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Behindern ist heilbar!

Rede von Ilja Seifert,

 

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute wäre eigentlich die Stunde für eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin gewesen.   (Beifall bei der LINKEN)   Anscheinend passen Menschen mit Behinderung aber nicht unter Ihre komischen Rettungsschirme. Da gehören sie aber hin.   (Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Ach, unmöglich!)   ‑ Lassen Sie mich doch erst einmal weiterreden. ‑ Die Kanzlerin hat ja nicht einmal zur Kenntnis genommen, dass am vergangenen Wochenende viele Menschen, die Opfer des Conterganskandals geworden sind, um „5 vor 12“ vor ihrem Kanzleramt standen und dort eine Petition übergeben wollten, damit ihnen endlich ein würdevolles Leben ermöglicht wird. Aber: Fehlanzeige!   Der Geist der UN-Behindertenrechtskonvention, nämlich die Betroffenen ernst zu nehmen und zu beteiligen, ist in dieser Regierung nicht angekommen. Liebe Frau von der Leyen, das muss ich Ihnen auch sagen: Fehlanzeige! Warum haben Sie denn nicht einmal den sogenannten Nationalen Aktionsplan dem Parlament als Unterrichtung zugeleitet, damit wir uns hier einmal gemeinsam darüber unterhalten und damit befassen können? Über hundert Unterrichtungen gibt es von der Regierung, diese aber nicht.   Frau von der Leyen, Sie sagen jetzt: Inklusion ist das Schlüsselwort. - Wenn dem so sein sollte: Warum übernehmen Sie dann nicht die Schattenübersetzung und erklären sie zur offiziellen Übersetzung? In Ihrer offiziellen Übersetzung kommt das Wort „Inklusion“ nämlich gar nicht vor. Sie haben sogar dagegen gekämpft, als wir es aufgenommen haben wollten.   Diese Regierung hat überhaupt nicht begriffen, worum es geht und dass es alle betrifft. Wo ist denn von Herrn Ramsauer, von Herrn Schäuble und/oder von Herrn Rösler das Konjunkturprogramm „Deutschland barrierefrei“ zur Beseitigung bestehender Barrieren? Es gibt den Vorschlag, hierfür ein Konjunkturprogramm zu machen. Das ist Wirtschaftsförderung! Zehn Jahre lang jedes Jahr mindestens 1 Milliarde Euro nur zur Beseitigung bestehender Barrieren im Baubereich, das wäre Wirtschaftsförderung vor Ort.  

(Beifall bei der LINKEN)

  Ihre Kollegin Frau Schröder sagte auf die Frage, wo in ihrem Ressort überhaupt Geld für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eingestellt ist: Das ist bei uns nicht ressortiert, das macht alles Frau von der Leyen, ich bin nicht zuständig. ‑ Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist nicht zuständig für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention?! Wo wohnen wir denn überhaupt?   Herr Bahr hat hier heute über die Verbesserung im Gesundheitswesen geredet. Wo ist denn das Konzept, mit Geld unterlegt, zur Schaffung barrierefreier Arztpraxen?
  (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)   Wir können ja gerne über zahnärztliche Behandlungen reden. Wie kommt ein Rollstuhlfahrer überhaupt auf den Stuhl? Hier haben wir wirklich noch viel zu tun. Frau Schavan, wo ist denn die behindertenpolitische Kompetenz bei zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern, bei Architekten, bei Ingenieuren?
  (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)   Wieso gibt es denn da kein Curriculum, keine Pflicht, das zu lernen?  In Karlsruhe wird demnächst der letzte Lehrstuhl für hörbehinderte Menschen aufgelöst und nicht wieder neu besetzt. Was hat das mit Inklusion und mit Umsetzung der UN-Konvention zu tun? Sie von der FDP: Wo ist denn von Ihren Ministern Westerwelle und Niebel das Programm zur Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in jegliche Aktivitäten in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit?
  Wir fordern mit dem Antrag, den wir eingereicht haben, einen einkommens- und vermögensunabhängigen Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile durch ein Teilhabesicherungsgesetz.
  (Beifall bei der LINKEN)   Da kann man den betroffenen Organisationen ‑ ForseA, dem Forum behinderter Juristinnen und Juristen, dem Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland usw. ‑ danken, dass dafür schon seit Wochen, seit Monaten und zum Teil seit Jahren Konzepte vorliegen. Sie greifen die nicht auf; wir bringen sie ins Parlament, damit etwas passieren kann. (Beifall bei der LINKEN)   Die Anträge der SPD unterstützen wir. Das passt zusammen. Als ihr noch die Denkschrift unterschrieben habt, habt ihr eine ganz andere Position vertreten. Insofern ist durchaus ein Fortschritt erkennbar.
  Frau von der Leyen, Sie machen eine große Kampagne, die „Behindern ist heilbar“ heißt. Einverstanden! Fangen wir doch bei der Regierung an! Falls Sie einen Therapeuten brauchen sollten, stelle ich mich zur Verfügung. Dann würden wir die UN-Konvention zum Regierungsprogramm machen. Das wäre eine gute Tat für Deutschland. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)