Zum Hauptinhalt springen

Alexander Ulrich: Bundesregierung muss anti-europäische Wirtschaftspolitik beenden

Rede von Alexander Ulrich,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einem Antieuropäer zu reden, ist nicht ganz einfach. Herr Friedrich, das war wieder unterste Schublade. Mit solch einem Deutschland, das Sie hier präsentiert haben, kann Europa nicht aus der Krise geführt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind, glaube ich, alle glücklich, dass der Front National mit Frau Le Pen die Präsidentschaftswahlen nicht gewonnen hat. Das war ein gutes Signal aus Frankreich. Aber es geht jetzt auch um die guten oder schlechten Vorschläge, die Macron aus Europa – insbesondere aus Deutschland – bekommt. Die Gewerkschaften in Frankreich haben gesagt: Bis zur Auszählung um 20 Uhr waren wir gegen Le Pen. Jetzt aber müssen wir die Politik von Macron verhindern. – Die französischen Gewerkschaften haben unsere Unterstützung verdient. Wir brauchen keine Agenda 2010 bzw. kein Hartz IV für Frankreich. Wir brauchen sozialen Fortschritt in Frankreich. Und dafür steht Macron mit seiner Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Also doch Le Pen?)

Macron steht für eine Kürzungspolitik und Finanzmarktderegulierung. Er will die Vermögen- und die Kapitalertragsteuer senken und dafür die Ausgaben für Gesundheit und Arbeitslosenhilfe kürzen. Bereits als Wirtschaftsminister unter Hollande wollte er das Arbeitsrecht viel weiter abbauen, als es gegen den breiten Widerstand der Bevölkerung und mithilfe der Notstandsverordnung möglich war.

Nun will er – daraus macht er kein Geheimnis – einen neuen Anlauf nehmen. Es besteht die Gefahr, dass viele Millionen Franzosen durch seine Präsidentschaft in Armut und Perspektivlosigkeit getrieben werden. Ich will es noch einmal gegenüber all jenen wiederholen, die sagen, dass Macron erst einmal sein eigenes Land reformieren soll, bevor wir überhaupt mit ihm ein politisches Geschäft eingehen: Wir brauchen in Frankreich keine Agenda 2010.

(Beifall bei der LINKEN)

Macron fehlt die Zustimmung für seine Politik. Ich will darauf aufmerksam machen, dass 55 Prozent der Franzosen eigentlich nicht Macron wählen wollten. Vielmehr wollten sie nicht Le Pen wählen. Deshalb steht er mit seiner politischen Botschaft noch auf sehr dünnem Eis. Wir hoffen, dass die Wahlen zur Nationalversammlung so ausgehen, dass er für den Kurs, den ich eben beschrieben habe, keine parlamentarische Mehrheit findet.

Aber einige Vorschläge von Macron sollten bedacht werden. Die Einrichtung eines Euro-Zonen-Budgets unter demokratischer Kontrolle, mit dem gemeinsame Investitionen getätigt werden könnten, wäre ein sinnvoller Fortschritt. Allerdings steht zu befürchten, dass eine echte demokratische Kontrolle mit der Bundesregierung nicht zu machen sein wird und dass die Mittel aus dem Budget an strikte Reformauflagen gekoppelt werden würden. Wer Finanzhilfen will, muss dann kürzen, liberalisieren und privatisieren – wie es diese Bundesregierung vielen anderen europäischen Partnern jeden Tag immer wieder ins Stammbuch schreibt, mit verheerenden Auswirkungen auch in Südeuropa.

Ein derartiger deutsch-französischer Deal würde der Wirtschaft schaden, die soziale Krise vertiefen und die Demokratie weiter aushöhlen. Wir hätten eine Art auf Dauer geschaltete Troikapolitik mit all den katastrophalen Folgen, die bereits heute sichtbar sind. Am Ende würden dann doch Le Pen und andere Rechtspopulisten profitieren. Wenn die letzten Jahre eines gezeigt haben, dann das: Die neoliberalen Kürzungsorgien haben vor allem den Nationalisten in den verschiedenen Ländern in die Hände gespielt.

Ohnehin wird jeglicher sinnvolle Ansatz auf EU-Ebene konterkariert, solange Deutschland nicht seine antieuropäische Wirtschaftspolitik beendet. Wenn die stärkste Volkswirtschaft der Währungsunion immer größere Exportüberschüsse anhäuft, haben andere zwangsläufig immer größere Defizite und damit auch steigende Schuldenberge. Macrons Kritik am deutschen Merkantilismus ist vollkommen berechtigt. Wenn wir der EU eine Chance geben wollen, müssen wir in Deutschland endlich die riesige Investitionslücke schließen und durch kräftige Lohnerhöhungen den Binnenmarkt stärken. Anders wird es nicht gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Weiterhin müssen wir über die Vermögen sprechen. In Ländern wie Frankreich und Deutschland verfügt das reichste 1 Prozent über Vermögen, die in etwa der gesamten öffentlichen Verschuldung entsprechen. Die Schuldenkrise wird sich nicht überwinden lassen, ohne Teile dieser Vermögen umzuverteilen. Wir brauchen daher eine Vermögensteuer in Deutschland und europaweit. Nur wenn Deutschland bei diesen zentralen Punkten endlich einen Politikwechsel vollzieht, gibt es die Chance auf eine deutsch-französische Achse, die die europäische Integration voranbringt und den Nationalismus zurückdrängt. Nur ein solcher Politikwechsel, ein Neustart für Europa, würde die EU aus der tiefen Krise herausführen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Für Ende Juni ist ein gemeinsamer Ministerrat von Deutschland und Frankreich geplant. Damit es nicht nur beim Händeschütteln und Kaffeetrinken bleibt, möchte ich Sie bitten, drei Ergebnisse zu erzielen. Erstens. Beschließen Sie mit Frankreich: Es gibt keine Aufrüstung in Höhe von 2 Prozent des BIP.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das ist doch schon längst beschlossen!)

Das wäre ein Signal für das Friedensprojekt Europa.

Zweitens. Sorgen Sie dafür, dass die Pannenreaktoren in Cattenom und Fessenheim endlich abgeschaltet werden. Das wäre in umweltpolitischer und klimapolitischer Hinsicht ein Erfolg.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Drittens wäre es gut, die Menschen besser zu verbinden. Wir brauchen wieder eine Nachtzugverbindung von Berlin nach Paris. Auch dafür könnten Sie sorgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)