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Alexander Ulrich: Für eine Kehrtwende in der deutschen EU-Politik

Rede von Alexander Ulrich,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU ist in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Ich glaube, das kann man nicht mehr verleugnen. Der Brexit war ein Ausdruck dessen. Wenn auch der neue französische Präsident heute in einem Interview sagt, er verstehe die Angst, dass Europa zerfällt, ist das ein weiterer Beleg dafür, in welch schlimmer Situation die EU ist.

Anstatt hier im Parlament eine Debatte darüber zu führen, mit welcher Position die Bundesregierung in den nächsten Rat geht, verweigert sich die Bundesregierung Angela Merkel dieser Diskussion.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie weigert sich überhaupt nicht! Sie hat im Ausschuss informiert!)

Deshalb ist die Aktuelle Stunde dringend notwendig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon ein symbolhaftes Zeichen, dass die Bundeskanzlerin sehr wohl vorgestern beim BDI über Europa geredet hat, aber es hier im Bundestag zwei Tage später nicht tun will.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Hier redet sie immer, aber nicht, wenn Sie reden wollen!)

Deutlicher kann man nicht zeigen, dass sich die Bundeskanzlerin als Lobbyistin der Wirtschaft und Industrie versteht, wenn sie nicht hier dem Parlament Rede und Antwort stehen will.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie hat hier mehr über Europa geredet als Sie!)

Warum will man es wohl nicht? Man müsste dann hier vielleicht mal vor der Bundestagswahl die Tatsachen auf den Tisch legen, zum Beispiel hinsichtlich der Griechenland-Rettung. Was haben Sie denn vor zwei Jahren beschlossen? Sie haben doch beschlossen: Ohne IWF-Beteiligung gibt es nichts. – Und was ist jetzt? Man kann es doch fast nicht mehr verheimlichen, dass der IWF ausgestiegen ist und sich nicht mehr beteiligt.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo steht denn das?)

Anstatt zu sagen: „Jawohl, wir haben den Bundestagsbeschluss gebrochen, der IWF macht nicht mehr mit“, macht man vor der Bundestagswahl gar nichts.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden sehen, dass man nach der Bundestagswahl sehr schnell sagen muss: Der IWF ist nicht mehr dabei. – Wir sagen ganz deutlich: Sie wollen der deutschen Bevölkerung nicht die Wahrheit sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir, die Bundestagsfraktion Die Linke, haben immer gesagt, dass die Griechenland-Rettung ein fatales Signal ist. Die sogenannte Griechenland-Rettung war ja keine Rettung der Griechen, sondern eine Rettung des Geldes der Finanzwirtschaft, auch deutscher und französischer Banken. Die griechische Bevölkerung hat von diesem Milliardenregen nichts bekommen. Vielmehr folgte ein Sozialabbau auf den nächsten, und dort, wo noch etwas zu verdienen war, hat man die Griechen gezwungen, zu privatisieren, zum Beispiel auch Flughäfen, Stichwort: Fraport. Diese Griechenland-Rettung ist gescheitert, und das müssen Sie auch so benennen. Es braucht unbedingt einen Schuldenschnitt. Wir brauchen eine Schuldenkonferenz in Europa, um diese Probleme politisch zu lösen. Wir als Linke fordern Sie auf, dafür europäisch zu werben.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Frankreich-Wahl. Interessant ist ja, dass die Kanzlerin und der SPD-Kanzlerkandidat sich fast schon drängeln, wenn es darum geht: Wer ist der Partner von Macron? Ich möchte daran erinnern: Ihre Partnerparteien haben bei der französischen Wahl drastische Niederlagen eingefahren. Macron gehört weder den Sozialdemokraten noch der Union. Ihre Partnerparteien sind grandios abgewählt worden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!)

Wenn jetzt aus Ihren beiden Parteien der Hinweis kommt, Macron sollte jetzt mal schnell reformieren, dann sagen wir als Linke ganz deutlich: Frankreich braucht alles, aber keine französische Agenda 2010.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein französischer Präsident, der gerade einmal 20 Prozent tatsächliche Zustimmung in der eigenen Bevölkerung hat, sollte sich gut überlegen, was er macht. Wir als Linke sind eindeutig auf der Seite der französischen Gewerkschaften und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die deutlich machen: Dann sehen wir uns auf der Straße wieder. – Widerstand ist angesagt gegen eine Agenda 2010 in Frankreich.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die Sozialdemokratie diese Politik auch noch gut findet, ist nicht nachzuvollziehen. Eigentlich sollte sich die Sozialdemokratie an der Frage orientieren: Warum hat Corbyn in England so gut abgeschnitten? Corbyn hat mit einem progressiven linken Programm 40 Prozent erzielt; davon können Sie mit Ihrer Agenda-2010-Politik in Deutschland nur träumen.

Wie Sie zu Corbyn und seinen Inhalten stehen, das kann man heute noch auf der Internetseite der SPD-Bundestagsfraktion nachlesen.

(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)

In einem Interview mit der Welt wird Herr Oppermann gefragt, wie er zu Corbyn, zur EU, zur Innenpolitik in Großbritannien und zu Labour steht. Thomas Oppermann sagt – ich zitiere –:

"Jeremy Corbyn hat die einst bedeutende Labour Party kampfunfähig gemacht. … Nach dem Brexit ist die Partei zerrissen. Corbyn lehnt ein Plädoyer für Europa ab. Labour ist deshalb völlig orientierungslos und wird bei der Wahl voraussichtlich eine katastrophale Niederlage erleiden. Corbyn ist ein Alt-Linker, der ähnlich wie Wagenknecht Europa als eine Festung des Kapitalismus betrachtet. Er ist deshalb unfähig, die positiven Werte Europas – Frieden, Demokratie, Wohlstand, Reisefreiheit – angemessen zu würdigen. Ich kenne viele wirklich gute Akteure bei Labour. Aber wenn ich mir Labour heute ansehe, leide ich wie ein Hund."

Wenn ein SPD-Fraktionsvorsitzender bei 40 Prozent für Labour leidet wie ein Hund, dann ist klar, für welche Politik die SPD steht.

(Norbert Spinrath [SPD]: Bekennt ihr euch doch mal zu Europa!)

Sie sollten sich an Corbyn ein Beispiel nehmen und Ihre unsoziale Politik beenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir in Europa brauchen dringend mehr Investitionen. Deutschland ist nicht Lösung des Problems, sondern Teil des Problems. Die riesigen Außenhandelsüberschüsse sind ein riesiges Problem für die Euro-Zone. Das sagt der neue französische Präsident, nicht nur Trump und andere. Deswegen müssen die riesigen Außenhandelsüberschüsse endlich abgebaut werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)