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Autos töten täglich

Rede von Sabine Leidig,

Sabine Leidig (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Storjohann, Sie haben recht: Es gibt sicher wenige Bereiche, in denen die Übereinstimmungen quer durch die Fraktionen so groß sind. Trotzdem sind wir mit der Situation längst nicht zufrieden. Es gibt auch ein paar fundamentale Unterschiede in unseren Auffassungen.
Deutschland ist nicht nur der größte Waffenexporteur, sondern auch einer der weltgrößten Autoexporteure.

(Karl Holmeier (CDU/CSU): Schön! Gut!)

Auch Autos sind lebensbedrohlich. Man muss sich einmal die Dimension deutlich machen: Täglich fallen 3 000 Menschen in der Welt dem Autoverkehr zum Opfer. Das sind so viele, als wenn jeden Tag zehn vollbesetzte Jumbojets abstürzen würden.

Vielleicht erinnern Sie sich an die öffentliche Debatte, die Ende Januar nach dem schlimmen Zugunglück bei Hordorf stattgefunden hat, bei dem ein Güterzug und ein Personenzug zusammengestoßen sind. Dabei sind zehn Menschen getötet worden; 18 Menschen wurden schwer verletzt, einige so schwer, dass sie nie mehr ihr gewohntes Leben werden führen können.
Auf den Straßen Deutschlands werden aber jeden Tag mehr als zehn Menschen getötet und mehr als 200 Menschen schwer verletzt. Ich glaube, wir würden bei keiner anderen Verkehrsart akzeptieren, dass jährlich allein in Deutschland Tausende Menschen ums Leben kommen oder schwer verletzt werden. Stellen Sie sich vor, jede Woche würden 100 Menschen im Bahnverkehr umkommen oder jeden Monat würde ein vollbesetzter Passagierjet abstürzen. Ich glaube, der Bahn- und Luftverkehr würde aufs Höchste infrage gestellt.

Nicht so beim Autoverkehr. Richtig ist, dass es seit vielen Jahren Verbesserungen gibt; das ist wirklich sehr gut. Ich glaube aber, es ist auch an der Zeit und die Zeit ist gut dafür , eine andere Perspektive auf das Problem einzunehmen. Sicherheitsgurte, Airbags, Ampeln, Schilder, Warnsysteme, Helme - all das sind wichtige Maßnahmen; aber mit all diesen Maßnahmen werden die Menschen sozusagen an den Autoverkehr angepasst. Ich glaube, das Entscheidende wäre eigentlich, die Autogefahr zu bannen und in diesem Bereich energisch abzurüsten.

Der erste und wichtigste Schritt der Abrüstung ist die Entschleunigung: Die Autos müssen langsamer werden.

(Oliver Luksic (FDP): Trabbis für Deutschland!)

Unfallursache Nummer eins ist überhöhte Geschwindigkeit.

(Florian Pronold (SPD): Sollen wir die Autos schieben, oder was?)

Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass man in Europa bis zu 140 000 Unfälle vermeiden, 20 Milliarden Euro sparen und 6 000 Menschenleben retten könnte, wenn die Durchschnittsgeschwindigkeit nur um 3 Kilometer pro Stunde abgesenkt würde.

Es ist bekannt, dass das aggressive Fahren dadurch unterstützt wird, dass auf den Autobahnen kein Tempolimit existiert. Die meisten Menschen, die von einem Auto mit 30 Stundenkilometern erfasst werden, überleben diesen Unfall. Von den Menschen, die von einem Auto, das 50 Stundenkilometer fährt, erfasst werden, sterben die meisten. Das ist ein gravierender Unterschied, den man nicht wegwischen kann. Spätestens, wenn es um Leben und Tod geht, muss man Tempolimits durchsetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man kann Aufklärungskampagnen machen und Prüfaufträge erteilen, wie es die SPD vorschlägt. Das ist aber nicht nötig. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Selbst der Wissenschaftliche Beirat zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit, den sich der Bundesverkehrsminister leistet, empfiehlt ganz eindeutig Tempolimits. Das ist eine einfache Maßnahme, die nichts kostet und ausgesprochen wirksam ist. Wir brauchen maximal 120 Stundenkilometer auf den Autobahnen und in den Städten Regeltempo 30.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Mehrheit der Bevölkerung sieht längst ein, dass solche Geschwindigkeitsbegrenzungen sinnvoll sind und letztlich allen nützen. Die Straßen werden sicherer, Umwelt und Klima werden geschont das ist ein ganz relevanter Faktor , und die Lebensqualität in unseren Wohngebieten wird verbessert.
Damit komme ich zur zweiten Abrüstungslinie, die ich wichtig finde. Sie hat übrigens ganz viel mit Freiheit zu tun. Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr sich die Herren von der FDP für die Freiheit der Autofahrer einsetzen, dass sie aber überhaupt nicht über die Freiheit der Kinder, auf den Straßen spielen zu können, sprechen,

(Oliver Luksic (FDP): Da müssen Sie einmal zuhören! Das haben wir alles gesagt! Patrick Döring (FDP): Wir werden Ihnen unseren Freiheitsbegriff nicht mehr erklären!)

auch nicht über die Freiheit der Fahrradfahrer, unbehindert fahren zu können, oder über die Freiheit der Menschen, die Straßen überhaupt zu nutzen. Das finde ich ausgesprochen skurril.
Ich muss Ihnen einmal eine Geschichte erzählen. In meinem Wahlkreisbüro im Odenwald erschien neulich eine junge Mutter und erzählte, dass sie ihre beiden Jungs, die acht und zehn Jahre alt sind, jeden Tag mit dem Auto zwei Kilometer weiter ins nächste Dorf in die Schule bringt. Warum fahren sie nicht mit dem Fahrrad? Die Mutter sagt: Weil das zu gefährlich ist, weil es keinen Radweg gibt, weil die großen Lkws durch die Ortschaft drängen und weil es einfach zu viel Autoverkehr gibt.

(Patrick Döring (FDP): Dann muss man sich als Wahlkreisabgeordnete für eine Umgehungsstraße starkmachen!)

Ich glaube, das Entscheidende ist, dass wir die Wohnorte, die Städte umwelt- und menschenverträglich so umgestalten, dass diejenigen, die nicht motorisiert sind, Raum bekommen. Sie müssen unter unseren Schutz gestellt werden. Auch für sie müssen unsere Freiheitsansprüche gelten. So können wir es schaffen, dass die Vorherrschaft der Autos aufgehoben wird und tatsächlich Räume entstehen, in denen auf der Straße Lebensqualität und Sicherheit herrschen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Leidig, beachten Sie bitte das Signal. Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten.

(Florian Pronold (SPD): Das ist wegen des Tempolimits in der Rede!)
Sabine Leidig (DIE LINKE):

Mein letzter Satz: Die Linke steht für radikale Abrüstung, und das gilt auch im Straßenverkehr.

(Beifall bei der LINKEN Zuruf von der CDU/CSU: Sind alle Linken so oder nur Sie?)

Alle.