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Barrierefreiheit und Landwirtschaftsprivileg

Rede von Alexander Süßmair,

Tagesordnungspunkt 21 a bis c - Städtebaurecht:

Alexander Süßmair (DIE LINKE) - Rede zu Protokoll gegeben:

Wir debattieren heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts. Das Hauptanliegen des Gesetzentwurfs ist klar. Die Linke teilt die Forderungen nach Stärkung der Innenstädte und Ortskerne. Natürlich wenden wir uns gegen weitere Flächenversiegelung durch Zersiedelung. Da sind wir uns in diesem Hause wohl alle einig, und es wird allerhöchste Zeit, dass den Sonntagsreden der Bundesregierung auch Taten folgen: Der Flächenverbrauch muss aus umwelt- und agrarpolitischen Gründen dringend gestoppt werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf krankt aber an zwei Punkten:

Erster Punkt. Es fehlt das klare Bekenntnis, die 2009 beschlossene UN-Behindertenrechtskonvention auch beim Städtebau umzusetzen. Wir brauchen ein Grundrecht auf Barrierefreiheit. Das nützt nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern allen, die im Alltag behindert werden: Kindern, Alten, dem Vater mit dem Kinderwagen, der Frau mit dem Lastrad. Die Linke hat dazu einen Antrag eingebracht, den wir hier in dritter Lesung debattieren und dann abstimmen werden. Wir unterstützen aber ebenso die Anträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Barrierefreiheit. Die Oppositionsfraktionen sind sich hier, abgesehen von Nuancen, ziemlich einig. Im Gesetzentwurf der Regierung kommt die Barrierefreiheit allerdings überhaupt nicht vor. Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein? Hier müssen Sie dringend nachbessern!

Zweiter Punkt. Ihre Änderung des § 35 Baugesetzbuch geht in die falsche Richtung. In diesem Paragrafen geht es um die Privilegierung landwirtschaftlicher Gebäude im Außenbereich. Nun sollen auch gewerbliche Tierhalter davon profitieren, solange die Stallanlagen nicht unter die Umweltverträglichkeitsprüfung fallen. Das klingt kompliziert. Sagen wir es deutlicher: Die Bundesregierung will jetzt sogar die Intensivtierhaltung besser behandeln als bisher. Das geht gar nicht und ist ein Schlag ins Gesicht der Bürgerinnen und Bürger in den Regionen, die heute schon von einer extremen Konzentration der Intensivtierhaltung betroffen sind.

Die Linke spricht sich generell für die Beibehaltung des Landwirtschaftsprivilegs im Baurecht aus. Die Linke hält es aber für unumgänglich, mehrere »Verträglichkeitskriterien« für derartige Anlagen zu formulieren und gesetzlich zu regeln. Die Umweltverträglichkeitsprüfung allein reicht aber als Kriterium nicht aus. Viehdichte und Bodenverhältnisse einer Region müssen ebenso eine Rolle spielen wie Bevölkerungsdichte und die soziale Struktur. Auf der Ebene der Bundesländer sollten Eignungskataster potenzieller Tierhaltungsstandorte entwickelt werden. Diese könnten im Rahmen der Raumordnung in den Regional- oder Landesplanungen berücksichtigt werden. Ein wesentlicher Vorteil läge darin, dass sich sowohl die Akteure als auch die Bevölkerung der Region frühzeitig auf mögliche Investitionsvorhaben einstellen und sie mit beeinflussen können. Unterschiedliche Standortbedingungen fänden damit zudem Berücksichtigung.

Der klassische Naturkreislauf Boden–Pflanze–Tier– Boden muss auch in Hinblick auf die Neuansiedlung von Tierhaltungsanlagen Beachtung finden. Er ist Ausdruck regionaler Stoffkreisläufe, die im Gegensatz zum globalen Umschlag von Stoffen und Energie zum Schutz der Umwelt und des Klimas beitragen können. Somit kann auch dem Anspruch, Transportaufwendungen so weit wie möglich zu minimieren, Rechnung getragen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, gestatten Sie mir diese Bemerkung: Es geht um regionale Stoffkreisläufe, nicht zwingend um innerbetriebliche. Abgesehen davon können betriebliche Flächen weit verteilt sein. Ihre Forderung, dass 50 Prozent des Futters aus dem eigenen Betrieb stammt, hört sich vielleicht gut an, ist aber derzeit realitätsfern und greift zu kurz. Futter muss aus der Region kommen, Gülle muss in ihr verbleiben. Die Größe der Region ist von geografischen und kulturellen Faktoren abhängig und daher verschieden. Darum geht es aber nicht vorrangig. Es geht vielmehr darum, dass wir mittelfristig in der Lage sein müssen, unsere Futtermittel selbst anzubauen. Wir müssen Schluss machen mit dem Import von Soja, das in anderen Teilen der Welt unter katastrophalen sozialen und ökologischen Bedingungen produziert wird!

Sie sehen, das Landwirtschaftsprivileg in § 35 Baugesetzbuch ist ein komplexes Thema. Das Baugesetz allein kann die Frage nicht lösen, wie wir von der Intensivtierhaltung zu einer tiergerechten nachhaltigen Nutztierhaltung kommen können.