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Bürgerrechte ernst nehmen - Petitionsrecht erweitern

Rede von Ingrid Remmers,

Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Remmers für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Ingrid Remmers (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Sehr geehrte Damen und Herren!

Dies ist nun meine zweite Rede zu einem Jahresbericht des Petitionsausschusses. Ich kann sagen: Dieser Ausschuss ist nach wie vor so lebendig wie kein anderer. Wir sind schließlich diejenigen, die anhand der oft sehr umfangreichen Akten einen Eindruck davon bekommen, welche tatsächlichen Auswirkungen Bundesgesetze in der Umsetzung haben und welche daraus entstehenden Zustände unhaltbar sind. Ich freue mich immer dann besonders, wenn auch die Regierungskoalition ein Einsehen hat und bereit ist, ihren Ministerien mal auf die Füße zu treten. Anerkennen möchte ich, dass in unseren Berichterstattergesprächen fast immer eine sehr konstruktive Atmosphäre herrscht und oft Lösungen für die Petentinnen und Petenten gefunden werden können.
Ganz im Gegensatz dazu habe ich mich in der Vergangenheit sehr darüber geärgert, wie in den öffentlichen Ausschusssitzungen manchmal mit den anwesenden Petentinnen und Petenten umgegangen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle in diesem Ausschuss sollten uns darüber im Klaren sein, dass die Petentinnen und Petenten hier ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrnehmen und einen Anspruch darauf haben, dass über ihre Anliegen sachlich diskutiert wird.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Den Bürgerinnen und Bürgern ist mit reinen Absichtserklärungen nicht geholfen. Solange die Forderungen im Kern nicht erfüllt sind, ist dem Anliegen nicht entsprochen worden. Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach Einführung einer Finanztransaktionsteuer – dafür wurden mehrere Zehntausend Unterschriften gesammelt –, auch wenn inzwischen erfreulicherweise etwas Bewegung in die Diskussion über diese so wichtige Frage gekommen ist. Es zeigt sich, dass öffentliche Petitionen tatsächlich wichtige Anstöße geben und eine wichtige Unterstützung darstellen können.
Ein weiteres Beispiel ist die öffentliche Petition der Hebammen, über die ich bereits im letzten Jahr gesprochen habe; sie hatte über 190 000 Unterstützerinnen und Unterstützer.
Die freiberuflichen Hebammen wehren sich noch immer gegen die astronomisch gestiegenen Prämien für die Berufshaftpflichtversicherung und gegen die viel zu niedrige Vergütung ihrer Arbeit durch die Krankenkassen. Sowohl im Ausschuss als auch durch die anwesenden Vertreter des Ministeriums wurde Verständnis geheuchelt. Passiert ist nichts!

(Zuruf von der LINKEN: Traurig!)

Immer mehr freiberuflich tätige Hebammen müssen die Betreuung von Hausgeburten aufgeben, ganze Geburtshäuser müssen schließen. Wenn wir hier nicht endlich etwas tun, dann ist die Wahlfreiheit für die werdenden Mütter künftig eben nicht mehr gewährleistet.

(Beifall der Abg. Sonja Steffen [SPD])

Der zu der öffentlichen Ausschusssitzung geladene damalige Staatssekretär Bahr hat diese Problematik im Zuge seiner Beförderung offensichtlich erfolgreich verdrängt.

(Stephan Thomae [FDP]: Nein, er hat sich sehr bemüht!)

Er kann sich aber sicher sein, dass wir ihn auch in seiner neuen Aufgabe als Gesundheitsminister an die Hebammen erinnern werden.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Besonders hervorheben möchte ich noch eine Petition, die ich im letzten Jahr als Berichterstatterin vorliegen hatte und die mich sehr berührt hat. Die Petentinnen und Petenten aus NRW sind sogenannte Kontingentflüchtlinge, also ehemals sowjetische Staatsbürger jüdischen Glaubens. Sie erhalten in Deutschland die Grundsicherung im Alter.
Diese Petenten, die noch die Schrecken des Krieges, unter anderem im belagerten Leningrad, erleben mussten, bekommen von der russischen Regierung eine kleine Entschädigungsrente von rund 80 Euro im Monat. Diese Kriegsentschädigung wird ihnen von deutschen Sozialämtern nun plötzlich auf die Grundsicherung angerechnet. Mit der fadenscheinigen Begründung, man könne im Bescheid ja nicht erkennen, ob es sich tatsächlich um eine Entschädigungszahlung handelt, kürzen Sozialämter die Grundsicherung um 80 Euro. Menschen jüdischen Glaubens, die unter dem deutschen Angriffskrieg gelitten haben, werden von deutschen Sozialämtern um ihre Kriegsentschädigung gebracht. Dass diese Unterschlagung nicht überall angewandt wird, sondern überwiegend in besonders armen Kommunen, macht die Sache nicht wirklich besser. Sie ist und bleibt ein Skandal!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Neben diesen Einzelpetitionen erfreuen sich die öffentlichen Petitionen im Internet – wir haben es eben mehrfach gehört – mittlerweile einer derartigen Beliebtheit, dass der Ausschuss beschlossen hat, seine Verfahrensgrundsätze anzupassen und entsprechend zu verbessern.
Wir als Linke begrüßen dabei ganz besonders den Vorschlag der FDP-Fraktion – wem Lob gebührt, der soll Lob haben –, ab 100 000 Unterstützungsunterschriften innerhalb von zwei Monaten das Anliegen zum Thema einer Bürgerstunde im Plenum zu machen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, mit diesem Vorgehen würde bewiesen, dass die Politik eben nicht taub und blind für die Anliegen von großer gesellschaftlicher Relevanz ist.
Auch wenn hier eben die Diskussion darüber entstanden ist, ob das im Petitionsrecht ursprünglich vorgesehen war: Wir haben diese Regelung geschaffen, und wir müssen der Realität, dass die Menschen dieses Instrument nutzen, jetzt auch ins Auge sehen. Deswegen unterstützen wir als Linke auch den Vorschlag, diese Anliegen anschließend in die Fachausschüsse zu überweisen und daraus konkrete Anträge und Gesetzentwürfe zu entwickeln. Ich hoffe sehr, dass diese hervorragende Initiative – ehrlich: die Linke hätte es kaum besser machen können – von allen Regierungsparteien mitgetragen wird. Sie wäre ein echter Schritt zu mehr Demokratie in unserem Land.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu guter Letzt möchte auch ich mich im Namen meiner Fraktion bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes für ihre engagierte, kompetente und zuverlässige Arbeit bedanken.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)