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Bahnprivatisierung ist kein Nebenkriegsschauplatz

Rede von Oskar Lafontaine,

Rede zur Aktuellen Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE »Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminister

Tiefensee entlassen, Börsengang der Deutschen Bahn

endgültig absagen«

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht heute um einen Ministerrücktritt. Daher bitte ich Sie, mir vorweg eine persönliche Bemerkung zu gestatten: Ich werde seit Jahren immer dann, wenn in der Sache nichts zu sagen ist, auf meinen Rücktritt angesprochen. Ich will dazu nur so viel sagen: Es gibt Situationen, in denen ein Minister Verantwortung übernehmen und zurücktreten muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gehört zu einem funktionierenden Parlamentarismus. Als jemand, der jahrzehntelang öffentliche Verantwortung getragen hat, habe ich allerdings die Erfahrung gemacht: Es ist immer schwer, zurückzutreten.

(Enak Ferlemann (CDU/CSU): Ihnen glaube ich das sofort!)

Es gibt eine weitere Erfahrung, die ich gemacht habe und die ich Ihnen mitteilen möchte: Politische Würstchen treten nie zurück, weil sie dazu viel zu feige sind.

(Beifall bei der LINKEN - Thomas Oppermann (SPD): Oh! Dann waren Sie also mutig! Dann war Ihr Rücktritt ja eine Heldentat! - Heiterkeit bei der SPD)

- Ich hoffe, dass die Kamera jetzt auf die erste Reihe der SPD zeigt. Dann weiß nämlich jeder, was ich gemeint habe.

(Volker Kauder (CDU/CSU), zur SPD gewandt: Habt ihr gehört? Dann tretet mal alle schön zurück, ihr Würstchen! - Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Nun komme ich zur Sache. Die Bahnpreise sind in der letzten Zeit erheblich gestiegen, und ein öffentliches Unternehmen steht in der Kritik. In einer solchen Situation schaut die Bevölkerung natürlich genau hin. Hier geht es nicht um einen Nebenkriegsschauplatz, wie es einer der Redner der Regierungsfraktionen formuliert hat, sondern darum, wie sich die Bundesregierung zu Kernfragen, über die zurzeit diskutiert wird, verhält.

Eine dieser Kernfragen ist die Privatisierung. Es ist eine Tatsache, dass die Privatisierung insbesondere angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise zu einem regelrechten Rohrkrepierer wird. Privatisierte Betriebe werden erhebliche Arbeitsplatzverluste zu verzeichnen haben, es kommt nach wie vor zu Lohndrückerei und Leiharbeit, und Leiharbeiter sind immer die Ersten, denen gekündigt wird. Es ist so, als gingen Sie blind durch die Gesellschaft und als würden Sie nicht zur Kenntnis nehmen, welche schädlichen Folgen bereits eingetreten sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Privatisierung der Bahn ist nicht irgendein Nebenkriegsschauplatz. Wie kann man nur ein solches Fehlurteil abgeben! Die Privatisierung der Bahn ist ein Thema, das viele Menschen in der Bundesrepublik beschäftigt.

Um eines in aller Klarheit zu sagen: Der Hauptakteur ist nicht die Bundesregierung. Der Hauptakteur und der Verantwortliche für die Geschäfte der Bahn ist ihr Vorstandsvorsitzender. Im Grunde genommen leitet er die Bahn, nicht die Bundesregierung. Sie ist mehr oder weniger ein Mitspieler, dem der Bahnchef hin und wieder - in welcher Form auch immer - Möhrchen hinhält, damit sie so funktioniert, wie er es gern hätte. Die Bahn ist ein klassisches Unternehmen, in dem der Vorstand alles bestimmt und in dem der Gesellschafter nichts zu sagen hat. Das haben wir zu kritisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre ein Grund, denjenigen, der dort den Gesellschafter vertritt, zurückzuziehen. Es kann doch nicht sein, dass der Vorstand eines öffentlichen Unternehmens macht, was er will!

Es gibt auch in den Gemeinden und in den Ländern öffentliche Unternehmen. Hier muss zumindest gewährleistet sein, dass die Verantwortlichen die Gesellschafterrechte richtig wahrnehmen. Das können sie offensichtlich aber nicht.

Ich habe immer wieder versucht, an einem Beispiel, das auch Sie schon angesprochen haben, deutlich zu machen, dass Ihnen die Zusammenhänge gar nicht bewusst sind. Wenn die Bundesregierung die Begrenzung von Managerbezügen zum Thema macht, dann zeigt das, dass Sie das, was Sie sagen, überhaupt nicht ernst meinen. Denn in dem Unternehmen, an dem sie 100 Prozent hält, lässt sie zu, dass genau das Gegenteil von dem geschieht, was sie angeblich will. Man gewinnt den Eindruck, dass nicht der Aufsichtsrat die Höhe der Managerbezüge bestimmt, sondern dass der Vorstand selbst sagt, wie viel er haben will, und dass dies dann von allen anderen abgenickt wird. Das sind doch die Zustände, die bei der Bahn zu beobachten sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade in der gegenwärtigen sensiblen Zeit haben Sie das Thema Bonuszahlungen in die Diskussion gebracht. Der Minister allerdings weiß gar nicht, ob er sie mitzuverantworten hat oder nicht. Vieles wird aus Ihren öffentlichen Äußerungen gar nicht klar. Dass es überhaupt möglich ist, dass bei einem öffentlichen Unternehmen mit einer solchen Gehaltsstruktur auch noch Bonuszahlungen thematisiert werden, zeigt, dass dort alle Maßstäbe verlorengegangen sind. Deshalb müssen die Verantwortlichen aus unserer Sicht Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt über Bonuszahlungen und weitere Gehaltserhöhungen für die oberen Etagen zu diskutieren, sollte man lieber die Fahrpreiserhöhungen - meine Kollegin hat dies gefordert - zumindest reduzieren, wenn nicht ganz unterlassen; das wäre besser. Denn die Menschen haben kein Verständnis dafür, dass auf der einen Seite Millionengehälter gezahlt werden und auf der anderen Seite Hartz-IV-Empfänger zur Kasse gebeten werden, wenn sie einmal mit der Bahn fahren. Dafür haben die Menschen überhaupt kein Verständnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Als jemand, der im Gegensatz zu den Personen auf der ersten Bank hier lange Jahre Gesellschafterrechte ausgeübt hat, sage ich Ihnen: Wenn man Gesellschafterrechte ausübt, dann muss man die Geschäftspolitik des Unternehmens mitbestimmen und in der Lage sein, dem Vorstand Grenzen aufzuzeigen.

(Uwe Beckmeyer (SPD): Das ist aber eine arrogante Rede!)

Dies ist offensichtlich völlig aus der Mode gekommen, insbesondere bei dem Bundesunternehmen Bahn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielmehr ist es so, dass sich der Vorstand die Politik mehr oder weniger, so sage ich einmal, geneigt macht. Deswegen ist der Vorstandsvorsitzende vielleicht auch geeignet, Vorsitzender eines Kaninchenzuchtvereins zu werden, weil er sich hervorragend auf die Möhrchenfütterung versteht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Auf der anderen Seite hat er aber überhaupt nicht erkennen lassen, dass er aus der letzten Zeit Konsequenzen gezogen hat. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass die ganze Diskussion über die Leidtragenden der Finanzkrise und diese Maßlosigkeit, die überall Platz gegriffen hat, zu keinerlei Konsequenzen bei der Bahn führt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wir sagen auf jeden Fall: Die Bundesregierung ist unglaubwürdig, wenn sie etwas über das Managerverhalten, die Begrenzung von Managergehältern usw. sagt, wenn sie im eigenen Laden nicht für Ordnung sorgt. Für uns ist diese Bahn mehr oder weniger - ich möchte es einmal so sagen - ein ungeordneter Betrieb

(Enak Ferlemann (CDU/CSU): Was? Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): So eine Unverschämtheit!)

- ich vermeide einen anderen Begriff - , in dem ein Einziger das Sagen hat und alle anderen mehr oder weniger an der Leine mitführt.

(Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Keinen blassen Dunst von einer Ahnung! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Das ist nicht der Auftrag, den die Bahn hat. Die Bahn sollte von der Bundesregierung geleitet und geführt werden und nicht bestimmen, worüber in diesem Hause abgestimmt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt ein Möhrchen! - Zuruf von der SPD: Für Oskar!)