Zum Hauptinhalt springen

Anke Domscheit-Berg: Datenschutzgrundverordnung: Abmahnungen stoppen

Rede von Anke Domscheit-Berg,

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Besuchergruppen, vor allem die aus Mecklenburg-Vorpommern, hallo! Eine im Kern gute Sache verunsichert flächendeckend. Datenschutz gerät in Verruf. Er soll kompliziert, aufwendig und vor allem für die Kleinen ein finanzielles Risiko sein, heißt es.

Obwohl das Gesetz 2014 beschlossen wurde und 2016 in Kraft trat, haben gefühlt 80 Prozent der Gesellschaft erst Tage vor seiner Wirksamkeit am 25. Mai davon erfahren. Seitdem regiert das Chaos.

(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

Viele Regelungen sind unklar, unter anderem weil sie gegensätzlich ausgelegt werden, selbst von behördlichen Stellen. Die Ankündigung einer Abmahnwelle, die Nähblogs und Handwerker überrollt, verbreitete sich wie alle Horrorszenarien besonders schnell im Internet.

(Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Ich will einmal diese ganzen mecklenburgischen Handwerker, die abgemahnt werden, sehen!)

Weil die Erinnerung an das Unwesen der Abmahnindustrie wegen kleinster Urheberrechtsverletzungen noch sehr lebendig war, glaubten das viele und schlossen vorbeugend ihre Webseiten, von kita-im-gewerbehof.de bis zu kunsthandwerkermarkt.de . Das bedroht die Vielfalt des Internets, aber Schuld daran ist nicht die Datenschutz-Grundverordnung, sondern eine Bundesregierung, die es versäumt hat, die Regelung vernünftig in nationales Recht zu überführen und vor allem – das wurde immerhin anerkannt – in der Gesellschaft sinnvoll zu begleiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil wir leider aus dem Blick verlieren, warum dieses Gesetz eine gute Sache ist, möchte ich kurz daran erinnern: Endlich haben wir – jede Einzelne – eine Handhabe gegen digitale Großkonzerne, für deren Geschäftsmodelle wir unsere Privatsphäre opfern sollen; denn es gibt jetzt ein Verbandsklagerecht, das unsere Kräfte bündelt. Wenn sich Unternehmen nicht an Regeln halten, wird es für sie so teuer, dass die Portokasse nicht mehr reicht und es ihnen richtig wehtut.

(Beifall bei der LINKEN)

Endlich haben wir ein Recht auf einfache AGB, die jeder versteht, und darauf, dass unsere Daten nicht ohne Zustimmung zu irgendwelchen Zwecken an irgendwelche Dritte herumgereicht werden. Aus dem Ausland kommt daher viel Lob, weil digitale Monopole bisher nach ihren eigenen Regeln agierten, aber nun Europa Regeln definiert und mit der Macht einer halben Milliarde Nutzer und Nutzerinnen durchgesetzt hat und damit der Privatsphäre auch im digitalen Zeitalter wieder eine Chance gab. Das ist einmalig, es ist großartig, und wir sollten als Europäerinnen und Europäer darauf stolz sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Statt Stolz dominieren aber Unverständnis, Wut und Ablehnung, und leider auch zu Recht. Ich möchte die Bundesregierung daher auffordern, folgende überfällige Maßnahmen zeitnah umzusetzen.

Erstens: eine Art Freischuss für die Kleinen. Wir müssen denen, die nicht die Ressourcen von Großunternehmen haben, die Angst nehmen. Dazu braucht es eine EU-rechtskonforme Freischussregelung beim Erstverstoß durch Blogger, Selbstständige, Bildungsinstitutionen, NGOs und KMU, deren Geschäftsmodell nicht auf der Verarbeitung personenbezogener Daten beruht. Denn die Datenschutz-Grundverordnung schreibt vor, dass die Ahndung eines Verstoßes angemessen zu sein hat.

(Saskia Esken [SPD]: Richtig!)

Es muss jedem klar sein – darum geht es mir –, wie eine angemessene Ahndung von Erstverstößen durch Nähblogs oder Feuerwehren auszusehen hat: nämlich Beratung und Ermahnung statt Bußgeld.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])

Zweitens: eine umfassende Aufklärungskampagne der Bundesregierung. Die hat Staatssekretär Mayer zwar irgendwie mitbekommen, ich und viele andere aber nicht. Kurz, es braucht einen helfenden Staat, der seine Bürger und Bürgerinnen nicht im Stich lässt. Jeden Monat könnte man ein Thema vertiefen, öffentlich und breit kommunizieren. Datenschutzbehörden und andere öffentliche Stellen brauchen dazu ad hoc weitere Ressourcen, um mehr Schritt-für-Schritt-Anleitungen im Netz und verlässliche Antworten, nicht widersprüchliche, auf offene Fragen bereitzustellen.

Zur Aufklärung gehören aber auch verbindliche Aussagen zu den wichtigsten widersprüchlichen Interpretationen, zum Beispiel ob das Kunsturheberrecht in alter Form weiter gilt, also ob Fotografen so weiterarbeiten können wie bisher.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ja!)

– Ich glaube das auch. Viele Fotografen wissen das aber immer noch nicht.

Drittens: Schluss mit der Abmahnindustrie. Die Bundesregierung muss endlich, wie angekündigt, der spezifisch deutschen Abmahnindustrie die Grundlage entziehen; denn viel zu häufig werden Abmahnungen eben nicht zum Schutz gegen Wettbewerbsverzerrungen, sondern als eigenes Geschäftsmodell eingesetzt. Das ist zwar gar nicht zulässig, aber es passiert trotzdem, und es kostet Geld und Zeit, sich dagegen zu wehren. Deshalb gehört es endlich unterbunden. Allein das würde sehr vielen Menschen die Angst nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linksfraktion fordert die Bundesregierung auf, diese drei Maßnahmen zügig in Angriff zu nehmen, damit wir auf einen Weg zurückkehren, der der Sache dient, ohne unzumutbare Kollateralschäden anzurichten. Es muss endlich klar werden, worum es wirklich geht, nämlich darum, unsere Privatsphäre zu schützen, vor allem gegenüber denen, die sie in großem Stil zu Geld machen wollen.

Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass Schwangerschaftsabbrüche und sachliche Informationen dazu nicht in das Strafgesetzbuch gehören.

(Beifall der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

§ 219a Strafgesetzbuch gehört endlich abgeschafft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)