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Champagner-Stimmung bei den Reichen

Rede von Gesine Lötzsch,

Realität in Deutschland: Arme Menschen werden durch die Politik dieser Regierung noch ärmer

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein BBC-Reporter fragte mich letzte Woche, warum die Bundesregierung denn in einem Umfragetief sei, wo doch die Konjunktur anspringe und die Arbeitslosigkeit sinke.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr!)

Die Antwort findet sich unter anderem in einer repräsentativen Umfrage unter 600 Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Mehr als die Hälfte der Befragten gab zu Protokoll, dass der wirtschaftliche Aufschwung nichts mit der Arbeit der Regierung zu tun habe. In dieser Frage scheint sich also die so genannte Elite ausnahmsweise mit der Mehrheit der Bevölkerung einig zu sein.
Ich möchte zu Ihrer Überraschung die allgemeine Kritik etwas relativieren; denn immer dann, wenn die Regierung den Vorschlägen der Linken folgt, ist sie in Maßen erfolgreich.

(Beifall bei der LINKEN Jürgen Koppelin (FDP): Hört! Hört!)

Die Linke fordert seit Jahren mehr öffentliche Investitionen. Die Bundesregierung hat dieser Forderung teilweise nachgegeben und es zeigt sich, dass bei deren Umsetzung zur kurzfristigen Belebung der Binnennachfrage beigetragen wurde. Ich will Sie daran erinnern, damit Sie Ihre eigene Geschichte nicht vergessen, dass Herr Merz und die neoliberale Lobby
(Jürgen Koppelin (FDP): Klassenkampf!)
noch vor ein paar Jahren heftig gegen öffentliche Investitionsprogramme wetterten und ausschließlich auf Steuersenkung für Kapitalgesellschaften und Besser- und Bestverdienende setzten.
(Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Das wird durch ständiges Wiederholen nicht besser! Das ist immer noch falsch!)
Aber alle Erfahrung hat gezeigt: Die Steuersenkungen brachten Steuerausfälle und keine neuen Arbeitsplätze. Darum ist die fortdauernde Steuersenkungspolitik für Besserverdienende falsch und wird von uns abgelehnt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will auf eine weitere beachtliche Wirkung der Linken hinweisen. Inzwischen spricht man sogar von einem Linksruck in der CDU. Das ist natürlich etwas übertrieben, aber Herr Rüttgers ist nicht dafür zu kritisieren, dass er wie wir als Linke die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I fordert; zu kritisieren ist nur, dass er dafür das Geld den jungen Arbeitslosen wegnehmen will. Das ist absurd und gesellschaftspolitisch kontraproduktiv.
(Beifall bei der LINKEN - Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD), zur FDP gewandt: Das verhindert die FDP mit!)
Wir als Linke haben einen Antrag zur Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I eingebracht. Am Donnerstag wird dazu eine namentliche Abstimmung stattfinden. Dann werden die Bürgerinnen und Bürger wissen, wer wirklich wofür steht. Wir beantragen zusätzlich die Anhebung des Arbeitslosgeldes II auf 420 Euro im Monat und übernehmen damit die begründete Forderung der Wohlfahrtsverbände. Auch hier, so denke ich, müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, wofür sie stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Obwohl ich einiges Positive benannt habe, will ich vor Euphorie warnen, nicht nur was den Linksruck in der CDU betrifft, sondern auch was den wirtschaftlichen Aufschwung betrifft. Es gibt eine verbreitete Wahrnehmungsstörung bei CDU, CSU und SPD. Es gibt nämlich nicht den Aufschwung. Der wirtschaftliche Aufschwung ist klar dreigeteilt. Für einen sehr kleinen Teil der Gesellschaft geht es immer aufwärts, egal wie die allgemeine wirtschaftliche Lage ist. Ich denke zum Beispiel an die 300 reichsten Deutschen, die jedes Jahr im „Manager-Magazin“ genannt werden.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Was lesen Sie denn alles?)

Egal ob Krise oder Konjunktur, es herrscht immer Champagnerstimmung und es gibt immer einen Grund für die Vorstände von Siemens, der Deutschen Bank oder der Deutschen Bahn, sich die Gehälter dramatisch zu erhöhen. Dieser Teil der Bevölkerung lebt in Sicherheit, weil es wirtschaftlich und politisch für ihn keine Überraschung gibt. Der Bundesrechnungshof hat in der letzten Woche kritisiert, dass es vor allem im Süden Deutschlands schon Steueroasen für Millionäre gibt. Besserverdienende haben dort bei einer normalen Lebenserwartung Prüfungen des Finanzamtes nicht zu erwarten. Diese Situation ist wirklich obszön, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Mittelschicht wird das Leben immer mehr zu einer Fahrt in der Achterbahn. Angst macht sich breit. Immer mehr Menschen stehen vor existenziellen Fragen: Werden sie ihre Arbeit behalten? Verzichten sie auf ihr Gehalt, um ihre Arbeitsplätze scheinbar zu sichern und um dann doch, wie die Mitarbeiter von BenQ, entlassen zu werden?
Und was noch schlimmer ist: Für eine immer größer werdende Gruppe von Menschen in unserem Land wird der soziale Abstieg durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung nicht einmal aufgehalten. Diese Menschen haben trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs keinen Cent mehr in der Tasche. Im Gegenteil, gerade arme Menschen werden durch die Politik dieser Regierung noch ärmer und ihre Chancen, aus der Armut zu entfliehen, noch geringer. Wir teilen diese Einschätzung übrigens mit Bischof Huber. Er erklärte in der vergangenen Woche, es sei skandalös, dass in unserem reichen Land Armut wieder erblich ist. Ich glaube, das ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Besonders bedrückend ist die Konzentration der Armut in den neuen Ländern. Aber das spiegelt sich im Haushalt 2007 nirgends wider. Die meisten vermeiden auch, über Armut zu sprechen, sondern sprechen zum Beispiel von der Überschuldung einiger Bundesländer und von der angeblichen Verschwendung von Solidarpaktmitteln in Ostdeutschland. Der Zusammenhang von Armut und Überschuldung ist offensichtlich noch nicht allen deutlich geworden. Nicht nur die Herren Stoiber, Koch und Wulff, sondern auch Herr Steinbrück forderte nach dem Urteil gegen Berlin Verschuldungsobergrenzen für die Länder. Das klingt gut, das klingt entschlossen, das ist aber grober Unfug. Damit würde man nämlich gegen die Erscheinung eines Problems vorgehen, nicht aber die Ursachen bei den Wurzeln packen.

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Das ist Verschwendung, meinen Sie? Das Problem heißt Verschwendung!)

Sechs Bundesländer haben verfassungswidrige Haushalte. In diesen Ländern ist die Nettokreditaufnahme höher als die Investitionen. Wenn aber sechs von 16 Bundesländern, Herr Kollege, ihren Haushalt nicht in den Griff bekommen, kann man ja wohl nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Dafür muss es doch wohl gemeinsame Ursachen geben.

(Dirk Niebel (FDP): Kollektive Verschwendung!)

Die Finanzkrise des Bundes, der Länder und Gemeinden ist vor allem ein Ergebnis der falschen Steuerpolitik der alten und der neuen Bundesregierung.
(Beifall bei der LINKEN)
Allein die Steuersenkungen der rot-grünen Bundesregierung haben jährliche Ausfälle von 60 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemeinden verursacht.
Ein letztes Wort noch zur Finanzsituation Berlins. Kulturstaatsminister Neumann wirft Berlin vor, dass es aus der Finanzierung des Stadtschlosses aussteigt. Diese Kritik ist mir völlig unverständlich. Die Bundesregierung kann doch nicht einerseits behaupten, Berlin spare nicht ausreichend, und gleichzeitig erwarten, dass Berlin ein völlig nutzloses Stadtschloss mit dreistelligen Millionenbeträgen finanziert. Das wäre wirklich Verschwendung. Herr Kollege Niebel, an der Stelle hätten Sie „Verschwendung“ dazwischen rufen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen, ob der Haushalt 2007 einen Beitrag dazu leistet, die Probleme der Gegenwart und der Zukunft in unserem Land zu meistern. Der Haushalt 2007 belastet vor allem arme Menschen, Rentner, Familien und Kinder mit rund 30 Milliarden Euro. Gleichzeitig aber plant die Bundesregierung eine Unternehmensteuerreform, die die Unternehmen um 29 Milliarden Euro entlasten soll. Das ist nicht nur sozial ungerecht, das ist obszön.
(Beifall bei der LINKEN - Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Das stimmt ja auch nicht!)
Dabei liegt der effektive Steuersatz für Unternehmen in Deutschland schon jetzt bei nur 16 bis 18 Prozent und damit sind deutsche Unternehmen weltweit mehr als wettbewerbsfähig. Es bedarf also keiner weiteren Steuerentlastung von Unternehmen. Wer das fordert, vertritt Lobbyinteressen und nicht die Interessen des gesamten Volkes, wie es unser grundgesetzlicher Auftrag ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
Wer behauptet, dass die Unternehmensteuerreform den Steuerzahler gar nichts kosten wird, der erinnere sich bitte an die letzte Steuerreform: Im Jahre 2001 wurden in Deutschland zum Beispiel noch 25,5 Milliarden Euro Körperschaftsteuer gezahlt. Ein Jahr später fielen die Einnahmen unter null und die Finanzämter mussten sogar 426 Millionen Euro an Unternehmen zurückzahlen. Wenn das nicht eine Umverteilung von unten nach oben ist!
Wir als Linke wollen einen politischen Richtungswechsel. Weitere Steuersenkungen für Unternehmen schaffen keine neuen Arbeitsplätze. Das hat die alte, rot-grüne Regierung eindrucksvoll bewiesen. Dafür wurde sie abgewählt. Die Lasten in unserem Land müssen neu verteilt werden. Starke Schultern müssen wieder mehr tragen und schwache Schultern müssen entlastet werden. Wer diesen Richtungswechsel nicht will, der setzt auf Konfrontation und nimmt das Auseinanderdriften in unserer Gesellschaft billigend in Kauf. Sagen Sie nicht hinterher, Sie hätten es nicht gewusst!

(Beifall bei der LINKEN)

Während der Haushaltsberatungen ging es auch um die Verwendung der zu erwartenden Mehreinnahmen. Der SPD-Vorsitzende Beck schlug als Erstes vor, dieses Geld in die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu stecken. Einen absurderen Vorschlag eines SPD-Vorsitzenden habe ich lange nicht gehört. Aber er wurde ihm augenscheinlich relativ schnell ausgeredet.
Wir als Linke wollen die Mehreinnahmen nutzen, um grobe Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Wie bereits erwähnt, wollen wir das Arbeitslosengeld II bekannt als Hartz IV auf 420 Euro im Monat anheben. Weiterhin wollen wir die Zuschüsse für die Krankenkassen erhöhen, um ein Ansteigen der Kassenbeiträge im nächsten Jahr zu verhindern. Wir haben dazu einen Antrag in die Beratungen eingebracht, der von der Koalition abgelehnt wurde. Allerdings hat die Bundeskanzlerin persönlich unseren Antrag in einer Miniversion übernommen. Ihr ging es dabei allerdings weniger um höhere Beiträge als vielmehr um die Umsetzung ihres alten Konzeptes von der Kopfpauschale. Das lehnen wir als unsolidarisch ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will betonen, dass wir in unserem Entschließungsantrag und auch in den Haushaltsberatungen sowohl Vorschläge für Mehreinnahmen als auch Einsparvorschläge gemacht haben. Auf einige dieser Einsparvorschläge möchte ich hier eingehen. Ich kann dabei an den Kollegen Koppelin von der FDP anknüpfen. Die Bundesregierung will im nächsten Jahr noch einmal mehr Geld für Verteidigung ausgeben. Ich sage Ihnen: 28 Milliarden Euro sind eine Stange Geld. Zum Vergleich: Für zivile Investitionen gibt die Bundesrepublik in der gleichen Zeit nur 24 Milliarden Euro aus, also 4 Milliarden Euro weniger als für den Militärhaushalt. Ich finde, da stimmt es vorne und hinten nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ist es nicht völlig verrückt, dass wir in Friedenszeiten mehr Geld für Rüstung und Militär ausgeben als für zivile Investitionen? Offensichtlich hat fast niemand in diesem Lande damit ein Problem. Selbst der Bund der Steuerzahler, der sich sonst immer meldet, schweigt stoisch, wenn es um die Verschwendung von Steuermitteln bei der Bundeswehr geht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Bundesregierung versucht nun, die hohen Ausgaben mit der steigenden Terrorgefahr zu begründen. Doch schaut man sich die großen Beschaffungsprojekte der Bundeswehr an wir werden darüber morgen ausführlich diskutieren , erkennt man, dass die meisten dieser Projekte noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammen. Kann mir jemand aus der Koalition erklären, wie man mit Panzerhaubitzen Terroristen jagen will?

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

Nein, auch der Minister nicht.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Im Zweifel kann es der Abgeordnete Jung erklären!)

Der Innenminister hat mit der gleichen Begründung in letzter Sekunde ein 132 Millionen-Euro-Programm in den Haushaltsausschuss eingebracht. Dabei setzt man auf flächendeckende Überwachung und auf den Abbau von Bürgerrechten. Die SPD hätte ein solches Paket vor zwei Jahren nur mit spitzen Fingern angefasst und sich angewidert abgewandt. Nun hat sie zugestimmt.
(Jürgen Koppelin (FDP): Das ist leider wahr!)
Abschließend will ich auf eine weitere Einsparmöglichkeit hinweisen. Wir sind der Auffassung, dass die kostenintensive Teilung der Bundesregierung mit den Standorten Bonn und Berlin ein Ende finden muss. Der Wanderzirkus sollte spätestens bis zum Jahr 2012 beendet sein. Es kann doch nicht sein, dass wir uns in einem Land, in dem wir von jedem Mobilität und Flexibilität verlangen, diesen Luxus an ministeriellem Beharrungsvermögen leisten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, mein letzter Satz: Selbstverständlich fordern wir auch an dieser Stelle die Rücknahme der Mehrtwertsteuererhöhung. Diese Steuererhöhung ist unsozial und Gift für die Konjunktur. Sie ist genauso unsozial wie dieser gesamte Haushalt. Darum lehnen wir ihn ab. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)