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Bürgerschaftliches Engagement ist kein Lückenbüßer für knappe öffentliche Kasse

Rede von Barbara Höll,

Rede von Dr. Barbara Höll zur 2./3. Lesung des von den Koalitionsparteien eingebrachten Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz (bzw. umbenannt in Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts)

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürgerschaftliches Engagement ist unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Was viele Menschen leisten, indem sie die Kinder zum Training oder zu Turnieren fahren, was freiwillige Feuerwehren Menschen, die Tag und Nacht in Bereitschaft sind im Einsatz leisten, was Selbsthilfegruppen für Erkrankte leisten es gibt eine Vielzahl von Tätigkeiten, die in unserer Gesellschaft von Bürgerinnen und Bürgern freiwillig übernommen werden , ist nicht hoch genug zu schätzen. Aber Ihr Gesetz hätte einen völligen Umschwung in eine Richtung zur Folge, die wir nicht gutheißen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Kollegin Frau Hinz hat darauf schon hingewiesen. Aber man kann es in dieser Debatte nicht oft genug wiederholen. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs heißt es:

In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an Bedeutung, denn die öffentliche Hand wird sich wegen der unumgänglichen Haushaltskonsolidierung auf ihre unabweisbar notwendigen Aufgaben konzentrieren müssen. Es ist daher notwendig, Anreize für die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement zu stärken ...

Das ist ein grundfalscher Ansatz. Ehrenamtliches Engagement als Lückenbüßer bei der Erfüllung gesellschaftlich notwendiger Aufgaben, also staatlicher Aufgaben, zu verstehen, ist grundfalsch. Das ist nichts anderes als das Ausnutzen der Bereitwilligkeit von Menschen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Birgit Reinemund (FDP): Das tut doch kein Mensch, Frau Höll! - Gegenruf der Abg. Iris Gleicke (SPD): Frau Höll liest nur das vor, was Sie aufgeschrieben haben!)

Eine fiskalische Entlastung des Staates als Zielstellung eines Gesetzesvorhabens bedeutet natürlich auch das wird bewusst in Kauf genommen : Der Staat wird zurückgedrängt. Sie wollen, dass der Staat immer weniger Aufgaben erfüllt.

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Das ist doch Unsinn! - Gegenruf der Abg. Iris Gleicke (SPD): Nicht nur nicht zuhören, sondern auch nicht lesen können! Das ist besonders bitter! - Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Wir haben eine Bürgergesellschaft und keine Staatsgesellschaft!)

- So steht es im Gesetzentwurf. - Das heißt, dass Sie die Erfüllung einer Reihe von Aufgaben, über die eigentlich gesellschaftlich in breitem Konsens entschieden werden müsste, durch Verlagerungen zunehmend von einem quasi privaten Bereich abhängig machen.

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Sie misstrauen den Vereinen! Sie wollen sie gar nicht! Das ist es! Alles der Staat, nichts die Vereine! So ist das!)

Ich nenne als Beispiel die Museen. Sie haben immer weniger Geld, um Kunstwerke zu erwerben. Daher springen zunehmend Stifter oder Stifterinnen ein.

(Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Darüber freuen wir uns doch!)

Das ist eigentlich etwas Gutes,

(Patrick Döring (FDP): Das ist immer etwas Gutes!)

wenn die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter auseinanderginge und wenn die Kommunen nicht immer weniger Geld zur Verfügung hätten.

(Beifall bei der LINKEN Patrick Döring (FDP): Das ist doch Quatsch! - Reinhard Grindel (CDU/CSU): Haben Sie schon einmal etwas von der Grundsicherung gehört?)

Diese Entwicklung hat zur Folge, dass über den Erwerb von Kunstwerken nicht mehr die Museumsleitung entscheidet. Welche Kunstwerke erworben werden, hängt dann vom Geschmack des Stifters oder der Stifterin ab. Das Mäzenatentum hat hier deutlich feudale Züge. Das ist die Grundlage Ihres Gesetzentwurfs. In diese Richtung können wir nicht mitgehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt viele freiwillige Tätigkeiten im sozialen Bereich. Indem Sie hier vieles in den Bereich des Ehrenamts verlagern, selbst dort, wo Menschen einen Rechtsanspruch auf Unterstützung und Hilfe haben, mutiert auch das zu einem Gnadenakt. Das widerspricht der Würde des Menschen.

(Zuruf von der FDP: Was hat das mit dem Gesetzentwurf zu tun?)

Wer einen Rechtsanspruch auf Hilfe hat, muss nicht um Hilfe betteln. Bürgerschaftliches Engagement darf nur ein Plus sein. Dann funktioniert es auch. Das wäre die richtige Richtung. Ihnen wurde das auch in der Anhörung gesagt, auch wenn Sie nun so tun, als hätten alle Fachleute Ihren Gesetzentwurf bejubelt. Nein, ich zitiere Olaf Zimmermann vom Bündnis für Gemeinnützigkeit/Deutscher Kulturrat e. V.:

Man versucht wirklich, mit diesem Gesetz bürgerschaftliches Engagement zu instrumentalisieren, es in der Zukunft quasi in bestimmte Lücken, die durch Finanzprobleme entstehen, hineinzustoßen. Diese Lücken quasi im Staatsauftrag zu erfüllen, ist nicht Aufgabe des bürgerschaftlichen Engagements.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus diesem Grundansatz ergeben sich natürlich eine Reihe von Problemen, die Sie eben nicht gelöst, die Sie gar nicht angepackt haben. Gemeinnützige Tätigkeiten sollten nicht in Konkurrenz zu regulärer Beschäftigung stehen. Ich glaube, das ist ein richtiger und guter Ansatz, sie sollten eben nur das Plus sein. Aber Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf keine Vorsorge getroffen, dass nicht auf dem Weg, auf dem wir uns in vielen Bereichen schon befinden, weitergegangen wird. Sie haben keine Maßnahmen vorgesehen, damit gemeinnützige Tätigkeiten nicht zum weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors missbraucht werden.

Schauen Sie sich doch die Situation an. Viele Vereine müssen doch folgendermaßen arbeiten: Sie zahlen erst den Menschen für bestimmte Tätigkeiten Pauschalen, bis der Jahreshöchstbetrag erreicht ist, und dann wird die Tätigkeit in einen Minijob umgewandelt. Viele ehrenamtlich Engagierte haben die Erfahrung gemacht, dass sie für Tätigkeiten, die sie übernehmen, noch vor kurzem im Rahmen einer regulären Beschäftigung bezahlt wurden.

Nehmen wir doch das Beispiel der Betreuung von Sporthallen. Schauen Sie sich an, wie viele Kommunen sich heute noch Hallenwarte leisten. Oftmals wird diese Tätigkeit den Vereinen übertragen, die sie auf ehrenamtlicher Basis wahrnehmen, anstatt dass die Kommunen einen richtigen Hallenwart einstellen, der acht Stunden am Tag für die Betreuung der Halle verantwortlich ist. Schauen Sie sich das Bibliothekswesen an. In vielen kleinen Orten oder in Schulen, die über Bibliotheken verfügen, gab es früher Bibliothekarinnen meistens sind es Frauen oder Bibliothekare. Heute wird diese Tätigkeit ehrenamtlich ausgefüllt. Es ist offenbar keine Aufgabe, die wirklich wichtig ist. Also lassen wir das von einem Ehrenamtlichen machen.

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Das kenne ich aus meiner Kommune anders!)

Daraus spricht eine Missachtung gegenüber den Menschen, die ehrenamtlich tätig sind.

Zudem geht der Gesetzentwurf an den Bedürfnissen vieler ehrenamtlich Engagierter vorbei. Sie haben sich eben so ein bisschen gefeiert: Toll, wir haben die Pauschalen erhöht, und das kommt nun wirklich allen zugute. Schauen wir uns die Realität an. Wie viele Vereine sind denn überhaupt in der Lage, die Pauschalen zu zahlen? Nach Angaben des letzten Freiwilligensurveys waren es gerade einmal 23 Prozent der Freiwilligen, die überhaupt bezahlt wurden. Über die Hälfte der ehrenamtlich Engagierten, die etwas bekommen haben, bekamen unter 50 Euro pro Monat. Da ist also die Frage, wie hoch die Pauschale ist, für sie völlig irrelevant. Viele Arbeitslose oder Rentnerinnen und Rentner engagieren sich, die in der Regel sowieso keine oder ganz wenig Steuern zahlen. Auch sie profitieren also nicht davon. Deswegen ist die ausschließliche Konzentration auf die steuerliche Förderung nicht richtig; denn sie wird nicht zur Erleichterung der Situation vieler beitragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen andere Überlegungen. Wir müssen zum Beispiel darüber nachdenken, wie ehrenamtlich Engagierte ihr Ehrenamt zeitlich mit ihrer Erwerbstätigkeit besser vereinbaren können. Wir brauchen Überlegungen, ob jahrelanges Engagement, beispielsweise in der Freiwilligen Feuerwehr, sich nicht vielleicht auch im Erwerb von Rentenpunkten niederschlagen könnte. Lassen Sie uns doch mal Maßnahmen überlegen, die nicht auf die Steuern konzentriert sind, sondern auf die wirklichen Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten sind.

(Beifall bei der LINKEN - Reinhard Grindel (CDU/CSU): Es geht um den Ersatz der Aufwendungen!)

Sie haben mit Ihrer Politik der individuellen steuerlichen Anreize einen falschen Weg eingeschlagen. Zudem beachten Sie eine Entwicklung in unserer Gesellschaft überhaupt nicht: Es gibt viele ehrenamtlich Engagierte in Vereinen, ja, es gibt aber auch viele ehrenamtlich Engagierte, die in Netzwerken und Selbsthilfegruppen tätig sind und aus verschiedenen Gründen nicht den Vereinsstatus anstreben. Denen helfen wir mit diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht. In der Praxis sieht es doch oftmals so aus, dass die ehrenamtlich Engagierten Schwierigkeiten haben, weil keine Infrastruktur vorhanden ist. Es ist doch so, dass man auch für das Ehrenamt, für das sich zehn, 15 oder 30 Leute engagieren wollen, einen Anknüpfungspunkt braucht. Es ist gut, wenn wenigstens eine Person angestellt werden könnte, die die Kasse führt, die Koordination übernimmt usw. usf. Hilfen zum Ausbau der Infrastruktur bleiben Sie auch mit diesem Gesetzentwurf schuldig. Sie beachten das bürgerschaftliche Engagement außerhalb der Vereinsstrukturen viel zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN)

Was mich besonders ärgert - das muss ich deutlich sagen -, ist die Behandlung der Menschen, die sich in Kommunalparlamenten engagieren. Menschen, die sich dort engagieren, bekommen für ihren Aufwand eine Aufwandspauschale.

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Richtig!)

Es geht um den Aufwand. Aber er wird über eine bestimmte Höchstgrenze hinaus mit ihren Bezügen aus Hartz IV, also nach dem Sozialgesetzbuch, gegengerechnet. Das ist ein Unding; denn Aufwand ist Aufwand. Dies ist für sie kein Einkommen. Hier wäre es notwendig gewesen, Klarheit zu schaffen und tatsächlich zu sagen: Das, was eine kommunale Mandatsträgerin bzw. ein kommunaler Mandatsträger erhält, bleibt anrechnungsfrei. Das wäre eine klare Aussage.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte Ihnen auch sagen, dass das, was Sie hinsichtlich der Stiftungsproblematik großartig verkündet haben, sehr zwiespältig zu sehen ist; denn gemeinnützige Stiftungen so gut sie oftmals tätig sind sind andererseits auch ein beliebtes Steuersparmodell. Dazu zitiere ich Ihnen einfach einmal aus der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Stiftungsförderung, da heißt es:

Ihr Engagement für den „guten Zweck“ kann mit erheblichen steuerlichen Vorteilen verbunden sein …

(Marco Buschmann (FDP): Warum soll es schlecht sein, etwas Gutes zu tun?)

Wir erstellen Ihnen gerne Ihre ganz persönliche Steuerexpertise, um Ihnen aufzuzeigen, wie viele Steuern Sie tatsächlich mit der Gründung Ihrer gemeinnützigen Stiftung sparen können. Sie werden überrascht sein!

Wenn wir Zahlen dazu hätten, wie sich das eigentlich auswirkt, dann, so glaube ich, gäbe es schon ein großes Erschrecken, auch in der Öffentlichkeit.

Die Linke hat Ihnen ihre Vorschläge vorgelegt.

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Ein Wünsch-dir-was-Paket! Völlig unrealistisch!)

Wir denken, wir brauchen einen anderen Ansatz, um soziales Engagement der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich zu befördern. Ihr Weg ist nicht richtig. Da Sie aber mit dem Gesetzentwurf im Konkreten einige Verbesserungen vornehmen, werden wir ihn nicht ablehnen, sondern uns enthalten.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Marco Buschmann (FDP): Mutig!))