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Anerkennung von Kriegsdienstverweigerungen erleichtern

Rede von Katrin Kunert,

Rede zu Protokoll
136. Sitzung des Deutschen Bundestages, dem 12. November 2015
TOP 20: Anerkennung von Kriegsdienstverweigerungen erleichtern
Drucksache 18/6363

 

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Unter unermesslichen Opfern bezwang die Anti-Hitler-Koalition den deutschen Faschismus. Die deutsche Wehrmacht hat in dem von Deutschland angezettelten Raub- und Vernichtungskrieg an schwersten Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung mitgewirkt. Dennoch haben zahlreiche ehemalige Wehrmachtsangehörige später ihre Beteiligung an den Massenverbrechen oft mit dem Befehlsgehorsam entschuldigt. Mit dieser Traditionslinie des deutschen Militarismus sollte gebrochen werden ─ das war der Gedanke der Mütter und Väter des Grundgesetzes, wonach jeder und jede das Recht auf Kriegsdienstverweigerung haben soll. Auch Soldatinnen und Soldaten sind für ihr Handeln selbst verantwortlich und sollen ihr Handeln an ethische Prinzipien binden.

 

 

 

Ich weiß schon, Sie werden wieder sagen, dass sei doch alles prima und unser Antrag somit überflüssig. Dem ist aber nicht so!

 

 

 

Leider wurde bei dieser zivilisatorischen Errungenschaft auf halber Strecke Halt gemacht. Die konkreten Bestimmungen sind in einem eigenen Gesetz geregelt, dem Kriegsdienstverweigerungsgesetz. Es stellt hohe, und Die Linke meint, zu hohe Hürden für die Anerkennung einer Kriegsdienstverweigerung.

 

 

 

Die Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst an der Waffe wird nur auf schriftlichen Antrag gewährt, den die Betroffenen ausführlich begründen müssen. Zusätzlich müssen sie ein konkretes Rechtsschutzbedürfnis nachweisen, dass sie in eine schwere Gewissensnot geraten würden, wenn sie zur Teilnahme am Kriegsdienst gezwungen wären. Das gelingt nur wenigen im ersten Anlauf, sodass trotz bestehender Gewissensnot viele Anträge abgelehnt werden.

 

 

 

Es ist auch kein Argument zu sagen, jetzt, wo die Wehrpflicht ausgesetzt ist, bestehe das Problem praktisch nicht mehr. Das Gegenteil ist der Fall!

 

 

 

Die Zahlen sind eindeutig: Immer mehr Soldatinnen und Soldaten wollen den Kriegsdienst verweigern. Innerhalb eines Dreivierteljahres, vom 1. Juli 2014 bis 30. April 2015, haben nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums 132 Berufs- und Zeitsoldaten einen entsprechenden Antrag gestellt. Es sind alle Dienstränge betroffen, auch Offiziere. Hinzu kommen noch einige freiwillige Wehrdienstleistende. Männer wollen in der Bundeswehr den Kriegsdienst häufiger verweigern als Frauen.

 

 

 

Dafür gibt es triftige Gründe: Der veränderte Auftrag der Bundeswehr, mehr Auslandseinsätze in Konfliktgebieten durchzuführen, betrifft vor allem Männer und hat zur Folge, dass mehr Soldaten an realen Kampf- und Gefechtssituationen teilnehmen. Sie erleben erstmals am eigenen Leib, was es heißt, töten zu müssen oder getötet werden zu können. Das ist nicht kleinzureden. Die Fälle von Soldaten, die schwer traumatisiert aus Auslandseinsätzen der Bundeswehr zurückkehren, sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Damit sind persönliche Schlüsselerlebnisse verbunden, weshalb sie den weiteren Kriegsdienst ablehnen.

 

 

 

Die Bürokratie wirft ihnen hierbei Knüppel zwischen die Beine. Ein exklusiver Zirkel von gerade mal vier Personen ist im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben für die Anerkennungsverfahren zuständig. Es besteht ein enormer Bearbeitungsstau und die Verfahren dauern zu lange. Die Betroffenen werden zusätzlich zermürbt, obwohl sie im Erfolgsfall ohnehin die komplette Veränderung ihrer Lebensumstände bewältigen müssen. Sie haben sich vor diesem Hintergrund ihre Gewissensentscheidung sicher nicht leicht gemacht. Das verdient Respekt. Deshalb darf mit den Soldatinnen und Soldaten so nicht umgegangen werden!

 

 

 

Die Entscheidungsfindung, ob einem Antrag stattgegeben wird oder nicht, ist zudem völlig intransparent. Da es sich um eine Gewissensentscheidung handelt, gibt es kein wissenschaftlich abgesichertes Überprüfungsverfahren dafür, ob jemand die Wahrheit sagt. Folglich darf nicht nach Gutsherrenart mit der Logik des Lügendetektortests vorgegangen werden. Mir sind einige Betroffene persönlich bekannt, deren Anträge abgelehnt wurden, obwohl Militärseelsorger und andere Gutachter zu dem Ergebnis kamen, dass sie vollkommen kriegsdienstunfähig seien. Schlimmer noch: Sie könnten bei weiterem Dienstverbleib sogar zur Gefahr für die eigene Truppe werden, weil sie auch im Verteidigungsfall nicht auf andere Menschen schießen würden. Das können Sie doch nicht ignorieren!

 

 

 

Durch die Neuausrichtung der Bundeswehr mit der Orientierung auf eine „Armee im Einsatz“ ist die Daueraufgabe verbunden, stets ausreichend kriegsdienstwilliges Personal zu rekrutieren. Die Linke befürchtet, dass es dadurch künftig noch schwerer wird, als Kriegsdienstverweigerin oder Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden. Das im Artikel 4 des Grundgesetzes verbriefte Recht würde dadurch weiter ausgehöhlt und zur bloßen Makulatur.

 

 

 

Mit unserem Vorschlag sollen Kriegsdienstverweigerungen einfacher anerkannt werden, indem die freie Willensbekundung ausreicht und die Begründungspflicht entfällt. Wir wollen dem deutschen Militarismus keine Chance zur Wiederauferstehung geben, auch nicht durch die Hintertür unter dem Deckmantel von sogenannten „humanitären Interventionen“. Es nimmt ihnen sowieso niemand mehr ab, dass es bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vordringlich um die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten ginge oder um die Rechte von Frauen. Das sind bestenfalls nützliche Nebenprodukte des militärischen Eingreifens. Deshalb zollt Die Linke allen Soldatinnen und Soldaten, die aus eigener Einsicht den Kriegsdienst aus Gewissengründen verweigern wollen, ihren tiefen Respekt. Sie zeigen, dass die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg aktuell bleibt: Von deutschem Boden soll nie wieder ein Krieg ausgehen! Darüber sollten wir in den Fachausschüssen beraten. Ich freue mich auf die Diskussion.