Zum Hauptinhalt springen

Berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Rede von Ilja Seifert,

Sehr geehrter Damen und Herren,

vor wenigen Tagen - am 4. Dezember 2008 - ratifizierte der Bundestag einstimmig die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Morgen erfolgt noch die Annahme des Gesetzes durch den Bundesrat. Die Behindertenbewegung wird dies sicher gebührend feiern und danach beginnt die Umsetzung in Bund, Ländern und Kommunen, in den Unternehmen, Bildungseinrichtungen und allen anderen Bereichen der Gesellschaft. Ich lade Sie herzlich ein zum Mitfeiern und vor allem zum gemeinsamen Kampf, um diese Konvention mit Leben zu erfüllen, sie im Alltag für alle Menschen mit und ohne Behinderungen erlebbar zu machen. Zu den hier und heute zu beratenden Anträgen gibt die UNKonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen mit Artikel 27 klar vor, was Sache sein soll: „…das gleichberechtigte Recht behinderter Menschen auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen, einschließlich Chancengleichheit, gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, einschließlich Schutz vor Belästigungen, und Abhilfe bei Beschwerden zu schützen.“ Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. DIE LINKE unterstützt ausdrücklich das Ziel, die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern - ihnen geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und dabei auch ihr Wunsch- und Wahlrecht zu berücksichtigen. Letzteres könnte über eine möglichst unbürokratische Ausführung des Persönlichen Budgets ermöglicht werden. Aus diesem Grund unterstützen wir auch die Anträge der Grünen. Ergänzend möchte ich anmerken: von einer Beschäftigung / Arbeit muss man auch leben können. Menschen mit Behinderungen sollen ihren gesamten Lohn - wie alle anderen auch - für ihren Lebensunterhalt behalten können. Gegenwärtig müssen aber sehr viele von ihnen das meiste - bis auf den gering bemessenen Selbstbehalt - nach Sozialgesetzbuch XII für behinderungsbedingte Mehrbedarfe wieder abführen.

Die derzeitige Situation ist: die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderungen ist doppelt so hoch wie bei nicht behinderten Menschen. Arbeitgeber/innen sind mehrheitlich immer noch nicht bereit, die Kompetenzen dieser Personengruppe zu schätzen. Menschen mit Behinderungen brauchen vor allem mehr Chancen, Arbeit auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Es ist nicht hinnehmbar, dass sie lebenslang in Aussonderungseinrichtungen „geparkt“ werden: von der Sonderschule zur Sonderberufsschule und dann zur Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Erforderlich sind wirksame Aktivitäten des Bundes, der Länder und Kommunen, aber auch der Wirtschaft. Gefragt sind aber auch die Gewerkschaften, Betriebsräte sowie nicht behinderte Kolleginnen und Kollegen. Deswegen wiederhole ich meinen Appell an Sie und Euch: Sorgt dafür, dass Menschen mit Behinderungen ausreichend Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. Seid kollegial und solidarisch! Schaut nicht weg, wenn Kolleginnen und Kollegen wegen ihrer Behinderung ausgegrenzt oder gemobbt werden! Ohne euch bleiben alle Gesetze und Förderprogramme wirkungslos! Hier seid ihr gefragt.

Ein weiteres offenes Problem bleibt die Entwicklung der Ausgleichsabgabe. Laut Antwort der Bundesregierung vom 31. Oktober 2008 auf meine Anfrage ist das Aufkommen der Ausgleichsabgabe rückläufig. Damit sanken zwangsläufig auch die Ausgaben der Integrationsämter und des Ausgleichsfonds - von circa 690 Millionen Euro im Jahr 2002 auf knapp 500 Millionen Euro im Jahr 2007. Insofern wäre es richtig, die Pflichtquote wieder von fünf auf sechs Prozent anzuheben. Aber die - zeitweiligen - Mehreinnahmen dürfen nicht das Ziel sein. Es geht darum, damit mehr versicherungspflichtige Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen zu generieren. Denn der Rückgang der Ausgleichsabgabe hat vielfältige Ursachen - unter anderem den, dass generell weniger Arbeitsuchende eingestellt werden. Ich meine, auch mit Blick auf die Behindertenrechtskonvention, dass wichtige und wirkungsvolle Maßnahmen zur Förderung von Menschen mit Behinderungen nicht reduziert werden dürfen, weil es aus der Ausgleichsabgabe nicht mehr zu finanzieren ist. Hier müssen dann andere Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Nicht mehr wirklich ernst nehmen kann ich das Vorgehen der Bundesregierung in Bezug auf das Persönliche Budget: Vor fast genau zwei Jahren (!) erschien der Bericht der Bundesregierung über die Ausführung der Leistungen des Persönlichen Budgets und heute erst hat er es auf die Tagesordnung des Bundestags geschafft. Warum wohl? Es scheint, die Bundesregierung hat entweder den Überblick verloren oder ist mit der Umsetzung überfordert oder beides. Im Bericht wimmelt es von Widersprüchen und undifferenzierten Zahlenangaben. Es gab bereits vor der Modellphase Budgetprojekte in den Ländern sowie während der Phase aber außerhalb der Modellregionen. Bewilligte Budgets in den Ländern wurden einfach addiert, obwohl die Projekte mit unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen und Finanzierungsarten experimentierten. Zudem dokumentierten die Begleitforschungsinstitute nicht alle bewilligten Budgets. Die Regierung konstatiert die geringe Inanspruchnahme des Budgets und beklagt den noch fehlenden Markt an Versorgungsangeboten. Gleichzeitig konstatiert sie, das Budget habe sich bundesweit erfreulich verbreitet, ein Marktangebot entwickle sich schon bei steigender Nachfrage (hat es in Rheinland- Pfalz mit den meisten Budgetbewilligungen aber nicht) und Beratungsleistungen würden mancherorts unentgeltlich erbracht (in der Praxis weigern sich Sozialhilfeträger überwiegend, diese Leistungen anzuerkennen). Im Bericht wird weder die Frage erörtert, ob die Einführung des Marktprinzips in die Versorgungsstruktur Behinderter geeignet ist noch wird er dem Auftrag in § 17 gerecht, nach dem die Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen und Verfahren zur Bemessung budgetfähiger Leistungen in Geld erprobt werden sollten. Auch der Punkt Bedarfsfeststellungsverfahren wird vernachlässigt, ebenso eine Analyse über die nur seltene Bewilligung trägerübergreifender Budgets. Auf den Hauptkritikpunkt von Verbänden, dass das Budget einerseits den individuellen Bedarf decken soll, andererseits die Höhe des Budgets die bisherigen Kosten der Leistungen an Behinderte nicht überschreiten soll, geht der Bericht nicht ein. Die bestehenden Probleme bei der effektiven Umsetzung dieser Leistungsform sind weder mit Öffentlichkeitsarbeit zu lösen noch mit der Illusion, der Markt werde es schon richten.

Das Instrument Persönliches Budget ist wichtig, um dem Wunsch- und Wahlrecht der Anspruchsberechtigten - und damit auch der UN-Behindertenrechtskonvention - gerecht zu werden. Seine volle Kraft kann es aber nur entfalten, wenn es nicht kostensparend eingesetzt sowie einkommens- und vermögensunabhängig gewährt wird. Leider wurde der Antrag der LINKEN auf ein bedarfsgerechtes Nachteilsausgleichsgesetz (16/3698) abgelehnt. Jetzt aber steht die Bundesregierung von völkerrechtlicher Ebene her in der Pflicht, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. Bleibt zu hoffen, dass dies auch ein Umdenken in der Gesellschaft mit sich bringt.