Zum Hauptinhalt springen

Bittere Pillen für gesetzlich Krankenversicherte

Rede von Kathrin Vogler,

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Nüßlein, ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll, um mit all den Mythen aufzuräumen, die Sie uns hier gerade erzählt haben. Ich fange einmal mit dem Mythos der Lohnnebenkosten an. Wir reden viel über Evidenz im Gesundheitswesen. Es gibt keinen evidenten Beleg dafür, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten – also der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung – irgendwann einmal zu einer massiven Einstellungs- oder Investitionswelle geführt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Arbeitgeber stellen ein, wenn sie in ihrem Unternehmen bestimmte Leute brauchen – und nicht auf Halde, weil ihre Beschäftigung gerade so günstig ist.

Dann zum Mythos Privatversicherung, der besagt, unser Gesundheitswesen sei so gut, weil es die privaten Krankenversicherungen gebe. Das ist wirklich an den Haaren herbeigezogen. Unser Gesundheitswesen ist vor allem deshalb so gut, weil 70 Millionen Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung dafür sorgen, dass wir eine flächendeckende Infrastruktur bzw. flächendeckende Angebote für Behandlung, Prävention und andere Dinge haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann kommen wir zum Mythos Lohnfortzahlung. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist weder eine Gnade der Unternehmen gegenüber ihren Beschäftigten noch sonst irgendwie eine einseitige Belastung. Vielmehr handelt es sich dabei um ein von den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern – den Arbeiterinnen und Arbeitern sowie den Angestellten – in einem sechswöchigen Streik erkämpftes Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wird den Beschäftigten über die Umverteilung in der gesetzlichen Krankenversicherung sozusagen auf kaltem Wege wieder aus den Taschen gezogen.

Wenn Sie von GKV-Lobbyisten sprechen, die uns Rednern von der Opposition angeblich die Reden geschrieben haben, dann frage ich mich, welche Lobbyisten Ihnen diese Rede geschrieben haben. Waren das die Arbeitgeberverbände, die privaten Versicherungskonzerne oder die Kollegen der Pharmaindustrie, speziell die der forschenden Pharmaindustrie? Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir über den Gesundheitshaushalt reden, reden wir nicht über sehr viel Geld. Tatsächlich aber geht es um sehr viel Geld. Im letzten Jahr sind 212 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung eingenommen worden. Im Vergleich dazu betrug das Volumen des Bundeshaushalts im letzten Jahr nur 299 Milliarden Euro. Damit ist der Bundeshaushalt noch nicht einmal um ein Drittel größer als die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir haben also nicht zu wenig Geld im System. Aber wir müssen fragen: Ist es denn richtig verteilt? Ist es sozial gerecht, wirksam und gut verteilt? Kommt es dort an, wohin es gehört, nämlich bei der Versorgung?

Natürlich weckt so viel Geld die Begehrlichkeiten derjenigen, die mit Krankheit Profit erwirtschaften wollen. Leider sind diese Bundesregierung und insbesondere dieser Bundesminister Gröhe mehr auf der Seite dieser Leute als auf der Seite der Patienten und Versicherten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was? Wo leben Sie denn?)

– Ja, das wollen Sie nicht hören. Aber ich kann das anhand der Gesetzgebung dieser Bundesregierung und dieser Koalition belegen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Dann machen Sie das doch mal!)

Noch bevor die Tinte auf dem Koalitionsvertrag trocken war, haben Sie mit dem 14. Gesetz zur Änderung des SGB V der Pharmaindustrie etwa eineinhalb Milliarden Euro jährlich geschenkt. Sie haben nämlich die Herstellerrabatte zugunsten der Krankenkassen auf besonders teure Arzneimittel von 16 auf 7 Prozent verringert. Der nächste Anschlag auf die Taschen der Beitragszahlerinnen und -zahler war das GKV-Finanzierungsgesetz von 2014. Da haben Sie die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags weiter verewigt. Sie haben außerdem beschlossen, dass künftig alle Kostensteigerungen allein von den Versicherten, also von den Beschäftigten sowie den Rentnerinnen und Rentnern, zu tragen sind.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Der Kollege Lauterbach hat gesagt, dass das gut war!)

Seit Anfang dieses Jahres finden die Menschen deswegen eine saftige Erhöhung ihrer Krankenkassenbeiträge auf dem Lohnzettel. Eigentlich müssten die Krankenkassenbeiträge noch einmal erhöht werden. Aber weil Sie das in einem Wahljahr nicht gebrauchen können, greifen Sie nun auf die Rücklagen bzw. die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zurück, damit die Beiträge nicht so brutal steigen. Das alles sind Taschenspielertricks, die am zentralen Problem nichts ändern.

Ich freue mich übrigens, dass die SPD das Thema paritätische Finanzierung wiederentdeckt hat. Die paritätische Finanzierung, also das Prinzip, dass Arbeitgeber und Rentenkasse die Hälfte der Beiträge zahlen, haben Sie zusammen mit den Grünen 2003 tatsächlich abgeschafft. Aber wir wollen da überhaupt nicht nachtragend sein. Wir laden Sie ein, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Das können wir gerne zusammen machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann kam eine ganze Reihe von Reformen, mit denen diese Bundesregierung staatliche, also gesamtgesellschaftliche Aufgaben, privatisiert und aus dem Bundeshaushalt ausgelagert hat. Jetzt müssen die Versicherten mit ihren Pflichtbeiträgen alle möglichen Projekte dieser Bundesregierung finanzieren. Ich nenne als Beispiele nur das Krankenhausstruktur- sowie das Finanzierungs- und Qualitätsgesetz, das Präventionsgesetz, das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, das E-Health-Gesetz mit dem Milliardengrab elektronische Gesundheitskarte und – last, but not least – die Privatisierung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland. Da haben Sie zunächst den Etat ordentlich aufgestockt, was die Linke unterstützt hat. Andererseits haben Sie durch eine Ausschreibungsregel dafür gesorgt, dass das nun nicht mehr Verbraucher- und Patientenschutzorganisationen machen, sondern ein Callcenter im Besitz eines Finanzinvestors. Das ist wirklich ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie in Ihrem Koalitionsvertrag schreiben: „Im Zentrum unserer Gesundheitspolitik stehen die Patientinnen und Patienten und die Qualität ihrer medizinischen Versorgung“, dann fragen Sie doch einmal diese Patientinnen und Patienten, was bei ihnen angekommen ist. Seit 2013 wurden 43 Krankenhäuser geschlossen, und zwar nicht in den überversorgten Gebieten, sondern auf dem Land. 2 665 Betten wurden stillgelegt, aber es wurden 400 000 Fälle mehr behandelt. Gleichzeitig haben die zehn größten Klinikkonzerne im letzten Jahr fast 1 Milliarde Euro Gewinn gemacht, alles aus Steuergeldern und den Mitteln der gesetzlich Versicherten. Deswegen sage ich Ihnen: Die Gesundheitspolitik dieser Koalition ist nicht im Interesse der Patientinnen und Patienten, nicht im Interesse der gesetzlich Versicherten. Deswegen müssen Sie sie verändern.

(Beifall bei der LINKEN)