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Bundesregierung hat nur warme Worte für den ländlichen Raum

Rede von Alexander Süßmair,

Tagesordnungspunkt 3 - Raumentwicklungspolitik, Ländliche Räume:

Alexander Süßmair (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss ganz ehrlich sagen: Als ich den Antrag der Koalition zu den ländlichen Räumen das erste Mal durchgelesen habe, habe ich mir auf gut Bayerisch gedacht: Ja, is’ denn heut scho’ Weihnachten?

(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ja! Wirklich schön, nicht?)

Man weiß wirklich nicht so genau, ob man jetzt lachen oder weinen soll. Sie legen in Ihrem Antrag über 100 Forderungen zum ländlichen Raum vor und wollen das Ganze in einer Sofortabstimmung durchs Parlament peitschen, anstatt uns darüber in Ruhe und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages gemeinsam fachlich beraten zu lassen. Das finde ich keine ernsthafte parlamentarische Arbeit; das muss ich ganz ehrlich sagen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daran sieht man vielleicht auch, was Ihnen der ländliche Raum und die Menschen, die dort leben, wirklich wert sind.

Aber wahrscheinlich sind Sie getrieben von der Angst vor den anstehenden Wahlen. Bisher hatten Sie in den Debatten zum ländlichen Raum ja nicht mehr als ein paar warme Worte übrig und vertraten ansonsten die Auffassung, die Menschen und die Kommunen im ländlichen Raum sollten selbst sehen, wo sie bleiben.

In Ihrem Antrag schreiben Sie nämlich zum Beispiel, dass Bund, Länder, Kommunen und nichtstaatliche Akteure in einer gemeinsamen Verantwortung stehen. – Ja, das mag schon sein. Nur, das Problem ist, dass vor allem Kommunen und nichtstaatliche Akteure ihre Verantwortung überhaupt nicht mehr wahrnehmen können, und zwar deshalb, weil die Kassen leer sind und weil die Einkommen niedrig sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik, aber leider auch der Politik der vergangenen Bundesregierungen von Rot-Grün und Schwarz-Rot.

Dann machen Sie noch einen Vorschlag, den ich besonders eigenartig finde. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Kommunen zur Kofinanzierung von Fördermitteln, zum Beispiel der Europäischen Union, private Gelder oder Mittel aus Bürgerfonds akquirieren sollten, um diese Kofinanzierung aufzubringen.

(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig! Das ist sinnvoll!)

Meine Damen und Herren, ich finde es wirklich dreist, dass die Kommunen bei den Menschen auf dem Land, die sowieso schon ihre Steuern bezahlen und im Verhältnis zu den Menschen in den städtischen Zentren weniger verdienen, auch noch entsprechende Gelder eintreiben sollen.

(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Die würden es sogar machen! Die sind bereit dazu! Die Unternehmen möchten es machen! Thema nicht verstanden!)

Sie sollten stattdessen lieber die Kriterien für Förderprogramme so umgestalten und den Bundesländern so helfen, dass sie diese Förderung auch wahrnehmen können, weil sie diese Förderung am dringendsten brauchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nein, was machen Sie? – Sie verpulvern lieber die Milliarden, um Zockerbanken zu helfen, statt den Menschen in den ländlichen Räumen und den Kommunen mit den leeren Kassen.

(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, so ist es! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Die alte Leier!)

– So ist es aber.
Ich möchte Ihnen nicht absprechen – das gilt übrigens auch für den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume vom Bundesministerium von Frau Aigner –, dass die Analyse der Probleme richtig ist. Die Analyse ist bei Ihnen häufig richtig, aber die Konsequenzen, die Sie daraus ziehen, sind häufig falsch, ebenso wie die Maßnahmen, die Sie einleiten.

(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Erstaunt uns das jetzt?)

Ich möchte hier einige Beispiele bringen.

Erstens. Sie wollen zum Beispiel die Bundesverkehrswege ausbauen. Nun ist es meiner Meinung nach nicht so, dass wir nicht schon genügend Straßen hätten!

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das sehen wir anders!)

Das Problem ist aber doch, dass es sich sowohl Bürger als auch Kommunen leisten können müssen, auf diesen Straßen etwas fahren zu lassen. Dazu kommt eben noch, dass durch die Privatisierung der Deutschen Bahn – wo ist Herr Kauder? – in den vergangenen Jahren viele Strecken im ländlichen Raum stillgelegt wurden. So schaut es doch aus. Dann ist Schluss mit der »schwäb’sche Eisebahne«. Das ist die Wahrheit, so schaut es aus im ländlichen Raum.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als zweiten Punkt möchte ich erwähnen, dass auch Sie Forschung und Wissenschaft im ländlichen Raum erhalten und fördern wollen.

(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!)

Dann muss ich Sie fragen: Warum gibt es dann immer noch das seit 1996 existierende und unter Helmut Kohl eingeführte Konzept der Zentralisierung von Ressortforschung? Das haben Sie auch nicht abgeschafft. Stattdessen haben Sie in den vergangenen Wochen bei den Haushaltsberatungen auch noch gesagt, das Bundesinstitut für Risikobewertung komme nicht nach Neuruppin in Brandenburg, also in den ländlichen Raum. Das ist doch unglaubwürdig, was Sie hier machen!

(Beifall bei der LINKEN)

Dritter Punkt: Sie wollen den Fahrradtourismus und das Fahrradwegenetz erweitern.

(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!)

Da frage ich Sie, warum Sie die Mittel dafür im Haushalt gestrichen haben. Das ist doch absurd, wenn Sie das dann hier hineinschreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann geht es noch um das Ehrenamt bzw. die Förderung des Ehrenamtes.

(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!)

Sie wollen das Rentenrecht ändern, damit Rentnerinnen und Rentner etwas mehr dazuverdienen können, wenn sie ehrenamtlich engagiert sind. Was ist aber mit den ALG-II-Empfängern? Da wird nämlich bei ehrenamtlicher Tätigkeit das ganze Einkommen voll auf die Bezüge angerechnet. Das könnten Sie auch einmal ändern, das gilt nämlich auch für kommunale Ämter.

(Beifall bei der LINKEN)

Da tun Sie aber nichts. Diese Menschen haben genauso das Recht, sich ehrenamtlich zu engagieren.

(Zuruf von der FDP: Das können sie doch!)

Dann gibt es noch Forderungen zum Ehrenamt generell, zur freiwilligen Feuerwehr und zum Katastrophenschutz. Da könnten Sie auch einmal etwas ändern, denn ehrenamtliche Tätigkeit – auch bei der Feuerwehr – ist bei Arbeitgebern nicht so gern gesehen und teilweise sogar ein Einstellungshinderungsgrund. Da könnten Sie auch einmal aktiv werden, anstatt hier nur warme Worte zu finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Eines ist wirklich dreist: Was machen Sie, nachdem Sie Ihre über 100 Forderungen aufgestellt haben? – Sie stellen das Ganze ganz unverschämt wegen der Haushaltslage sofort unter Finanzierungsvorbehalt. Man müsse die Konsolidierung berücksichtigen, den Fiskalpakt, 1 Prozent maximal für die EU. Warum stellen Sie denn keine Mittel ein, wenn Sie 100 Vorschläge machen? Sie müssen doch auch sagen, wie Sie die Vorschläge umsetzen wollen! Das ist völlig unglaubwürdig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Wie viel darf’s denn sein?)

Dann kam noch der absolute Kracher. Da könnte man fragen: Is’ denn heut scho’ Silvester? Sie haben gesagt, einer der Parlamentarischen Staatssekretäre solle Koordinator für die ländlichen Räume werden. Ist das wirklich Ihr Ernst? – In anderen Ländern beschäftigen sich ganze Ministerien mit der Entwicklung des ländlichen Raums. Aber vielleicht ist ja der Parlamentarische Staatssekretär einer der Weihnachtswichtel, die am Nordpol die Geschenke zusammenbauen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie sind hier doch der Oberwichtel!)

An der Stelle sage ich Ihnen, Herr Staatssekretär Müller und Herr Staatssekretär Bleser: Ziehen Sie sich schon einmal warm an!

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement in der Zivilgesellschaft möchten Sie eine Akademie oder eine Bundesstiftung gründen. Dazu habe ich einen guten Vorschlag an Sie. Anfang September haben die Kollegin Frau Behm und ich im Auftrag des Deutschen Bundestages als Abordnung das 12. Dorfparlament in Schweden besucht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schade ums Geld!)

Von der FDP, CDU und CSU war leider niemand dabei. Sie hätten dort vor Ort sehen können, dass uns andere Länder Lichtjahre voraus sind. Dort sind über 700 Menschen zusammengekommen, die die Interessen des ländlichen Raumes vertreten und über dessen Anliegen beraten haben. Minister haben sich die Klinke in die Hand gegeben, und die Beschlüsse, die dort gefasst werden, werden direkt in die Ministerien eingespeist. So etwas gibt es in vielen anderen europäischen Staaten. Auch in Deutschland gibt es schon Initiativgruppen, zum Beispiel in Brandenburg. Das sollten Sie unterstützen: ein Dorfparlament und eine Dorfbewegung für zivilgesellschaftliches Engagement in den ländlichen Räumen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Alexander Süßmair (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, es tut mir leid: Ihre Wunschliste ist für die Menschen im ländlichen Raum leider nichts wert. Es bleibt dabei: gute Arbeit, gute Löhne, eine lebenswerte Umwelt und eine öffentliche Daseinsfürsorge, die nicht unter finanziellen und fiskalischen Vorbehalten steht – dafür ist die Linke; das brauchen die Menschen im ländlichen Raum. Warme Worte reichen nicht.

(Beifall bei der LINKEN)