Steffen Bockhahns erste Rdede am 19. Januar 2010 im Bundestag anlässlich der ersten lesung des Haushaltsentwurfs 2010.
Steffen Bockhahn (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich mich daran gemacht habe, zu überlegen, was zum Justizressort zu sagen wäre, habe ich feststellen müssen, dass ich dazu neige, eine Motivationsrede halten zu wollen. Ich erwischte mich dabei, dass ich immer wieder dachte: Man muss die FDP als vermeintliche Bürgerrechtspartei unterstützen. Das gilt selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dass sie sich daran erinnert, eine solche sein zu wollen, statt nur Politik nach Spendenlage zu machen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich kann Ihnen schon jetzt versichern, dass Sie mit der Linken, wenn es um die Wahrung der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern geht, eine verlässliche Partnerin haben werden.
Wirft man einen Blick in den Koalitionsvertrag, dann kann man an so mancher Stelle Angst bekommen. Sie wollen, so ist zu lesen, eine „Erscheinenspflicht von Zeugen vor der Polizei“ einführen. Mögliche Zeugen sollen im Ermittlungsverfahren künftig nicht mehr nur vor dem Richter oder dem Staatsanwalt erscheinen müssen. Sie wollen, dass man auch dazu verpflichtet werden kann, vor der Polizei auszusagen. Mit Verlaub, meine Damen und Herren von der Koalition, eine saubere Gewaltenteilung geht anders.
(Beifall bei der LINKEN)
Vermutlich verfolgen Sie dieses Ziel, weil Sie feststellen, dass die Gerichte und Justizbehörden in Deutschland überlastet sind. Diese Feststellung ist richtig. Die Lösung, die Sie vorschlagen, ist aber eindeutig nicht das geeignete Mittel.
Besser wäre es, wenn Sie dafür sorgen würden, dass die Länder in die Lage versetzt werden, das nötige Personal zur Verfügung zu stellen, damit Ermittlungen schneller geführt und Prozesse rascher begonnen werden können. Das betrifft nicht zuletzt diverse Prozesse zur Steuerhinterziehung, die wegen Verjährung nicht mehr geführt werden können. Auf diese Weise gehen dem Staat jedes Jahr aufs Neue Unsummen verloren.
Die Überlastung der Gerichte hat selbstverständlich auch viel mit der Politik der Bundesregierung in anderen Bereichen zu tun. Wer unsoziale, aber auch handwerklich schlechte Gesetze wie Hartz IV durchsetzt, muss damit leben, dass es viele Klagen dagegen gibt und die Sozialgerichte vor gigantischen Verfahrensbergen sitzen.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Egal welches Thema: Das muss kommen!)
- Wenn es nicht so berechtigt wäre, gegen Hartz IV zu klagen, dann müsste man es nicht tun. Wenn Sie ordentliche Gesetze mitverabschiedet hätten, dann wäre die Lage vielleicht nicht so dramatisch.
(Beifall bei der LINKEN - Gisela Piltz (FDP): Ich glaube, das haben Sie noch nicht ganz verinnerlicht!)
Aber diesen Verfahrenstau gibt es nicht nur bei den Gerichten, die unter die Zuständigkeit der Länder fallen. Auch bei den Bundesgerichten haben wir es mit langen Wartezeiten zu tun. Doch auch daran ändert sich nichts, obwohl Sie die Möglichkeit dazu hätten. Wo nicht über Probleme gesprochen wird, da gibt es auch keine. Also wird nicht darüber geredet, und folglich wird auch nicht die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Bundesgerichten erhöht. Leider bleibt es damit bei den langen Wartezeiten.
Dadurch, dass Sie die Judikative nicht in der Form stärken, wie es erforderlich wäre, schwächen Sie sie zwangsläufig. Das führt dazu, dass sie als eine stabile und gleichberechtigte Säule im Rahmen der Gewaltenteilung unter Druck gerät. Keiner hier will das, und keiner sollte das wollen; denn damit wäre die Demokratie ernsthaft in Gefahr.
Das Justizministerium hat die Aufgabe, Gesetzgebung und Gesetzanwendung im Bereich Justiz auf nationaler und internationaler Ebene zu ordnen und anzuwenden. Aufgabe ist es aber auch, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen und die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung zu garantieren.
Gerade die jüngste Gesetzgebung zur Bekämpfung von Terrorismus macht eine gründliche Überprüfung erforderlich. Hier wird massiv in die Grundrechte eingegriffen, sei es die Verletzung der Privatsphäre, die Speicherung von Daten oder die heimliche Überwachung der Bürgerinnen und Bürger. Ein besonderes Problem stellt dabei aus meiner Sicht immer wieder der Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches dar. Allein der Verdacht, dass jemand eine terroristische Vereinigung gebildet hat, erlaubt dem Staat Unglaubliches.
Die Freiheitsrechte der Betroffenen werden de facto abgeschafft. Betroffene haben kaum Möglichkeiten, sich zu wehren, und die Unschuldsvermutung zugunsten der Verdächtigen ist allenfalls rudimentär erhalten geblieben. Personen im Umfeld der Verdächtigen werden vorsorglich mit überwacht. Ob es einen Verdacht gibt, ist egal. Allein miteinander telefoniert zu haben, kann schon ausreichend sein.
Bei aller Einigkeit über die Notwendigkeit eines umfassenden Schutzes der Bevölkerung: Das geht zu weit und hat mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur noch bedingt zu tun.
(Beifall bei der LINKEN)
Eine verlässliche, gründliche und schnelle Justiz ist ein Wesensmerkmal funktionierender Demokratien. Es wird Zeit, dass wir neben verlässlich und gründlich auch wieder etwas schneller werden, aber nicht mit Schnellgerichten, sondern mit der erforderlichen Ausstattung.
Vertrauen der Menschen in die Demokratie und die Justiz hängen auch davon ab, ob es gleiche Voraussetzungen für alle vor den Gerichten gibt. Wenn es aber in so manchem Rechtstreit nur darum geht, wer länger durchhält, weil er das nötige finanzielle Polster für die Zeit bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung hat, dann ist dieses Vertrauen gestört. Leider häufen sich die Fälle, in denen es wie eben beschrieben läuft.
Statt neues Personal an den Bundesgerichten einzustellen, leistet das Ministerium für 3,8 Millionen Euro „Beratungshilfe für den Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft“. Ich habe an der juristischen Fakultät einer staatlichen Universität in Deutschland gelernt, dass das Grundgesetz keine Wirtschaftsordnung vorgibt, also auch nicht die Marktwirtschaft. Das ist auch gut so, und das sollte so bleiben.
(Beifall bei der LINKEN - Gisela Piltz (FDP): Deshalb vertreten Sie den Sozialismus!)
- Nein, das haben Sie falsch verstanden. Ich habe nicht gesagt, dass es der Sozialismus sein muss, auch wenn das ein Fortschritt wäre.
Mit dieser Unterstützung wird aber ganz gezielt eine bestimmte Wirtschaftsordnung in anderen Ländern im Auftrag der Bundesrepublik gefördert. Unabhängig davon, dass ich meine, dass es sich um die falsche Wirtschaftsordnung handelt: Wer kommt eigentlich auf die Idee, diese kapitalistische Wirtschaftsordnung mit ihrer sozialen Spaltung und der Ausbeutung von Mensch und Natur anderen Ländern auch noch überzuhelfen? So etwas macht man doch nur, wenn man die anderen nicht leiden kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Ungarn und weitere Staaten Osteuropas, die von uns beraten wurden, stehen oder standen vor dem Staatsbankrott. Das ist aber kein Zufall, sondern im Ergebnis eine Folge dieser Wirtschaftsordnung, die hier verbreitet werden soll. Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen dieser ist gewollt und der Implementierung einer bestimmten Wirtschaftsordnung. Hier wäre es besser, das eine zu tun und das andere zu lassen.
(Beifall bei der LINKEN)