Zum Hauptinhalt springen

Das ist steuerlicher Dilettantismus und vergrößert die Schere zwischen Arm und Reich

Rede von Barbara Höll,

Rede von Dr. Barbara Höll zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Abbau der kalten Progression“ (Drucksache: 17/8683) am 29.3.2012.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war eine Theatervorstellung: Herr Wissing als moderner Robin Hood für Arme und Entrechtete.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie morgen hier einen Antrag einbringen und 10 Euro Mindestlohn für alle in der Bundesrepublik Deutschland fordern würden, dann könnten wir Ihnen vielleicht ein bisschen glauben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will hier klarstellen: Auch die Linke ist für Steuerentlastungen im Bereich der unteren und mittleren Einkommen. Dafür sind wir. Wir haben auch etwas dafür getan. Den Weg, den Sie hier propagieren, können wir aber nicht unterstützen. Das Vorhaben ist falsch, es ist nicht gegenfinanziert, und die Umsetzung Ihres Gesetzentwurfs führt zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Gesetzentwurf gehen Sie an dem Grundproblem der Ungerechtigkeit im derzeitigen Einkommensteuertarif vorbei. Dies haben Ihnen auch Sachverständige in der Anhörung gesagt. Ich erinnere an Stefan Bach vom DIW, der gesagt hat: Natürlich müssen wir im unteren Bereich stärker entlasten, und natürlich haben wir im oberen Einkommensbereich die Möglichkeit, das gegenzufinanzieren.

Wer wirklich etwas tun will, um die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen zu entlasten, der muss an den sogenannten Waigel-Bauch herangehen, an den Verlauf des Einkommensteuertarifs. Wir von der Linken haben Ihnen dazu einen Vorschlag vorgelegt: Bei einem durchgehend linear-progressiven Einkommensteuertarif hätten wir keine kalte Progression in der Form, wie wir sie jetzt haben, dann hätten wir nicht das Problem der Stauchung des Tarifs bei Anhebung des Grundfreibetrags.

(Beifall bei der LINKEN)

In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird außerdem nicht zwischen gewünschter Progression und unerwünschter, sogenannter kalter Progression unterschieden. Der progressive Tarifverlauf in der Einkommensteuer entspricht dem Gerechtigkeitsprinzip des deutschen Steuerrechts, der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dementsprechend sollen höhere Einkommen proportional höhere Steuern zahlen. Dieses Prinzip ist aber leider ausgehebelt worden. Klar ist: Einkommenssteigerungen, die nur inflationsbedingt entstanden sind, verkörpern keine höhere Leistungsfähigkeit und sollten daher auch nicht höher besteuert werden.

Nun hatten wir in den letzten zwölf Jahren aber eine Steuerpolitik das wurde schon gesagt , die zu einem massiven Abbau der gewünschten Progression führte. Wir hatten in den letzten zwölf Jahren eine gezielte Entlastung insbesondere der Bezieher hoher Einkommen. Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Beispiele nennen:

Erstes Beispiel ist die Absenkung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer von 53 Prozent bis zum Jahr 1999 auf 42 Prozent im Jahr 2005.

Zweites Beispiel ist die Herauslösung der Kapitaleinkünfte aus der regulären Einkommensteuer durch die Abgeltungsteuer; dies wurde von der Großen Koalition umgesetzt. Da die Abgeltungsteuer nur einen Steuersatz hat - er liegt bei 25 Prozent -, sind Kapitaleinkünfte seit 2009 nicht mehr von der kalten Progression betroffen. Von der sowieso schon niedrigeren Besteuerung von Kapitaleinkünften profitieren eindeutig die Bezieherinnen und Bezieher hoher Einkommen; denn nur sie haben so viel Einkommen, dass sie tatsächlich Kapitaleinkünfte erzielen können.

Wenn nunmehr hohe Einkommen durch die vorgesehene Rechtsverschiebung des Tarifverlaufs über die Anhebung des Grundfreibetrages hinaus entlastet werden sollen, dann ist das angesichts des vorangegangenen massiven Abbaus der gewünschten Progression regelrecht eine Verkehrung der Tatsachen. Der Abbau der kalten Progression wird von Ihnen instrumentalisiert, um die Verteilungsposition der Bezieherinnen und Bezieher hoher Einkommen weiter auszubauen und zu zementieren. Sie vergrößern durch Ihren Gesetzentwurf die Schere zwischen Arm und Reich.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD))

Zur geplanten Erhöhung des Grundfreibetrages sage ich Ihnen Folgendes: Natürlich ist eine Erhöhung notwendig. Aber die vorgeschlagene Anhebung ist viel zu gering. Das liegt daran, dass die Kriterien, die der Berechnung zugrunde liegen, unzureichend sind. Ich möchte darauf verweisen, dass Ihnen zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband einen Grundfreibetrag von etwa 9 300 Euro vorgeschlagen hat. So steht es auch in unserem Vorschlag. 9 300 Euro steuerfreier Grundfreibetrag - das wäre eine Abbildung der Realität.

Was machen Sie? Sie instrumentalisieren auch diese Frage wahltaktisch. Sie gehen eben nicht nach dem bewährten Verfahren vor, nach dem die Anpassung alle zwei Jahre nach Veröffentlichung des entsprechenden Berichts vorgenommen wird. Sie ziehen jetzt einen Gesetzentwurf locker aus der Tasche und sagen: Wir machen jetzt eine kleine Anhebung, egal ob wir neue Zahlen haben oder nicht. Das ist doch wunderbar. - Nein, das, was Sie machen, ist Quatsch und eigentlich sträflich.

(Beifall bei der LINKEN - Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Sagt die PDS!)

Ich muss Ihnen auch sagen: Sie haben auf einmal die kalte Progression als großes Thema entdeckt. Die Linke hat hier bereits im Jahre 2007 einen Antrag eingebracht, in dem wir gefordert haben, dass überprüft wird, ob es eine kalte Progression gibt, und wenn ja, wie sie sich auswirkt und wie man darauf reagieren kann. Diesen Antrag haben Sie hier einmütig abgelehnt. Das Thema fanden Sie alle nicht so interessant. Wir haben Ihnen verschiedene Vorschläge unterbreitet.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Da war doch ein SPD-Finanzminister, oder? Der hieß Steinbrück, glaube ich!)

Nun haben wir darüber diskutiert und im Finanzausschuss gefragt, wie die kalte Progression wirkt. Herr Gutting sagte am Mittwoch, in den letzten Jahren habe sie eigentlich gar nicht gewirkt, wir würden ja über die Zukunft reden. Sie haben nicht einmal belastbare Zahlen. Das ist ein Problem. Sie wollen also jetzt etwas verändern, obwohl es dazu keine belastbaren Zahlen gibt. Sie agieren hier völlig freischwebend im Raum und verkaufen das als seriöse Politik.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD))

Das, was Sie machen, ist völlig verkehrt. Wir müssen das Problem grundlegend im Einkommensteuertarif angehen. Ich möchte noch einmal die Zahlen nennen. Nach Ihrem Vorschlag wird ein Lediger mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von etwa 15 000 Euro monatlich 8,30 Euro einsparen. Das ist gewaltig. Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 30 000 Euro beträgt die Ersparnis 14,50 Euro.

(Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Monatlich! Das ist doch gut!)

Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 60 000 Euro beträgt die monatliche Entlastung 31,50 Euro. Betrachten Sie ruhig die absoluten Zahlen; denn sie spiegeln das wider, was man im Portemonnaie hat und was nicht.

(Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Sie haben das mit der Progression noch nicht verstanden!)

Wenn Sie im Bereich der unteren und mittleren Einkommen wirklich Entlastungen erzielen wollen, dann brauchen wir einen durchgehend linear-progressiven Tarif. Nach unserem Vorschlag - 14 Prozent Eingangssteuersatz, 53 Prozent Spitzensteuersatz, 9 300 Euro steuerfreier Grundbetrag - würde der Ledige mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen in Höhe von 15 000 Euro monatlich um 41,50 Euro entlastet werden, bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 30 000 Euro sogar um 102 Euro. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir einen gegenfinanzierten Vorschlag vorgelegt. Das unterscheidet uns grundlegend.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen minimale Veränderungen im unteren Bereich, und oben wollen Sie mehr entlasten, und das sogar noch auf Pump.

(Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Oben ist doch gar keine Entlastung!)

Nach unserem Vorschlag würden alle mit einem Monatseinkommen von bis zu 5 850 Euro, das entspricht einem Jahreseinkommen von 70 000 Euro, durch eine stärkere Belastung der Einkommen im oberen Bereich entlastet werden.

Herr Wissing, weil Sie im Hinblick auf die kleinen und mittleren Einkommen eine dicke Lippe riskiert haben, muss ich Ihnen sagen: Sorgen Sie lieber erst einmal dafür, dass möglichst viele Menschen überhaupt in die Situation kommen, Einkommensteuer zu zahlen.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Das tun wir! Sehen Sie sich doch die Arbeitslosenzahlen an! - Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Wir hatten noch nie so wenige Arbeitslose!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Frau Präsidentin, mein letzter Satz. Diejenigen, die noch nicht einmal einen Mindestlohn bekommen, und diejenigen, die Minijobs haben und zum Amt müssen, um aufzustocken,

(Dr. Volker Wissing (FDP): Jetzt sagen Sie am besten noch etwas zur Finanztransaktionsteuer! Dann haben wir dieses Thema auch abgehakt! - Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin!

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

haben von diesen Peanuts nichts. Auch diese Menschen müssen endlich von ihrer Arbeit leben können. Das ist das Hauptproblem.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) - Dr. Volker Wissing (FDP): Jetzt hat mir aber die Finanztransaktionsteuer gefehlt, Frau Kollegin! Wie schade!)