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Beitragssatzgesetz 2013 - vergiftetes Wahlkampfgeschenk!

Rede von Matthias W. Birkwald,

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)zur zweiten/dritten Beratung desGE Bundesregierung Beitragssatzgesetz 2013 AN DIE LINKE, BT-Drs. 17/10743,AN DIE LINKE „Rentenbeiträge nicht absenken – Finanzpolster für Leistungsverbesserungen nutzen“,, BT-Drs. 17/10779,GE SPD Demographie-Fonds-Gesetz, BT-Drs. 17/10775AN Bündnis 90/Die Grünen „Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Rehabudget angemessen ausgestalten, BT-Drs. 17/11010am 25.10.2012 im Deutschen Bundestag

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Matthias W. Birkwald. Bitte schön, Kollege Matthias W. Birkwald.

(Beifall bei der LINKEN)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kolb, es gibt für Regierungsparteien nichts Schöneres, als mit Geschenken in den Wahlkampf zu gehen.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun!)

Genau das machen CDU/CSU und FDP, wenn sie jetzt die Beitragssätze von 19,6 auf 18,9 Prozent senken wollen.

Manchmal bleibt von Geschenken wenig übrig, wenn man sie erst einmal ausgepackt hat. Genau so ist es mit der Rentenbeitragssenkung: mit viel Tamtam verpackt, aber letztendlich doch nur Kleinkram und obendrein auch noch vergiftet. Ein solches Geschenk lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine Dachdeckergesellin erhält nach zweijähriger Tätigkeit ein Tarifgehalt von 2 700 Euro brutto im Monat. Wenn der Beitragssatz um 0,7 Prozentpunkte gesenkt wird, muss sie knapp 9,50 Euro weniger Beitrag in die Rentenkasse zahlen. Das heißt in Köln-Lindenthal: in der Mittagspause einmal Currywurst mit Pommes und zwei Mineralwasser.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Und was macht sie bei der Praxisgebühr von 10 Euro?)

Ein Kölner Friseur mit Tarifgehalt müsste da schon auf die Currywurst verzichten und sich auf Pommes und Kakao beschränken. Denn bei einem Bruttomonatsverdienst von 1 326 Euro kommen bei der von den Christdemokraten und den Liberalen gewollten Beitragssenkung nur noch 4,60 Euro bei ihm an. Dabei wird aber eines vergessen: Diese mit großer Geste verteilte kleine Gabe führt dazu, dass die Menschen im Alter noch schlechter vor Altersarmut geschützt sein werden.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Nein! Ausdrücklich nein, Herr Birkwald! Das wissen Sie auch!)

Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, beschenken heute die Menschen mit Currywurst und Pommes, die sich diese Beschäftigten morgen als Rentnerinnen und Rentner nicht mehr werden leisten können. Ihre Rentenpolitik, Herr Kolb ‑ vor allem die Rente erst ab 67 und die Absenkung des Rentenniveaus ‑, wird am Ende zu Rentenkürzungen führen. Genau das müssen Sie den Menschen aber auch sagen. Hören Sie auf, die Menschen an der Nase herumzuführen!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sagen Sie ihnen, dass das bisschen mehr Netto vom Brutto heute zu mehr Altersarmut morgen und übermorgen führen wird! Seien Sie einfach ehrlich! Oder noch besser: Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Herr Kollege Birkwald, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Kolb?

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Gerne.

Vizepräsident Eduard Oswald:

Bitte schön, Kollege Dr. Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Kollege Birkwald, wären Sie bereit, mir zuzustimmen,

(Anton Schaaf (SPD): Kann ich mir schwer vorstellen!)

dass die erworbenen Rentenanwartschaften in einem Jahr nicht von der Höhe des in diesem Jahr geltenden Rentenbeitragssatzes abhängen, sondern allein vom Verhältnis des verbeitragten Entgeltes eines Versicherten zum Durchschnittsentgelt in diesem Jahr, dass also der, der genau das Durchschnittsentgelt verdient, einen Entgeltpunkt bekommt? Dieser Entgeltpunkt ist aktuell 28,07 Euro wert, und zwar unabhängig von dem Beitrag, den man dafür bezahlt.

Wären Sie auch bereit, mir zuzustimmen, dass niemand, nicht einmal ein Matthias Birkwald, heute voraussehen kann, wie hoch der Rentenwert im Jahr 2030 sein wird, dass es jedenfalls keinen Automatismus gibt, dass das Nettostandardrentenniveau vor Steuern auf 43 Prozent absinkt, sondern dass wir derzeit eine deutlich günstigere Entwicklung haben? Wären Sie bereit, mir in diesen Punkten zuzustimmen?

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Herr Kollege Kolb, Sie haben das gestern im Ausschuss schon einmal versucht.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aber es hat nichts genutzt! ‑ Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Anton Schaaf (SPD)

Ich will Ihnen gerne sagen, dass Sie gerade am Schluss Ihrer Frage den wesentlichen Punkt genannt haben: Ihre Politik ist es, das Rentenniveau abzusenken.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Nein!)

Ob am Schluss 43 Prozent oder 44,5 Prozent herauskommen ‑ all das sichert deutlich nicht mehr den Lebensstandard.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir sind besser als die Opposition!)

Es ist deutlich weniger als heute, wo das Rentenniveau bei knapp 50 Prozent liegt. Gerade diejenigen, die Durchschnittseinkommen oder niedrigere Einkommen haben, schicken Sie damit in die Altersarmut. Das hat Ministerin von der Leyen ‑ das habe ich ausdrücklich gewürdigt ‑ mit ihrer Schocktabelle in der Bild am Sonntag deutlich gemacht.

Wenn Sie an der Rentenformel nichts ändern und die Kürzungsfaktoren nicht streichen, dann werden die Renten weiter absinken, und dann werden Sie damit Millionen Menschen in die Altersarmut treiben. Daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir sind viel besser unterwegs als Walter Riester!)

Meine Damen und Herren, wer jetzt den Rentenbeitrag senkt, tut nichts dafür, dass die Rente zum Leben reicht. Das habe ich gerade noch einmal erläutert. Die Rente muss wieder den Lebensstandard sichern, und sie muss vor Altersarmut schützen. Mit der ständigen Beitragssatzsenkerei ist das nicht zu machen, Herr Kolb. Das sollten Sie nicht behaupten. Das sind wenige Euro im nächsten und übernächsten Jahr, aber auf Dauer geht das Rentenniveau herunter, und damit ist das die falsche Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie sollten auch sagen, dass die Zahl der Beitragszahler eine Rolle spielt! Eine entscheidende sogar!)

Der DGB hat erkannt, dass die Beitragssatzsenkerei nichts nützt, und die CDU/CSU hat das auch verstanden; bei der FDP bin ich mir jetzt nicht so sicher. Aber dennoch wollen Sie das Problem verschlimmern. Auch die SPD tut, bisher jedenfalls, nichts gegen den freien Fall des Rentenniveaus. Die Kollegin Pothmer von den Grünen findet sogar die Absenkung des Rentenniveaus auf bis zu 43 Prozent richtig. Das Motto bei mehreren im Hause lautet also: Hauptsache, die Rentenbeiträge steigen nicht zu sehr. Das bedeutet dann aber, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ordentlich entlastet bleiben und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer privat vorsorgen sollen. Wer das nicht schafft, wird in die Grundsicherung abgeschoben. ‑ Das ist zynisch, das ist unverantwortlich, und da macht die Linke aus guten Gründen nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Rentenversicherung hat kürzlich auf das besonders hohe Armutsrisiko für Erwerbsgeminderte hingewiesen. Wer im Jahr 2000 in eine volle Erwerbsminderungsrente ging, erhielt im Durchschnitt, Herr Kolb, 738 Euro. Im vorigen Jahr waren es noch 634 Euro, also 104 Euro weniger. Wenn die Kölner Dachdeckerin vor ihrem 63. Geburtstag erkrankt und nicht mehr arbeiten kann, wird ihr die Rente um bis zu 10,8 Prozent gekürzt werden. Diese ungerechten Abschläge zu streichen, würde die Betroffenen im Durchschnitt immerhin aus der Grundsicherungsbürokratie herausholen. Das wäre zwar noch lange nicht genug, aber es wäre ein erster wichtiger Schritt. Und er ist finanzierbar! Die Abschläge abzuschaffen, würde bis zum Jahr 2030 insgesamt circa 4,6 Milliarden Euro kosten. Durch die Beitragssatzsenkung gehen der Rentenkasse 8 Milliarden Euro verloren ‑ jedes Jahr.

Meine Damen und Herren, niemand wird freiwillig krank, und deshalb müssen die Abschläge in der Erwerbsminderungsrente gestrichen werden. Das wäre locker zu finanzieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

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Die Rede als Video: www.matthias-w-birkwald.de/article/529.beitragssatzgesetz-2013-vergiftetes-wahlkampfgeschenk.html