeitswoche weit weg von zu Hause Kinderliebe im Zeitraffer möglich sein? Warum muss eine Schülerin ein Schuljahr wiederholen, wenn ihre Eltern in ein anderes Bundesland umziehen? Zusammengefasst: Was ist das für ein Reichtum, der nicht bei den Kindern ankommt? Das ist ein Skandal in diesem reichen Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie uns erneut für unsere Vorschläge kritisieren, dann sage ich Ihnen: Das Steuerkonzept, das wir vorgelegt haben, deckt alle diese Vorschläge ab. Diese Vorschläge hätten es verdient, Wirklichkeit in diesem Lande zu werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Beispiel: Wir werden im nächsten Jahr darangehen, die ersten Zivildienstschulen zu schließen. Ende des Jahres 2008 soll das vollzogen sein. Wir finden, das ist ein falscher Schritt, weil die soziale und bildungspolitische Kompetenz dieser Einrichtungen mehr denn je gefragt ist. Natürlich verschließen wir nicht die Augen davor, dass die Zahl der Zivildienstleistenden kleiner wird, aber statt über Schließungen nachzudenken, müsste doch in einer Situation, in der wir über so viele gesellschaftliche Umbrüche reden, die soziale und bildungspolitische Kompetenz genutzt und die Einrichtungen müssten umgewidmet und dürften nicht eingestellt werden. Das wäre vernünftig und logisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir schlagen Ihnen erneut vor, im Kampf gegen den Rechtsextremismus die Mittel für die vorgesehenen Programme von 19 Millionen Euro auf 38 Millionen Euro zu verdoppeln. Das ergibt einen Sinn. Wir reden gegenwärtig über 90 bewilligte Anträge. Es gibt 149 abgelehnte Anträge. Die meisten wurden wegen Geldmangels abgelehnt. Alle diese Programme - das müssen wir uns eingestehen - sind eigentlich ein Ausdruck politischen Versagens. Sie sind ein Akt der Nachsorge. Es kommt immer erst der wirtschaftliche Niedergang, und dann zerbricht die soziokulturelle Infrastruktur. Ein Dorf ohne Schule ist ein Stück weit ein Dorf ohne Geist. Es entstehen demokratiefreie Räume. Dann kommen wir mit unseren Extraprogrammen und versuchen, zu retten, was zu retten ist. Ich sage das so eingeschränkt auch vor dem Hintergrund dessen, was wir hier vorschlagen.
Es beginnt wie immer mit der Analyse. Solange die Mehrheit in diesem Hause nicht bereit ist, zu erkennen, dass Rechtsextremismus ein Problem ist, das inzwischen die Mitte der Gesellschaft erreicht hat und nicht mehr ein Randproblem ist, werden wir die Ursachen und Wurzeln nicht wirksam angehen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müssen sich nur einmal anschauen, wie oft in Ihren eigenen Analysen zum Thema Rechtsextremismus das Wort „Phänomen“ vorkommt. „Phänomen“ heißt wörtlich übersetzt „das Erscheinende“, „die Erscheinung“. Er ist also für Sie nicht das Wesen, sondern eine Erscheinung irgendwo am Rande. Wenn man das Problem zu einer Randerscheinung erklärt, hält man die eigenen Reihen sauber.
Ich finde, ein besonders unverantwortliches Beispiel für den Umgang mit Rechtsextremismus hat gerade in der vorherigen Debatte Bundesminister Gabriel abgeliefert, indem er - ungeprüft und ohne Belege - Oskar Lafontaine, wie wir dann erfahren haben, falsch zitiert und ihm neonationalistische Sprüche unterstellt hat. Das ist nicht nur infam und wird von uns zurückgewiesen, das ist auch eine Verharmlosung der rechtsextremistischen Gefahr.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Claus, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Roland Claus (DIE LINKE):

Das will ich gern tun, Frau Präsidentin. Frau Ministerin, Ihr Etat ist nicht zukunftsfähig. Ich wiederhole: Was ist das für ein Reichtum, der nicht bei den Kindern ankommt? Das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Insofern können wir Ihrem Etat nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)