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Arbeit am SIS-II umgehend einstellen

Rede von Jan Korte,

Wir beraten heute in abschließender Lesung über einen Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zum Schengener Informationssystem der zweiten Generation, SIS II. Soll heißen: Wir diskutieren heute erneut über ein Gesetz, das auf ein technisches System zurückgeht, welches gar nicht existiert, eine Seifenblase, die längst geplatzt ist. Wir diskutieren also über ein System, das nicht nur nicht existiert, sondern das auch nicht funktioniert und das zudem niemand in Europa braucht. Mehr noch: Wir beraten über ein Gesetz der Bundesregierung, das sich auf ein Überwachungsprojekt der Regierungen und ihrer Law-and-Order-Fraktionen bezieht, das gescheitert ist.
Bundesminister Schäuble hält dennoch an SIS II fest. Daher muss es auch nicht verwundern, dass ein Gesetz zur Handhabung von SIS II in Deutschland, in und zwischen den verschiedenen Sicherheitsinstitutionen, trotz des Wegfalls der logischen Grundlage verabschiedet werden soll. Schäuble betätigt sich als Geisterfahrer, nach dem Motto: Augen zu und durch!
Dies kann nicht auf das Wohlwollen der Mitglieder des Deutschen Bundestages stoßen. Die Linke wird vor dem Hintergrund der Nichtexistenz von SIS II dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen, auch weil, wie dem informellen Ratstreffen der Innen- und Justizminister der EU in Prag zu entnehmen war, wohl in Zukunft nicht mit einem erfolgreichen Einsatz von SIS II zu rechnen ist.
Vielmehr geht der Weg dieses Systems geradewegs in die Mülltonne. Aus gutem Grund: Vor der Erweiterung des Schengen-Raumes auf die nach 2004 zur EU neu hinzugekommen Mitgliedstaaten wurde die Initiative zum Aufbau von SIS II geboren und mit viel personellem, technischem und vor allem finanziellem Aufwand durch deutsche und europäische Sicherheitsbehörden befördert.
Seit 2007 warten wir nun auf SIS II. Doch bis heute kann niemand, auch die Bundesregierung nicht, sagen, wann das System arbeitsfähig sein wird. Augenscheinlich bereitet die technische Umsetzung der Speicherung biometrischer Daten und der Anschluss weiterer, auch geheimdienstlicher Behörden europaweit Probleme bei der Verwirklichung von SIS II. Technische Probleme gibt es aufgrund zusätzlicher Funktionen gegenüber dem heute verwendeten System, SISone4all also, die die Linke immer auch aus politischen, rechtlichen und bürgerrechtlichen Aspekten kritisiert und abgelehnt hat.
Die Linke hat deshalb einen Entschließungsantrag zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eingereicht, und ich bitte Sie um Zustimmung. Kern unseres Entschließungsantrages ist, dass es trotz mehrjähriger Vorbereitungs- und Planungsphase der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten der EU nicht gelungen ist, ein arbeitsfähiges Schengener Informationssystem der zweiten Generation, SIS II, aufzubauen oder in Betrieb zu nehmen.
Das SIS-II-Projekt befindet sich komplett außerhalb des Zeitplans. Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der eine Anpassung der Rechtsvorschriften auf der Grundlage der Verordnung und des Beschlusses des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung von SIS II vorsieht, wurde durch die objektiven Probleme und Defizite die logische Grundlage entzogen. Eine Änderung nationaler Rechtsvorschriften ist zum jetzigen Zeitpunkt deshalb nicht zu vertreten. Die deutsche Bundesregierung hat zudem bis heute keine Auskunft über die durch sie exakt aufgewendeten finanziellen Mittel zur Entwicklung von SIS II gegeben. Auch die Mehrkosten, die durch die „technischen Probleme“ bei der Entwicklung von SIS II der EU und den Mitgliedstaaten entstanden sind, wollte die Bundesregierung bislang nicht exakt beziffern.
Wichtig ist aber vor allem die Tatsache, dass die Erweiterung des Schengen-Raumes auch ohne die Inbetriebnahme oder schlichte Existenz von SIS II ohne erkennbaren Sicherheitsnachteil für die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedsstaaten der EU vorgenommen werden konnte.
Die Linke fordert daher, die weitere Arbeit am Schengener Informationssystem der zweiten Generation einzustellen, sich im zuständigen Ministerrat auf europäischer Ebene für einen endgültigen Stopp des Projektes einzusetzen und von einer späteren Einführung von SIS II oder ähnlichen Konzepten Abstand zu nehmen. Das bedeutet eben auch, den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung abzulehnen. Vielmehr müssen alle verfügbaren Informationen zur technischen Entwicklung und finanziellen Ausgestaltung von SIS II für eine intensive Evaluation durch den Deutschen Bundestag und das Europäische Parlament den jeweils zuständigen Ausschüssen umgehend zugeleitet werden.