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Auszahlung der Entschädigungen für Conterganopfer

Rede von Ilja Seifert,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwas mehr als einem Jahr gab es einen Film im Fernsehen, und seitdem reden alle wieder über die Contergangeschädigten. Seit fast einem Jahr wird pausenlos kostenlose Imagewerbung für die Firma Grünenthal gemacht, weil sie versprochen hat, noch einmal gnädigerweise 50 Millionen Euro zu geben. Von den Betroffenen höre ich, dass sie von den versprochenen 50 Millionen Euro noch keinen Cent gesehen haben.

Nun sind Sie der Meinung, dass es falsch wäre, das Geld auf einmal auszuzahlen, weil es viel mehr wäre, wenn man es über viele Jahre hinweg zahlt. Lassen Sie bitte schön das Selbstbestimmungsrecht gelten, sodass jeder selbst bestimmen kann, ob er das Geld sofort auf die Hand oder auf 35 Jahre verteilt haben möchte.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann wollen wir doch einmal sehen, wie die betroffenen Menschen selbst entscheiden. Wenn diese Entscheidung gelten würde, dann wäre das Selbstbestimmung im Sinne von „nichts über uns ohne uns“.

Aber Sie entscheiden. Wir können gerade beobachten, wie die Finanzen funktionieren. Sie geben das Geld in einen Fonds, und je nachdem, was die Kapitalisierung bringt, können sie etwas auszahlen. Aber wenn die Betroffenen Pech haben und es wieder eine Finanzkrise gibt, bekommen sie eben nichts. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ziel sein.

(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Das stimmt nicht!)

- Aber selbstverständlich. Sie wollen das Geld kapitalisieren. Das steht doch in Ihrem Referentenentwurf. Sie brauchen das bloß nachzulesen.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD - Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Das Grundvermögen ist immer da!)

- Jetzt habe gerade ich das Wort. Ich will es nur noch einmal sagen.

(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Nur wenn Sie mich anreden, antworte ich Ihnen!)

- Das ist ja auch gut so. Zwischenrufe sind immer etwas Positives. Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen das bekommen, was sie brauchen.

Sie haben ja darauf hingewiesen - das finde ich sehr positiv -: Die meisten der Contergangeschädigten sehen wir alle nicht. Sie kommen kaum aus ihrem Bett und erst recht nicht aus ihrer Wohnung heraus. Deswegen kann ich es inzwischen auch nicht mehr hören, wenn wir hier feierlich immer wieder bekunden, wie toll wir die Lebensleistung der Contergangeschädigten finden, die sich trotz ihrer schweren Behinderung und anderer Probleme durchgekämpft haben. Ja, natürlich ist das toll. Aber dabei handelt es sich nicht um die Mehrheit. Wir sollten sie nicht bewundern, sondern sollten ihnen helfen, mit ihrer Situation fertig zu werden.

(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Das tun wir ja! - Ina Lenke [FDP]: Das finde ich nicht gut, dass Sie das sagen!)

- Sie von der FDP sind doch immer diejenigen, die sagen: Gebt den Leuten das Geld in die Hand, dann können sie selber entscheiden, was für sie richtig ist. Oder ist es nicht so? Jetzt sind Sie aber auf einmal dafür, die Auszahlung auf 35 Jahre zu verteilen. Die Leute sind jetzt 50 Jahre alt. In 35 Jahren würden sie - das kann ich sogar mit meinem DDR-Abitur ausrechnen - 85 Jahre alt sein. Sie haben ja gerade selbst gesagt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sie, weil sie schneller altern, gar nicht so alt werden. Das ist eine infame Herangehensweise an die Frage der Auszahlung.

(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Aber wenn Sie so rechnen, Herr Seifert, gehen Sie davon aus - -)

- Stellen Sie mir eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas sagen wollen, dann beantworte ich sie gerne. - Ich will nur darauf hinweisen: Lassen Sie die Menschen selbst entscheiden.

Der nächste Punkt. Sie loben sich immer, dass die monatliche Nachteilsausgleichszahlung verdoppelt worden ist. Aber das wurde doch auch höchste Zeit. Sie hätten es niemals gemacht, wenn es den Film nicht gegeben hätte.

(Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Stimmt ja überhaupt nicht!)

- Aber ja! Sie hatten 5 Prozent vorgeschlagen. Das wurde doch gerade noch einmal wiederholt.

(Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Ich war doch dabei!)

- Ich will nur darauf hinweisen, wie es gewesen ist. Nun zur Ausschlussfrist. Es wäre überhaupt kein Problem, die Ausschlussfrist sofort aufzuheben. Sie, Frau Lenke, haben ja gesagt, das sei auch einer Ihrer Vorschläge. Sie haben sich aber nicht einmal in diesem Punkt bei dem angeblich gemeinsamen Antrag durchgesetzt.

(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Der ist gar nicht da drin!)

Uns wurde nicht einmal angeboten, etwas Gemeinsames zu machen.

Ihr heute vorgelegter Antrag enthält nur Prüfaufträge. Deshalb möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Es gibt kaum ein Gebiet auf der Welt, das so gut erforscht ist wie die Conterganproblematik. Wir brauchen keine weitere Forschung. Fragen Sie lieber die Leute selbst, was sie haben wollen und was sie brauchen, und sie werden es Ihnen sagen. Wir brauchen kein weiteres Geld für Forschung auszugeben. Es darf auch nicht die Stelle dafür aus dem Stiftungsvermögen bezahlt werden, sondern diese müsste der Staat finanzieren.

Alles, was Sie jetzt machen wollen, geht zulasten der Conterganbetroffenen. Machen wir das nicht! Ich habe die Befürchtung, es ist ein neuer Film nötig, der diesmal zeigt, wie die Menschen, die von Contergan geschädigt wurden, jetzt leben. Vielleicht würden Sie dann eine andere Entscheidung treffen und nicht alles auf die lange Bank schieben, wie Sie es heute tun. (Ina Lenke [FDP]: Das tun wir ja gar nicht!) Ich bedaure das sehr. Handeln Sie, statt Prüfaufträge in Bereichen zu geben, wo längst alles klar ist. Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)