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Birke Bull-Bischoff: Schulische Ausbildungen endlich reformieren

Rede von Birke Bull-Bischoff,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es war klar, dass die wirtschaftliche Krise auch die berufliche Ausbildung in schwieriges Fahrwasser bringen wird. Deshalb haben wir bereits vor dem Sommer einige Maßnahmen für ein Krisenmanagement vorgeschlagen, um Azubis zu schützen, um die Qualität der Ausbildung unter Krisenbedingungen zu sichern und letztlich, über den Tellerrand hinausblickend, um Ausbildung auch krisenfest zu machen.

Vorgeschlagen war und ist, einen Ausbildungsbonus für Unternehmen zu finanzieren. Den gibt es inzwischen. Wir sagen aber: Es muss prinzipiell darum gehen, über eine solidarische Umlagefinanzierung der Ausbildung vor allen Dingen Klein- und Kleinstunternehmen finanziell zu unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Bertelsmann-Studie wurden die Ausbildungskosten als ein wesentlicher Grund dafür herausgearbeitet, dass sich Klein- und Kleinstunternehmen aus der Ausbildung zurückziehen.

Wir sagen: Wir brauchen ein Recht auf Ausbildung. Das heißt ganz praktisch für diejenigen, die im Moment keinen Ausbildungsplatz finden, dass sie einen bekommen, der öffentlich finanziert ist,

(Beifall bei der LINKEN)

und zwar, ja, im Bereich der außerbetrieblichen Ausbildung, als Maßnahme in der Krise, wohlgemerkt, und eben nicht als Dauerzustand; denn wir haben schon über 2 Millionen junge Menschen, die ohne Berufsausbildung auf dem Arbeitsmarkt unterwegs sind.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Viel zu viele!)

Wir wissen alle, was das bedeutet. Das kann nicht so bleiben; denn eine gute Ausbildung entscheidet letztlich sehr grundsätzlich über gute Arbeit und gute Löhne, und wir brauchen ausgebildete Fachkräfte.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum eigentlich haben künftige Erzieherinnen und Erzieher kein verbrieftes Recht darauf, eine Ausbildungsvergütung zu bekommen? Wir finden das falsch, wir finden das ungerecht; das muss und kann geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit vielen Jahren weise ich auf dieses Thema hin; doch wir kommen nicht voran. Mehr als 25 Prozent der jungen Leute wählen diese schulische Ausbildung – Gesundheits- und Pflegeberufe, pädagogische Berufe –, und es sind meistens Frauen. Vielfach kriegen sie keine Ausbildungsvergütung und erwerben damit keine Rentenanwartschaft. Bestenfalls gibt es vorübergehende Lösungen, die durch die Bundesgelder für zwei Jahre gesichert sind. Mitunter müssen sie Schulgeld zahlen, nämlich dann, wenn sie bei freien Trägern ausgebildet werden. Auch das ist unterschiedlich geregelt. So ist zum Beispiel eine assistierte Ausbildung – eine unterstützende Maßnahme gemäß SGB III – für sie nicht zugänglich. Es gibt kein verbrieftes Recht auf eine Auszubildendenvertretung, wie wir es aus dem BBiG und der Handwerksordnung kennen, und auch die Sozialpartner sind außen vor, wenn es darum geht, wie ein Beruf entsteht, wie er weiterentwickelt wird, wie er zukunftsfest gemacht werden kann. Ich finde, das muss sich ändern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist Ihnen ja selbst bekannt, dass da was schräg ist, und zwar schon seit Jahrzehnten. Im Koalitionsvertrag finden sich ja durchaus gute Absichten: der Abbau von finanziellen Ausbildungshürden für schulische Ausbildungsberufe, die Abschaffung des Schulgeldes für Gesundheitsfachberufe oder die Einführung einer Ausbildungsvergütung. Nur ist das bisher nur Text auf geduldigem Papier.

Wir haben Ihnen zwei Anträge vorgelegt. Was sind die Kernpunkte?

Zum Ersten: Ausbildungsvergütung muss verbindlich und verbrieft gewährt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Zweitens. Schulgeld gehört abgeschafft, und zwar genauso verbrieft wie im Pflegeberufegesetz.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD -Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jawoll!)

Ausbildungsverträge müssen den Aufbau von Rentenanwartschaften beinhalten. Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass gerade Frauen in sogenannten Frauenberufen am Ende eines arbeitsreichen Lebens in die Armut geführt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen für die Azubis – genau genommen sind es Schülerinnen und Schüler – jetzt Schutz- und Teilhaberechte, und wir müssen ihnen den Zugang zu unterstützenden Möglichkeiten gemäß SGB III und BBiG gewähren.

Was ich ebenso wichtig finde: Für die Entwicklung der Berufsbilder braucht es die Kompetenz und die demokratische Willensbildung der Sozialpartner, der Gewerkschaften, der Arbeitgeber, meinetwegen auch eine staatliche Beteiligung.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, als Erstes höre ich jetzt selbstverständlich die Rufe „Das geht alles gar nicht!“, „Da sind die Länder zuständig!“ oder „Das darf der Bund nicht!“. Doch, meine Damen und Herren, er darf. Die Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ hat sich dazu in einer Anhörung umfassende Expertise eingeholt. Der Weg wäre frei – auf der Basis der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Artikel 74 des Grundgesetzes –, wenn der Wille da wäre.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben obendrein das Fachkräftegebot gemäß SGB VIII, was uns dazu berechtigt. Also: Nur zu!

Ich unterstelle mal, dass Sie diese Vereinbarung, die Sie im Koalitionsvertrag getroffen haben, nicht zur allgemeinen Erbauung da hineingeschrieben haben, sondern um die Situation der Schülerinnen und Schüler in der schulischen Ausbildung zu verbessern. Dann machen Sie es; denn die Ungleichbehandlung von schulischer und dualer Ausbildung muss beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])