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Bundesregierung packt die drängenden Probleme nicht an

Rede von Harald Weinberg,

In der Gesundheitspolitik herrscht Stillstand

Harald Weinberg (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gröhe, es wird Sie nicht wundern, dass meine Bilanz etwas anders ausfällt. Es zeichnet sich nämlich schon jetzt ab, dass die Bürgerinnen und Bürger von dieser Bundesregierung im Bereich der Gesundheitspolitik nicht viel erwarten können. Den Koalitionsvertrag kann man in großen Teilen mit den Worten „Weiter so!“ zusammenfassen. Das gilt im Guten wie im Schlechten. Dort, wo das Gesundheitssystem gut funktioniert, kann und sollte man es natürlich auch dabei belassen. Es gibt aber eben auch Probleme, die auf eine Lösung warten und die Millionen Bürgerinnen und Bürger betreffen. Der Koalitionsvertrag und die Bundesregierung wirken hier sehr uninspiriert und mutlos.
Der Dienst für Gesellschaftspolitik – dfg – bezeichnete Herrn Gröhe schon einmal als „Null-Bock-Minister“. Ich will ihm das persönlich nicht vorhalten, aber in der Gesundheitspolitik haben wir eine Null-Bock-Koalition, die die anstehenden Probleme nicht anpackt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Problem, das in Deutschland lebende Menschen wirklich betrifft – nicht nur die Kranken –, ist die ungerechte Finanzierung. Im Kern wird diese in vielen Punkten ungerecht bleiben. Erklären Sie mir, warum ein Facharbeiter mit 3 500 Euro im Monat knapp 330 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung zahlt, während der Erbe eines Hauses, der 2 500 Euro Mieteinnahmen pro Monat erzielt und nebenbei noch 1 000 Euro in Teilzeitarbeit verdient, nicht einmal 100 Euro im Monat zahlen muss. Beide haben im Monat 3 500 Euro brutto, der eine zahlt aber dreieinhalb Mal so viel wie der andere.
Ein Selbstständiger – ein Kioskbesitzer, ein Imbissverkäufer oder ein Wirt –, der sich mit gerade einmal 800 Euro im Monat über Wasser halten kann: Warum zahlt er einen Regelbeitrag von über 300 Euro? Warum muss ein privat Krankenversicherter im Ruhestand jährlich teils zweistellige Beitragserhöhungen hinnehmen, und wie soll er das in Zukunft dauerhaft bezahlen?Was ist daran gerecht, wenn die Arbeitgeber weniger zur Finanzierung der Krankenversicherung beitragen als die Arbeitnehmer?

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist daran gerecht, dass alle künftigen Beitragserhöhungen alleine von den Versicherten gezahlt werden, der Arbeitgeber davon also gar nichts mehr zahlt? Ist es sinnvoll, dass zwei Patienten mit derselben Krankheit eine unterschiedliche Behandlung bekommen, je nachdem, ob sie privat oder gesetzlich versichert sind? Das alles sind Ungerechtigkeiten, die mit einer Bürgerinnen- und Bürgerversicherung behoben werden könnten.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber genau das wollen Union und SPD bis mindestens 2017 nicht tun. So haben sie es verabredet. Deshalb haben wir bei diesen Problemen einen Stillstand. So weit, so schlecht.

Was ist mit dem Pflegenotstand in Krankenhäusern? Die Ursache hierfür liegt in der Finanzierung der Krankenhäuser, die für einen scharfen Wettbewerb der Kliniken untereinander sorgt. In diesem Wettbewerb ist das Krankenhaus am erfolgreichsten, das am meisten am Personal spart. Je weniger Pflegekräfte sich um die Patienten kümmern, desto länger dauert es bis zur Entlassung und bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und umso häufiger sterben die Patientinnen und Patienten. Das sagen uns Studien. Was ist mit der Krankenhaushygiene? 30 000 Menschen sterben jährlich an Krankenhausinfektionen – rund zehnmal so viele wie an Verkehrsunfällen –, zum Teil auch als Resultat des Personalmangels. In Deutschland wäre ein Krankenhaus, das so viel Personal zur Verfügung stellt, wie es in vergleichbaren Ländern üblich ist, binnen Monaten pleite. Da stimmt doch das Finanzierungssystem nicht. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir das Finanzierungssystem auf eine neue Grundlage stellen. Denn das darf nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, im Koalitionsvertrag geben Sie immerhin zu verstehen, dass Sie das Problem in Teilen verstanden haben. Aber Sie planen keine einzige wirkungsvolle Maßnahme, die für mehr Personal in den Kliniken sorgt. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Krankenhäuser nachweisen müssen, dass sie das ihnen von den Kassen überwiesene Geld auch für Personal einsetzen. Bereits jetzt sind die Kosten für Pflegekräfte in der Fallpauschalenkalkulation berücksichtigt. Aber wenn wir mehr Personal in den Krankenhäusern wollen – das brauchen wir auch dringend –, dann muss es mehr Geld außerhalb der Fallpauschalen geben. So einfach ist das.

(Beifall bei der LINKEN)

Mehr Geld sieht der Koalitionsvertrag aber nicht vor. Das Qualitätsinstitut, das Sie nun planen, ist sicherlich keine falsche Sache.

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Nein! Es ist positiv! Eine gute Sache!)

Das Institut wird aber keine Qualitätsverbesserungen bringen, sondern zunächst einmal nur die Qualität messen. Wenn das Personal fehlt, wird es nicht zu Qualitätsverbesserungen kommen. Was ist mit der flächendeckenden ambulanten Versorgung? Union und SPD singen bereits im zweiten Satz des Gesundheitsteils im Koalitionsvertrag ein Loblied auf die Freiberuflichkeit der Ärztinnen und Ärzte. Im Klartext heißt das, dass die Arztpraxen möglichst keine Konkurrenz bekommen sollen. Selbst dort, wo es einen Ärztemangel gibt und wo sich kein Arzt niederlassen will, darf das örtliche Krankenhaus nur so lange ambulante Leistungen erbringen, bis sich vielleicht doch ein Arzt in der Nähe niedergelassen hat. Ich frage Sie: Welches Krankenhaus tätigt unter diesen unsicheren Rahmenbedingungen die notwendigen Investitionen? Keines, vermute ich. Aber eine Maßnahme haben Sie bereits beschlossen: Der Finanzminister will einen ausgeglichenen Haushalt, und gleichzeitig ist von der wichtigsten SPD-Wahlkampfforderung, mehr Steuern von Wohlhabenden zu erheben, nichts übrig geblieben. Was also tun? Man greift in die Reserven des Gesundheitsfonds. 6 Milliarden Euro packen Sie in diesem und im nächsten Jahr aus dem Gesundheitsfonds in den Bundeshaushalt. Das ist das Geld, das die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in den letzten Jahren eingebracht haben.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Unfug! – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Quatsch!)

Der Bundeszuschuss – um das an dieser Stelle auch dem Publikum noch einmal deutlich zu sagen – dient dazu, versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren. Wenn wir den Bundeszuschuss kürzen, dann bedeutet das gleichzeitig, dass Beitragsmittel für versicherungsfremde Leistungen, beispielsweise die Mitversicherung von Familienangehörigen, herangezogen werden. Insofern gehen Sie also doch an die Beitragsmittel heran. Um diese Argumentation kommen Sie nicht herum.

(Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

Die Beitragszahler sind hauptsächlich Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen. Geschont werden dafür insbesondere Bezieher hoher Einkommen und Besitzer großer Vermögen. Insofern gilt das Motto „Nimm es den Armen und gib es den Reichen“. So könnte man diese umgekehrte Robin-Hood-Politik von Union und SPD zusammenfassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Fazit: Diese Koalition verweigert sich der Lösung drängender Probleme, entscheidet im Zweifel gegen die Versicherten und für die Arbeitgeber, für Gutverdienende und die Pharmaindustrie. Sie haben gesagt, dassder Rabatt mit dem AMNOG eingeführt wurde. Sie haben aber vergessen, zu erwähnen, dass der Rabatt vorher höher war und entsprechend gesenkt worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich fürchte, an diesem Kurs wird sich, sofern die Koalition so lange durchhält, bis 2017 nichts ändern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)