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„Armut ist das Ergebnis des globalen Kapitalismus“

Rede von Hüseyin Aydin,

(Rede wurde am 26. Oktober 2006 im Plenum des Deutschen Bundestages zu Protokoll gegeben).Rede zu dem Antrag der Grünen „Den Hunger in Entwicklungsländern wirksam bekämpfen - das Recht auf Nahrung umsetzen und ländliche Entwicklung fördern“ (DS 16 / 3019)

Sehr geehrte Damen und Herren,

ein Antrag, der die weltweite Hungerbekämpfung ins Zentrum der Politik stellt, findet die Zustimmung der Linksfraktion. Insbesondere begrüßen wir die Absicht, die Ergebnisse der zweiten Weltkonferenz für Agrarreform und ländliche Entwicklung (ICAARD) vom März 2006 auf die Tagesordnung des Bundestages zustellen.
Ich erinnere daran, dass diese Konferenz von der Bundesregierung, wie auch vielen anderen Regierungen, sträflich vernachlässigt wurde.
Die Ursache dafür ist nicht schwer auszumachen. Die erste Weltkonferenz, die den Zusammenhang zwischen Hunger und ungerechter Landverteilung zum Inhalt hatte, fand 1979 statt. Danach brach diese globale Debatte ab. Seit den 80er Jahren wird sie stattdessen von Konzepten dominiert, die die enthemmte Privatisierung staatlich geschützter Bereiche in der Dritten Welt als einen Beitrag zur „Entwicklung“ verkaufen.
Das Ergebnis ist bekannt. Die so genannten Strukturanpassungsprogramme der 80er und 90er Jahre von Weltbank und IWF haben die Massenarbeitslosigkeit in vielen Entwicklungsländern in unerträgliche Höhen geschraubt und so die vorangegangenen Erfolge von zwei Jahrzehnten Armutsbekämpfung vernichtet.
Lassen Sie mich eins betonen: In den meisten Hungerepidemien fehlt es nicht an Nahrungsmitteln. Sondern an Geld, um Essen zu kaufen. So wurden während der Hungerkatastrophe in Niger von 2005 noch Nahrungsmittel in das benachbarte Nigeria ausgeführt, während die Armen im eigenen Land starben. Eine Beeinträchtigung der Ernte um rund 10 Prozent genügte, um die Getreidepreise so zu steigern, dass sich viele Menschen im Niger schlichtweg kein Essen mehr leisten konnten.
Armut ist das Ergebnis des globalen Kapitalismus. Sie kann nur durch staatliche Eingriffe gedämpft werden. Die WTO-Verhandlungen aber zielen seit zehn Jahren darauf ab, den von IWF und Weltbank angestoßenen Prozess der Zerstörung der staatlichen Grundversorgung in den Entwicklungsländern fortzusetzen.
Die Bundesregierung hält an den neoliberalen Dogmen fest, obgleich die Liste der gescheiterten Entwicklungsprojekte jährlich länger wird.
Nehmen wir das Beispiel Tansania. Im August 2003 gewährte die tansanische Regierung City Water, ein privates deutsch-britisch-tansanisches Gemeinschaftsunternehmen, die Übernahme der Wasserversorgung in der Hauptstadt Dar es Salaam. Das Privatisierungsprojekt war Ergebnis der Verhandlungen im Rahmen des vom IWF aufgelegten Strukturanpassungsprogramms von 1996-1999, sowie des „Armutsreduzierungsprogramms“ der Jahre 2000-2003.
Dem Konsortium brachte der Vertrag Gewinne. Den Armen neue Not. Die Wasserpreise stiegen, ebenso die Anfälligkeit für Cholera. Die Bilanz des „Entwicklungsprojektes“ war so miserabel, dass sich die tansanische Regierung nach nicht einmal zwei Jahren im Mai 2005 gezwungen sah, den Vertrag mit City Water wieder zu kündigen.
Staatlicher Schutz vor Marktmechanismen ist auch in ländlichen Gebieten entscheidend im Kampf gegen extreme Armut und Hunger. Eine wichtige Funktion üben in diesem Zusammenhang Zölle aus, mit denen die Entwicklungsländer ihre Landwirtschaft vor den Agrarexporten aus dem Norden abschirmen. Wenn Milch aus subventioniertem Milchpulver der Industriestaaten billiger ist als die Frischmilch der einheimischen Viehzüchter, dann wird die Existenzgrundlage der Kleinbauern in den Entwicklungsländern vernichtet.
Dieses Phänomen lässt sich in vielen subsaharischen Staaten Afrikas beobachten. Es erklärt, warum der größte Teil der Hungernden selbst auf dem Land lebt. Die im Zuge der jüngsten WTO-Verhandlungen erhobene Forderung nach einer Absenkung der Schutzzölle für Entwicklungsländer hätte diesen Prozess weiter verschärft. Insofern kann man das Scheitern der Verhandlungsrunde nicht bedauern.
Es ist deshalb im höchsten Maße irreführend, wenn die Grünen in ihrem ansonsten unterstützenwerten Antrag die Hoffnung auf eine „Wiederbelebung“ des „Entwicklungsmandates der WTO-Verhandlungen“ aussprechen. Bei den Verhandlungsteilnehmern in der so genannten Doha-Entwicklungsrunde handelte es sich um die Vertreter der Wirtschaftsministerien. Ihr einziger Auftrag bestand in der Durchsetzung der globalen Interessen der „eigenen“ Unternehmen. Sie verfügten über kein „Entwicklungsmandat“, sondern über ein reines Privatisierungsmandat.
Im Interesse der Armen in den Entwicklungsländern sollten wir den Mut haben, solche Fehlentwicklungen klar auszusprechen.

Meine Damen und Herren,

Drei Viertel der weltweit 852 Millionen Hungernden leben auf dem Lande. Die extrem ungleiche Verteilung von Land ist eine der Hauptursachen für die Existenz von Hunger. Dazu wurde während der ICAARD festgestellt: „Landwirtschaftliche Modernisierung durch die Integration in die Weltmärkte, gewöhnlicher Weise nicht begleitet von Veränderungen in den ländlichen Strukturen, haben oft ungewollte Konsequenzen: Ein Anstieg von Einkommensungleichheiten und Landkonzentration, eine Verminderung der Wettbewerbsfähigkeit, eine verstärkte Existenzunsicherheit für Familienbetriebe, Umweltzerstörung… Ein hohes Maß an ökonomischer und ländlicher Konzentration stellt eine Hürde für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit dar, die Millionen nicht die Ausübung ihrer vollen Staatsbürgerrechte erlaubt.“
Diese Erkenntnis will ich unterstreichen. Die Bekämpfung von Hunger erfordert in vielen Ländern der Erde mutige Schritte zu ausgedehnten Landreformen. Nur wenn Großgrundbesitzer zugunsten der Landlosen enteignet werden, kann das Übel an der Wurzel gepackt werden.
Ich betone: Es geht nicht um blinde Aktionen, die wie in Simbabwe nur dazu führen, die ländliche Produktion zu untergraben. Es geht um die Demokratisierung der armen Gesellschaften.
Es ist deshalb kein Zufall, dass an der zweiten Weltkonferenz für Agrarreform und ländliche Entwicklung in Porto Alegre einige Tausend Bauern teilnahmen. Denn auch in Brasilien geht die versprochene Landreform viel zu langsam vonstatten. Die Ausrichtung der Lula-Regierung auf das große exportorientierte Agrar-Kapital bringt den Landlosen wenig. Hinzu kommt, dass viele brachliegende Latifundien einfach nicht enteignet werden.
In den vergangenen zehn Jahren haben 600.000 Landlose eine Scholle erhalten. Aber immer noch gibt es mehr als vier Millionen landlose bäuerliche Haushalte.

Meine Damen und Herren,
Es ist bitter, dass sich die Zahl der Hungernden und extrem Armen seit Verkündung der Millenniumsziele nicht reduziert hat. Dies zeigt, dass bloße Absichtserklärungen nichts ausrichten, solange die grundlegenden Ursachen für die extreme Armut in weiten Teilen der Welt nicht beseitigt werden. Die Linke steht für die Sicherung und Wiederherstellung von Ernährungssouveränität durch den Schutz ländlicher Strukturen in den Entwicklungsländern, für den Wiederaufbau staatlicher Daseinsvorsorge und die Umverteilung von Land zugunsten der Landlosen.
Dies allein kann dafür sorgen, auf dem Weg zu einer effektiven Armuts- und Hungerbekämpfung voranzukommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.