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Birgit Wöllert: Gesellschaftliche Ursachen von Suizid nicht außer Acht lassen

Rede von Birgit Wöllert,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, die hier zuschauen und zuhören! Vor fast genau zwei Jahren habe ich hier zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Suizidprävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen“ gesprochen. Heute liegt ein gemeinsamer Antrag dreier Fraktionen, der Fraktionen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, vor.

Obwohl es in den vergangenen zwei Jahren viele Gespräche und Diskussionen zum Thema Suizid gab, haben diese leider nicht zu einer inhaltlichen Qualifizierung des ursprünglichen Antrags beigetragen. Weil wir aber der Meinung sind, dass tatsächlich dringender Handlungsbedarf besteht, Möglichkeiten zu finden, die Selbsttötungen verhindern – egal aus welchen Gründen, entweder aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund bestimmter Situationen –, werden wir uns zu diesem Antrag enthalten. Ich möchte das jetzt begründen.

Erstens. Zum Welttag der Suizidprävention 2016 gab es eine gemeinsame Erklärung der Kollegin Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen, des Kollegen Heidenblut von der SPD und mir – die CDU/CSU wollte sich da nicht beteiligen –, die auch mit Expertinnen und Experten abgesprochen war. Diese Erklärung enthielt sieben gemeinsame Forderungen, die abgestimmt waren.

Hinter diesen Forderungen bleibt der vorliegende Antrag leider zurück. So fehlt völlig die Einschränkung des Zugangs zu Waffen oder bestimmten Arzneimitteln, um spontane Suizide besser zu verhindern. Es fehlt auch die Forderung nach der Bereitstellung von Forschungsmitteln im Bundeshaushalt zur systematischen Bewertung und Weiterentwicklung von Suizidpräventionsmaßnahmen. Hinzu kommt, dass Sie den gesamten Antrag mit allen Ihren Empfehlungen, Bewertungen und Bitten unter Haushaltsvorbehalt stellen. Das heißt, es darf nicht mehr kosten.

Zweitens. Schon in der Überschrift haben Sie eine scheinbar bedeutungslose Veränderung versteckt. Im früheren Antrag wurde die Unterstützung der „Menschen in Krisen“ gefordert, jetzt wollen Sie „Menschen in Lebenskrisen“ helfen. Damit wird davon ausgegangen – das kam jetzt auch bei Ihnen, Kollege Henke, zum Ausdruck –, dass es sich um die Bewältigung von ganz persönlichen Krisen in schwierigen individuellen Lebenssituationen handelt.

Die Ursachen von Krisen liegen aber nicht nur in eigenen Lebenssituationen und persönlichen Lebensverhältnissen begründet, sie können auch in gesellschaftlichen Umbrüchen und in gesellschaftlichen Zusammenhängen begründet sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Und genau das fehlt uns in Ihrem Antrag.

Sie beschreiben im Feststellungsteil ausführlich, in welchen Übergängen von einer Lebensphase zur anderen Menschen besonders suizidgefährdet sind. Das ist alles richtig; aber wir kritisieren, dass Sie in allen Ihren Maßnahmen davon ausgehen, dass die Betroffenen selbst Anpassungsstrategien entwickeln und Gesellschaft sich nicht verändert.

Wir als Linke sagen, Suizidprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei deren Erfüllung es Aufgaben für alle Beteiligten gibt. Sie betrifft alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, nicht nur des staatlichen Lebens. Eine Gesellschaft, in der ein Klima der Anerkennung, der Achtung, der Wertschätzung des Einzelnen herrscht und in der nicht Leistungsdruck, Konkurrenz, Ausgrenzung und Angst das Leben der Menschen bestimmen, bietet allerbeste Voraussetzungen für eine wirksame Suizidprävention.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau dieser Aspekt kommt in Ihrem Antrag zu kurz.

Ich denke, hier gibt es in der nächsten Legislaturperiode Möglichkeiten, konkretere Aufgabenstellungen zu formulieren, die auch diese Aspekte besser berücksichtigen. Einem solchen Antrag würde die Linke dann auch sehr gern zustimmen, und sie wäre auch bereit, daran mitzuarbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)