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Atomenergie war nie billig und wird es nie sein

Rede von Eva Bulling-Schröter,

Zusatztagesordnungspunkt 1

Aktuell Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zur Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland

In der heutigen Aktuellen Stunde griff Eva Bulling-Schröter den Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaft und Energie an, weil dieser in einem Interview geäußert hatte, wer die Strompreise senken wolle, müsse zurück zur Atomkraft. Damit bediene er alte Reflexe der CSU, so Bulling-Schröter. Das Gegenteil von billig sei der Fall: Atomstrom sei immer hoch subventioniert worden und die realen Kosten zu keinem Zeitpunkt in die Strompreise eingeflossen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe am Sonntagabend das Interview gelesen und gedacht: Ich bin einfach baff! ‑ Dann habe ich gedacht: Irgendwo habe ich das schon gelesen. Ich habe dann überlegt und verstanden, wo ich das gelesen habe: bei der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. (Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Eine gute Adresse, die bayerische Wirtschaft!)

Vorher wurde hier über soziale Strompreise gesprochen. Ich möchte das mit dem, was im Interview steht, in einen Zusammenhang bringen. Agenda 2010: Super! Wenn die Regierung etwas anderes macht, ist das ein Verrat an Schröders Erbe. Keinen Schluck mehr aus der Pulle der Sozialleistungen. Der Mindestlohn ist eher schlecht. Vor ihm wird gewarnt, weil das Auswirkungen auf das ganze Gefüge hat und weil das Ganze nicht der Beschäftigung dient. Rente mit 63 Jahren und Mütterrente sind eigentlich auch schädlich für den Wettbewerb und für den Standort Deutschland. (Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Was man an so einem Interview alles diskutieren kann!)

Dann geht es um Strompreise: Wettbewerbsfähigkeit über alles. Dann kommt der Satz: Wir müssen entscheiden, ob wir uns die Energiewende so leisten können und wollen. (Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, „wollen“!)

Wir müssen entscheiden. ‑ Wen er damit meint, sagt er nicht: sich, die CSU, die Unternehmen, die Konzerne oder Otto Normalverbraucher. „Wer die Preise wieder senken will, der muss zurück zur Atomkraft.“ So steht es wortwörtlich im Spiegel.

Hier wurde von alten Reflexen gesprochen. Es stimmt: Das sind die alten Reflexe der CSU, die da wieder zum Vorschein kommen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Nein, nein!)

Komischerweise ist das Interview erst am Montag veröffentlicht worden, nicht an dem Wochenende davor; denn am Sonntag waren Kommunalwahlen in Bayern. Jetzt reden wir einmal über die Kosten der Atomkraft in Deutschland. Von 1950 bis 2010 wurde sie mit circa 198 Milliarden Euro subventioniert. Das hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft schon vor Jahren errechnet. Darin enthalten sind Steuervergünstigen, die Stilllegung von Meilern, Forschung inklusive Kernfusionsforschung und die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie Euratom. Würde man die Kosten konventioneller Energie, also Kohle und Atomkraft, nach der Methode des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Form einer Umlage von den Stromverbrauchern bezahlen lassen, hätte diese Energienumlage im Jahre 2012 umgerechnet 10,2 Cent pro Kilowattstunde betragen.

Müssten die Betreiber von Atomkraftwerken eine Haftpflichtversicherung abschließen, wenn sie denn eine bekämen, müssten sie für jedes Atomkraftwerk 72 Milliarden Euro jährlich bezahlen. Das haben Finanzmathematiker der Versicherungsbranche ausgerechnet. Derzeit ist die Haftpflicht der Betreiber auf knapp 250 Millionen Euro begrenzt. Ein weiterer Vorteil der Atombranche: Wenn etwas passiert, bezahlen es natürlich die Verbraucher und die Steuerzahler; das ist klar.

Auch Professor Hirschhausen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung konstatiert:

Atomkraft ist noch nie wettbewerbsfähig gewesen und wird es auch nie sein … Weder in Europa, noch an einem anderen Ort dieser Welt ist jemals ein Atomkraftwerk unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gebaut worden. … Übliche Kostenschätzungen für Atomkraft beinhalten oft nicht den Rückbau der Anlagen sowie die Endlagerung …, ganz zu schweigen von den enormen Kosten möglicher Großunfälle wie in Fukushima oder Tschernobyl.

‑ Darüber haben wir heute im Umweltausschuss Berichte gehört. Sie waren erschütternd. ‑

… Das finanzielle Risiko wird vom Staat, also uns allen getragen.

Ende 2016 läuft die Brennelementesteuer aus. Dann werden die Atomkraftwerke noch mehr zu Gelddruckmaschinen, und die Gewinne werden natürlich nicht umverteilt, sondern die kassieren die großen Konzerne.

Jetzt reden wir noch über die Störfälle in deutschen AKWs. 2013 gab es in deutschen AKWs 52 Störfälle. Das ist jede Woche einer. Ich zähle sie Ihnen auf. Brokdorf: 6, Grafenrheinfeld: 3, Grohnde: 3, Gundremmingen B: 3, Isar2: 5, Emsland: 3, Neckar 2: 9, Philippsburg 2: 20. Das sind insgesamt 52 Störfälle. Erklären Sie bitte einmal den Menschen, dass ihr Strom vielleicht billiger wird, dass sie aber eventuell einen Störfall in Kauf nehmen müssen! Reden wir auch über Isar 2 in Ohu, das zurzeit heruntergefahren wird. Es gibt wieder einmal große Probleme, und die Menschen sind wieder verunsichert.

Und dann wollen Sie in Gundremmingen in Bayern die Kapazitäten hochfahren. (Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist vom Tisch! Gott sei Dank! ‑ Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Vom Tisch! Sie reden von alten Zeiten, Frau Kollegin!)

Es gibt genug Studien darüber, dass das Kernkraftwerk das nicht aushält. Ich halte diese Politik für verantwortungslos, und ich bitte Sie und hoffe, dass Sie sich an die Koalitionsvereinbarung und zumindest an das Gesetz zum Atomausstieg 2022 halten. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Demonstrationen beginnen. Am Samstag gibt es die ersten. (Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Aber hoffentlich mal die letzten!)

- Das werden nicht die letzten sein. Das beginnt jetzt erst, auch in Ihrem Gebiet. ‑ Wir stehen dahinter. Wir unterstützen diese Initiativen, und wir sagen: Atomausstieg möglichst schnell! Wir müssen die Menschen vor solchen Ideen bewahren. (Beifall bei der LINKEN)