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Bundesregierung darf nicht weiter Kindeswohl gefährden

Rede von Sevim Dagdelen,

Beratung des Antrags der Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Kindernachzugsrecht am Kindeswohl ausrichten (BT-Drs. 17/12395)

 

Die Fraktion der Grünen fordert in ihrem Antrag gesetzliche Änderungen und weitere Regelungen zur Erleichterung des Kindernachzugs im Aufenthaltsrecht. Das ist gut, denn es gibt hier erhebliche Probleme in der Praxis und Mängel der Rechtslage. So ist zum Beispiel der Kindernachzug von über 16Jährigen fast zum Erliegen gekommen und subsidiär Schutzberechtigte werden gegenüber anderen Flüchtlingen beim Familiennachzug benachteiligt.

DIE LINKE teilt die Kritik und Vorschläge der Grünen weitgehend, und wird dem Antrag trotz Kritik im Detail deshalb zustimmen.

Schade und verwunderlich ist es, dass der Antrag erst so kurz vor Ende der Wahlperiode eingebracht wurde. Es macht den Eindruck, als wenn es den Grünen nur um einen Schaufensterantrag wegen des kommenden Bundestgaswahlkampfes geht. Eine gründliche Beratung und Sachverständigenanhörung zum Thema wäre dabei sicherlich sinnvoll gewesen. Dabei hätten dann auch weitergehende Forderungen meiner Fraktion eingebracht und berücksichtigt werden können. DIE LINKE ist zum Beispiel grundsätzlich dagegen, den Nachzug enger Familienangehöriger von Einkommensnachweisen abhängig zu machen, wie es im Aufenthaltsrecht regelmäßig der Fall ist. Das Menschenrecht auf Familienzusammenleben darf nicht unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt werden! Sozial ausgegrenzte Menschen und Beschäftigte mit geringer Entlohnung oder prekärer Beschäftigung dürfen nicht noch mit einer Trennung von ihren Familienangehörigen bestraft werden, wenn es diese Gesellschaft nicht schafft, sie in gute Arbeit zu bringen. 

Auch ein bisschen mehr Selbstkritik und Ehrlichkeit hätte dem Antrag gut getan. Anstatt es wieder mal so darzustellen, als habe eine „böse“ Bundesregierung den „guten“ rot-grünen Gesetzgeber hintergangen, hätten die Grünen einräumen sollen, dass die von ihnen mit beschlossene Härtefallregelung nach § 32 Abs. 4Aufenthaltsgesetz mit der Anforderung einer „besonderen Härte“ zu restriktiv ausgefallen ist. Ähnliches ließe sich zu fehlenden Nachzugsregelungen bei subsidiär Schutzberechtigten und humanitären Flüchtlingen sagen - auch hier herrschte unter Rot-Grün eisige Kälte und Untätigkeit!

Auf eine klare inhaltliche Differenz muss ich hinweisen.  DIE LINKE fordert, grundsätzlich auf DNS-Abstammungsnachweise beim Familiennachzug zu verzichten. Jenseits aller praktischen Probleme bleibt angesichts einer Vielzahl von sozialen Vaterschaften - zum Teil bekannten, zum Teil verschwiegenen (sogenannte „Kuckuckskinder“, Schätzungen gehen bis zu 12 Prozent aller Kinder)– das unauflösliche Problem, dass ein DNS-Prüfverfahren diese „sozialen“ Vater-Kind-Beziehungen systematisch ausschließt und benachteiligt. Die DNS-Prüfung kann nicht nur dazu führen, dass zu Unrecht der Kindernachzug bei sozialen Vaterschaften verwehrt wird. Es gibt zudem die Gefahr, dass bestehende Eltern-Kind-Beziehungen schwer beschädigt oder sogar zerstört werden, wenn durch den DNS-Nachweis eine fehlende biologische Abstammung erstmalig bekannt wird. Entscheidend bei der Prüfung sollten mithin die soziale Elternschaft und real bestehende Eltern-Kind-Beziehungen und das Kindeswohl sein. Natürlich sehen wir die Problematik, dass der Abstammungsnachweis durch ein DNS-Gutachten für Betroffene im Einzelfall der letzte Hoffnungsschimmer sein kann, um die Familieneinheit herzustellen. Deshalb fordern wir, dass im Gegenzug zum Verbot von DNS-Gutachten im Nachzugsverfahren im Zweifelsfall eine eidesstattliche Versicherung zum Nachweis der Abstimmung ausreichen muss. Diese Problematik wird in dem Antrag der Grünen leider nicht angesprochen.

Zum Problem des nahezu unmöglichen Kindesnachzugs bei getrennt lebenden Eltern, wenn der Herkunftsstaat kein getrenntes Sorgerecht kennt, hat die Koalition in der Zwischenzeit mit dem 3. EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz eine Neuregelung des § 32 AufenthG beschlossen. Dementgegen hat die Koalition keine Verbesserung der Familiennachzugsregelungen für subsidiär Schutzberechtigte im Gesetz zur Umsetzung der EU-Qualifikations-Richtlinie vorgenommen, obwohl dies in einem ersten Referenten-Entwurf noch vorgesehen war. Dies wurde auch in einem Schreiben der beiden Kirchen an den Innenausschuss vom 14. Mai 2013 beklagt.

Zur an sich begrüßenswerten Neugestaltung des § 32 AufenthG möchte ich noch anmerken, dass dem Wortlaut und der Systematik es hierdurch zu einer – offenkundig nicht beabsichtigten –Verschärfung des Kindernachzugs zu anerkannten Flüchtlingen gekommen ist. Denn auch von diesen werden künftig Personensorgenachweise verlangt, die Flüchtlinge im Regelfall aber nicht erbringen können. Zwar hat die Koalition den diesbezüglichen Änderungsanträgen der LINKEN bedauerlicherweise nicht zugestimmt. Sowohl im Ausschuss als auch im Plenum wurde aber von der Koalition und dem Bundesinnenministerium klargestellt, dass in diesen Fällen die Glaubhaftmachung der Personensorge ausreichend sein soll. Die Regierung steht hier im Wort und sollte entsprechende Anwendungshinweise bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes herausgeben. Die Linke wird sie immer wieder daran erinnern!