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Bundesregierung instrumentalisiert die Islamkomferenz für ihre eigenen Zwecke

Rede von Sevim Dagdelen,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Uhl, Sie haben Bischof Huber zitiert. Dazu muss ich sagen: Die christliche Arroganz, die in diesem Zitat zum Ausdruck kommt, beweist wieder einmal, dass es so wirklich nie zu einem fairen und gleichberechtigten Miteinander zwischen den Religionen kommen kann. Das wollte ich vorweg sagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Grundsätzlich begrüßt die Fraktion Die Linke jede Form der Konfliktvorbeugung, -vermeidung und -bewältigung im Rahmen der gegenseitigen Achtung und eines offenen, transparenten und regelmäßigen Dialogs. Die Bundesregierung hat jedoch die gestrige Islamkonferenz für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert. Migranten muslimischen Glaubens werden wegen ihrer Religion per se zu Integrationsunwilligen und -unfähigen erklärt.
Viel schlimmer noch: Sie werden zu potenziellen Unterstützern von Terror und somit zu einer Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik erklärt. Mit dieser Begründung werden unter anderem Daten für die Antiterrordatei mit der Angabe der Religionszugehörigkeit gesammelt.
Wann immer die Themen „Integration“ und „Islam“ in die öffentliche Debatte gebracht werden, wird suggeriert, dass Migranten nicht die notwendige demokratische Gesinnung besitzen. Deshalb wird von den Migranten ein faktisches Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Leitkultur verlangt. Dies ist ein eindeutiger Versuch, die Verfassung zu kulturalisieren, und steht im Gegensatz zum kulturellen Individualismus und Pluralismus des aufgeklärten Verfassungsstaats.
Für Die Linke ist Religion Privatsache! Die Unterscheidung von Öffentlich und Privat halten wir für eine Grundvoraussetzung einer jeden aufgeklärten und emanzipatorischen Gesellschaft.
(Beifall bei der LINKEN - Lachen der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
- Da lachen Sie, Frau Künast. - Die Zugehörigkeit der Religion zum Bereich des Privaten ist eine gesellschaftliche Errungenschaft, die man nicht aufgeben kann. Deshalb sollte es auch nicht zu dem Aufgabengebiet des Bundesinnenministers gehören, einen Euro-Islam oder gar einen Germano-Islam zu konstruieren oder zu institutionalisieren.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Das schließt eines jedoch nicht aus: eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit allen Religionen, wenn es darum geht, dass Grundwerte der Aufklärung beschnitten werden. Ich muss aber auch sagen, dass die Debatte in das Gesamtbild passt, das wir seit dem 11. September 2001, der Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh 2004 und dem Karikaturenstreit 2006 haben. Bei jeder mit Glaubensfragen im Zusammenhang stehenden Krise ist man schnell mit der Behauptung bei der Hand, der Kampf der Kulturen sei ausgebrochen. In den letzten Jahren spielt die Frage der Religion in der Öffentlichkeit eine immer stärkere Rolle. Klassische Vorstellungen von Säkularisierung verlieren an Relevanz. Länder werden nach der Religionszugehörigkeit ihrer Bevölkerungsmehrheit definiert und zu so genannten Problemländern erklärt. Herr Kollege Bosbach von der Union fordert, die Reisefreiheit von Menschen aus ebendiesen Problemländern einzuschränken. Ich frage mich, was er sagen würde, wenn Deutschland wegen der Neonazis, die es bis in die Länderparlamente geschafft haben, ebenfalls zu einem Problemland erklärt würde.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Bedeutung der Religion an sich hat auch in unserem Land zugenommen. In einem nicht unwesentlich von Vorurteilen und Angst durchsetzten Klima wird allseits zum Dialog aufgerufen. Inzwischen hat sich der interreligiöse Dialog respektive christlich-islamische Dialog zu einem Knotenpunkt in den interkulturellen Angelegenheiten entwickelt. Im Rahmen des Diskurses vom Kampf der Kulturen werden Integrationsfragen mehr und mehr in Kulturfragen übersetzt und ihre Lösung von einer interreligiösen Verständigung abhängig gemacht. Der interreligiöse Dialog wird öffentlich mit der Aufgabe betraut, bei der Integration von muslimischen Einwanderern zu helfen. So hat sich aus dem muslimischen Einwanderer der eingewanderte Muslim entwickelt.
Die politische und gesellschaftliche Anerkennung des Islam als gleichberechtigte Religion neben allen anderen Religionen ist auch eine Forderung, welche Die Linke unterstützt. Die Integration kann jedoch nicht erfolgen, wenn man sie von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen isoliert und auf die Fragen der Religion reduziert.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sie müssen bitte zum Ende kommen, Frau Kollegin.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Sofern es ein integrationspolitischer Dialog sein soll, wie es auch auf
dem Integrationsgipfel angekündigt worden ist, muss dieser übergreifend und nicht nur auf Muslime bezogen geführt werden. Andernfalls wird in der Debatte eben doch wieder eine einseitige Problemlastigkeit im Islam suggeriert.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)