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Bomben in Nord- und Ostsee umgehend bergen - Bund in der Pflicht

Rede von Lutz Heilmann,

Auf dem Grund von Nord- und Ostsee lagert mindestens eine halbe Million Tonnen Munition und gefährlicher Bomben, teilweise mit Giftstoffen - überwiegend aus dem 2. Weltkrieg. Obwohl bereits fast 300 Menschen sterben mussten, streiten sich der Bund und die Länder darum, wer die Kosten übernehmen muss. Der Bund ist aber Rechtsnachfolger des deutschen Reiches - deswegen muss er die Bergungskosten auch übernehmen. Die Bundesregierung muss umgehend Handlungsfähigkeit demonstrieren.

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

vergraben, versenken und vergessen ist das Rezept aller bisherigen Bundesregierungen für unseren Sondermüll.

Seit kurzem hält das Endlager Asse II die Öffentlichkeit in Atem. Wie hier gepfuscht und vertuscht wurde, ist atemberaubend. Aber auch „gewöhnlicher“ Müll beschäftigt uns immer wieder, wenn Wohnungen auf alten Müllkippen gebaut wurden.

Eine besondere Gefahr stellt die halbe Million Tonnen Altmunition dar, die seit Jahrzehnten auf dem Grund von Nord- und Ostsee verfallen. Die haben entweder im Krieg ihr Ziel verfehlt. Oder sie wurden nach dem Krieg von Ost wie West einfach im Meer entsorgt.

Sieht ja keiner, war wohl die Devise. Atommüll sieht man auch nicht. Aber dass der gefährlich ist, bestreitet nicht einmal die Atompartei CSU.

Minen, Torpedos, Granaten und ungezählte Bomben der Kategorie „Großkampfstoffe“ sind extrem gefährlich. Dass, was die Bomben im Krieg zum Glück nicht geschafft hatten, nämlich Schiffe zu versenken, das kann aber heute jederzeit passieren!

Außer durch spontane Detonationen explodieren Bomben auch dann, wenn am Meeresboden schleifende Schiffsanker dagegen stoßen.
Da kann auch mal ein Schiff untergehen!

Besonders gefährdet sind Fischer, die mit ihren Netzen die Bomben an Bord holen. Erst im Frühjahr starben drei niederländische Fischer, als eine Bombe an Deck ihres Schiffes explodierte. Wenn sie nicht explodieren, dann zerfallen die Bomben an Deck. Atemnot, Erstickungen und Verätzungen sind die Folge, wenn Giftstoffe, die in den Bomben sind, freigesetzt werden.

Für Badende und Erholungssuchende besteht die Gefahr von Verbrennungen durch an Strände gespülte Phosphorteilchen alter Brandbomben. Diese sind leicht mit Bernstein zu verwechseln. Sobald der Phosphor jedoch getrocknet ist, verursacht er starke Verbrennungen.

Das Ökosystem ist ebenso betroffen. Fische und Pflanzen nehmen die Gifte auf, viele Fische verenden daran. Insbesondere die am Meeresboden lebenden Flundern sind betroffen.
Und wer isst nicht gerne einmal die Ostseescholle? Sie sollte aber nicht vergiftet sein!

Seit dem Zweiten Weltkrieg sind bislang 581 Menschen zu Schaden gekommen. 283 Todesfälle sind zu beklagen. Wir reden hier also nicht über irgend so ein spinnertes Ökothema, wie das manche vielleicht abtun wollen. Wir reden hier ganz konkret über die Rettung von Menschenleben!

Und was passiert? Nichts. Dabei sind viele Lagerstätten bekannt. Und technisch ist die Bergung, wenn auch aufwändig, möglich.
Aber statt Menschenleben zu retten erleben wir seit Jahren einen kleinkarierten Streit zwischen Bund und Ländern.
Dabei geht es - worum auch sonst - um’s Geld.

Offiziell geht es natürlich um die formale Zuständigkeit. Aber wer die hat, muss eben auch die Bergung der Munition zahlen.

Derzeit ist nur die Gefahrenabwehr für den Schiffsverkehr dem Bund zugewiesen. Die Abwehr von Gefahren für Badende, Sporttaucher und Fischer außerhalb der Seewasserstrassen hingegen ist Ländersache.

Den Verletzten oder den Angehörigen der Toten ist es aber völlig egal, ob nun der Bund oder die Länder Schuld haben, dass eine Bombe auf einem Schiff explodiert.

Es kann nicht sein, dass für jede Bombe die Zuständigkeit erneut geprüft werden muss. Dann passiert nämlich lange erst einmal gar nichts.

Ich fordere deshalb, dass die einheitliche Zuständigkeit des Bundes hergestellt wird.

Warum?
Es handelt sich überwiegend um ehemals reichseigene Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Rechtsnachfolger des deutschen Reiches ist unbestritten der Bund. Der Bund ist Eigentümer der Gewässer vor den Küsten. Und die Länder sind damit schlicht finanziell überfordert.

Deshalb unterstütze ich den Antrag der Grünen. Der ist zwar etwas schwammig formuliert, aber in der Sache richtig.

Deswegen meine konkreten Forderungen an die Bundesregierung:

1. Innerhalb des nächsten halben Jahres soll der Bund die alleinige Zuständigkeit für Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee übernehmen.

2. Es ist innerhalb des nächsten Jahres eine umfassende öffentliche Meldepflicht für Sprengstofffunde, Munitionsunfälle sowie Munitionsverluste einzuführen.

3. Spätestens in einem Jahr ist mit der umfassenden und einheitlichen Katalogisierung und Kartographierung aller Munitionsfunde zu beginnen.

4. Sofort ist mit der raschen und systematischen Bergung und dem Unschädlichmachen der Altmunition zu beginnen.

Meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Sie könnten hier noch einmal Tatkraft demonstrieren. Oder wollen Sie sich bis zum Ende der Legislaturperiode nur noch streiten?

Last but not least frage ich die Bundesregierung: Wurde die Ortung und Bergung von Munition bei den Kosten der Fehmarnbelt-Querung eingerechnet? Im Fehmarnbelt liegt meines Wissens jedenfalls eine Menge davon rum.

60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollte neben dem geschichtlichen Aspekt endlich auch damit begonnen werden, die äußerst realen explosiven Hinterlassenschaften der Nazi-Diktatur aufzuarbeiten.

Es muss Schluss sein mit dem Verbrennen, dem Vergraben und dem Vergessen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Hinweis:
Diese Rede wurde wie die aller anderen Redner zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben.