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Befragungen über Sicherheitsempfinden kontraproduktiv

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

wir haben uns mit einem Antrag der SPD-Fraktion zu befassen, der darauf zielt, das System der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland zu optimieren. Was die SPD unter Optimierung versteht, führt sie aus und unterbreitet Vorschläge, die aus ihrer Sicht zu aktuellen, umfassenden und verlässlichen kriminalstatischen Daten führen, auf deren Grundlage kriminal- und strafrechtspolitische Maßnahmen ergriffen und bestehende Systeme besser kontrolliert werden können.

 

Ich habe meine Zweifel, ob das mit den hier vorliegenden Vorschlägen tatsächlich erreicht werden kann. Auch wenn ich der SPD zustimme, dass für eine rationale Kriminalpolitik valide Fakten und solide Statistiken unerlässlich sind. Und ich stimme ihr auch darin zu, dass wir nicht an einem Mangel an Statistiken leiden sondern eher das Problem haben, dass die Statistiken aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden und mangelnder Abgleichung untereinander nicht ausreichend hilfreich und verlässlich sind. Legt man die verschiedenen Statistiken nebeneinander kommt dies gegenwärtig einem Vergleich von Äpfeln und Birnen gleich, und so lassen sich verlässliche Schlussfolgerungen nicht ziehen.

 

Was mich zweifeln lässt, ob der Antrag der SPD den richtigen Weg beschreitet und die passende Lösung für dieses Problem darstellt, ist die unter Punkt zwei beschriebene Forderung nach einer statistikbegleitenden, bundesweit repräsentativen und in regelmäßigen Abständen durchzuführenden Bevölkerungsbefragung über Opfererfahrungen und Sicherheitsempfinden, die als Ergänzung des Systems der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken dienen sollen.

 

Nicht die Befragungen an sich sind problematisch. Im Gegenteil, sie sind nützlich und notwendig. Schwierig ist, die Ergebnisse dieser Befragungen mit den Statistiken zu verknüpfen. Ich erinnere an die Erkenntnis, dass hierzulande Frauen über 60 Jahre die größte Furcht vor Kriminalität haben, die meisten Opfer von Kriminalität aber junge Männer sind. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass am Ende einer Befragung sozusagen das gefühlte Sicherheitsempfinden Eingang findet, bzw. verknüpft wird mit statistischen Erhebungen und daraus politische Schlussfolgerungen gezogen werden, müssen wir feststellen, dass dies eher kontraproduktiv, denn hilfreich sein wird.  

 

Unsere gesetzgeberische Motivation aber, das unterstelle ich jetzt mal auch der SPD, ist eine rationale Kriminalpolitik. Verbrechensfurcht ist im Bereich der Kriminologie jedoch der am schwächsten operationalisierte Bereich. Subjektives Sicherheitsempfinden und Viktimisierungsängste bedürften – bevor sie sozusagen Eingang in politische Entscheidungen finden – einer viel stärkeren Erforschung. Denn wir haben es fast immer mit einem Paradoxon zwischen objektiver Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitsgefühl zu tun. Wir wissen aus verschiedenen Untersuchungen, dass die Furcht vor Kriminalität dort am höchsten ist, wo am wenigsten Menschen von ihr betroffen sind.  Es ist also notwendig und wichtig, dass wir in Ruhe und ausführlich darüber nachdenken und diskutieren, ob die Optimierung der Kriminalstatistik einhergehen sollte mit einer Verknüpfung von subjektiver Wahrnehmung von Kriminalität. Ich denke nein, aber ich denke auch, wir sind da erst am Beginn der Diskussion.

 

Ich will im Hinblick auf meine Erfahrungen in diesem Bundestag allerdings noch eines anmerken. Die besten Kriminalstatistiken nützen uns nichts, wenn wir diese in unserem Handeln nicht berücksichtigen. Und leider muss ich feststellen, dass in vielen rechtspolitischen Fragen in der vergangenen Legislaturperiode gerade nicht auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Sachverständige gehört wurde. Vielmehr wurde zu häufig Kriminalpolitik auf Stammtischniveau betrieben. Das können wir aber nicht auf andere schieben, sondern müssen uns an die eigene Nase fassen. Ich hoffe der nächste Bundestag wird sich dieses Niveau verlassen und rationale Kriminalpolitik machen.