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Cornelia Möhring: Niemand tötet aus Liebe

Rede von Cornelia Möhring,

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion legt heute den Antrag „Femizide in Deutschland untersuchen, benennen und verhindern“ vor. Ein Femizid ist die Tötung einer Frau in einem geschlechtsbezogenen Kontext. Das sind Tötungen, die in einem Zusammenhang mit der Abwertung und Unterdrückung von Frauen stehen. Frauen, die selbstbestimmt über ihr Leben, ihren Körper, ihre Sexualität entscheiden wollen, Frauen, die sich anders verhalten, als ihr Umfeld und gesellschaftliche Rollenerwartungen es vielleicht als richtig ansehen, Frauen, die sich trennen oder getrennt haben, weil sie ihr eigenes Leben führen wollen, werden von denen, die dies nicht dulden, gewaltvoll bestraft.

Femizide kommen weltweit vor, auch hierzulande. Doch während andere Regierungen zumindest versuchen, Femizide systematisch zu erfassen und eine Strategie zu entwickeln, will sich die Bundesregierung nicht mal den Definitionen der WHO und der Vereinten Nationen anschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aber dringend notwendig, dies zu tun und darüber zu reden.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Jahr 2019 wurden 117 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet; 191 entkamen dem Versuch. Das ergibt alle 26 Stunden eine versuchte Tötung, jeden dritten Tag eine vollendete. Weitere 150 Frauen wurden außerhalb von Partnerschaften getötet. Das macht insgesamt 267 getötete Frauen im Jahr 2019 – mindestens. Ob ein Femizid vorliegt, wird nämlich nicht geprüft. Wie auch, solange es offiziell gar keine Femizide gibt?

Femizide sind keine dramatischen Einzelfälle, keine Beziehungsdramen oder Familientragödien. Femizide geschehen, weil die Täter, geschützt durch ein gesellschaftliches Verständnis, wie eine Frau zu sein und zu handeln hat, entsprechend gewaltvoll reagieren. Das zeigt sich leider auch in der Rechtsprechung, in der Eifersucht und Verlustangst immer noch als strafmildernd angesehen werden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand tötet aus Liebe. Es geht um Macht, es geht um Eigentumsansprüche, es geht um Unterordnung, es geht um Kontrolle im Geschlechterverhältnis. Um das an dieser Stelle klarzustellen: Meine Fraktion will keinen neuen Straftatbestand Femizide einführen. Aber wir wollen, dass das bestehende Recht die Geschlechterverhältnisse berücksichtigt.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es geht perspektivisch um eine Veränderung des Bewusstseins. Wir müssen die patriarchale Kultur des Zusammenlebens überwinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Solange Männer denken, über Frauen bestimmen und sich über sie hinwegsetzen zu dürfen, so lange werden das Ministerium und das BKA jährlich über höhere Fallzahlen von Gewalt und Femiziden berichten.

Wenn Femizide nicht als solche benannt werden, verschwindet die gesellschaftliche Dimension der Taten. Es wird der Eindruck vermittelt, die Tat sei irrelevant für die Öffentlichkeit und reine Privatangelegenheit zwischen Täter und Opfer. Die richtige Einordnung der Gründe und Motive, die Einsicht in die gesellschaftliche Dimension des Phänomens ist aber notwendig, um diese Gewalt zu bekämpfen und um überhaupt vor so einer Gewalt schützen zu können.

Wirklich verhindert werden können Femizide nur, wenn wir die dahinterliegenden Strukturen anerkennen und gezielt verändern. Genau deshalb, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, fehlt mir jegliches Verständnis für Ihre Verweigerung, Femizide auch als solche anzuerkennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre nämlich ein außerordentlich wichtiger Schritt, der erst mal auch gar nichts kostet.

Was wir aber auch ganz dringend brauchen, ist die Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle, die neben umfangreicher Datenerhebung auch zu Risikomomenten forschen soll, damit endlich gezielt Maßnahmen zur Verhinderung dieser Morde an Frauen entwickelt werden können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)