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Agrarwissenschaften in Deutschland auf neue Anforderungen ausrichten

Rede von Kirsten Tackmann,

Rede zum Antrag der Fraktion DIE LINKE. "Die Agrarwissenschaften in Deutschland auf neue Anforderungen ausrichten", Drucksache 16/12998; die Rede wurde zu Protokoll gegeben

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Deutschland nennt sich selbst Land der Dichter und Denker. Bildung, Forschung und Lehre gehören in einem rohstoffarmen Land zu den wichtigen Standortfaktoren, die Gesellschaft, Politik und Wirtschaftsleben prägen sollten.
Gerade für die Agrarwissenschaften werden die Lösungen globaler Probleme zunehmend zur existenziellen Verantwortung:
• Unter- und Mangelernährung bei anhaltendem Bevölkerungswachstum,
• Zerstörung von landwirtschaftlich, gartenbaulich oder forstlich nutzbaren Flächen,
• Wirkung des globalen Klimawandels auf die agrarischen Ökosysteme
• Rückgang der biologischen Vielfalt
• Soziale und ökologische Folgen eines global deregulierten Marktes.
Leistungsfähige Agrarwissenschaften haben gerade in ihrem Mutterland Deutschland in der Vergangenheit zu Selbstversorgungsicherung mit Nahrungsmitteln auf hohem Niveau und zur Lösung ökologischer und sozialer Probleme beigetragen. Eine besondere Stärke der Agrarwissenschaften war dabei immer ihre betont interdisziplinäre Ausrichtung.
Mit den großen Herausforderungen wird aber die aktuelle politische Wahrnahme der Agrarwissenschaften nicht gerecht. Die seit Jahrzehnten gesicherte Nahrungsmittelversorgung, ja Überversorgung in Deutschland und Europa hat wohl allzu sorglos und selbstzufrieden gemacht!
Das Ergebnis dieser Vernachlässigung ist eine Krise der Agrarwissenschaft, die der Wissenschaftsrat unterdessen beklagt.
Ein Grund ist die zersplitterte Verantwortung. Für die unterschiedlichen Institutionen der Agrarforschungslandschaft sind verschiedene Träger wie Bund, Länder oder Stiftungen zuständig. In unserem Antrag werden die damit verbundenen Probleme beschrieben und Vorschläge zur Behebung gemacht.
Der Bund hat aber auch hausgemachte handfeste eigene Probleme geschaffen.
Mit der Agrarressortforschung beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gibt es einen eigenständigen Wissenschaftsbereich für Politikberatung und hoheitliche Aufgaben. Er ist ebenso wichtig wie er spätestens seit 1996 stiefmütterlich behandelt wird - abgesehen von ein paar Prestigeprojekten.
Die LINKE hält eine leistungsfähige Agrarressortforschung für unentbehrlich. Sie muss fachlich vernetzt sein mit der universitären und außeruniversitären Agrarforschung. Die fachliche Unabhängigkeit ihrer Politikberatung muss gesichert sein.
Dafür ist aber eine bedarfsgerechte finanzielle und personelle Ausstattung mit einer sinnvollen Struktur erforderlich.
Aber sowohl das Rahmenkonzept von 1996 als auch das Neuordnungsgesetz von 2007 stellten hier falsche Weichen, denn es ging dabei vor allem um Personalabbau, der über die Schließung von Standorten forciert wurde. Nebenbei wurde auch die fachliche Mitbestimmung abgebaut.
Seit 1996 wurden rund 1.000 Stellen gestrichen - das sind 30%! Von den verbliebenen rund 2.700 sollen in den nächsten Jahren noch einmal 350 wegfallen!
Damit hatte eine ganze Wissenschaftler/innen- Generation kaum Zugang zu unbefristeten Arbeitsverhältnissen in der Agrarressortforschung! Viele trifft man dafür unterdessen im Ausland wieder!
Da diese Stelleneinsparungen über zufällig frei werdende Stellen erbracht wurden, sind wichtige Aufgaben weggefallen oder werden nur noch teilweise erfüllt.
Oft gingen und gehen dabei die wenigen höher qualifizierten Arbeitsplätze für Frauen in ländlichen Räumen verloren, die doch so dringend gebraucht werden! Die Folge ist zudem eine ungünstige Altersstruktur der Belegschaften. Die Arbeitsbelastung ist kaum mehr zumutbar.
Wissenschaftliche Exzellenz ist unter solchen Bedingungen nur schwer zu halten.
Die Kritik der LINKEN an diesem politisch gewollten Ausverkauf der Agrarressortforschung haben wir immer wieder vorgetragen:
• es fehlt eine ambitionierte Fachkonzeption für eine wissenschaftlich begründete agrarpolitische Beratung der Bundesregierung.
• Es fehlt die Bedarfsanalyse der aktuellen und zukünftigen Erfordernisse für eine agrarwissenschaftliche Politikberatung des Bundesministeriums.
• es fehlen langfristige Kosten-Nutzen-Rechnungen für die geplanten und zum Teil schon begonnenen Umsetzungsmaßnahmen.
• und es fehlt vor allem eine plausible Prüfung der noch vorgesehenen Standortschließungen unter fachlichen, finanziellen, personellen und strukturpolitischen Gesichtspunkten.
1996 gab es 35 Agrarressortforschungsstandorte, davon sollen in den kommenden Jahren nur 21 übrig bleiben.
Unter diesen Standortschließungen gibt es zum Beispiel in Brandenburg zwei besonders unsinnige Entscheidungen:
1. die Standortverlagerung des Instituts für Epidemiologie des Friedrich Löffler Instituts von Wusterhausen an die Ostsee
2. die Verlagerung des Instituts für Forstgenetik und Forstpflanzenzüchtung von Waldsieversdorf in die Nähe von Hamburg.
Diese beiden Entscheidungen sind ein strukturpolitisch verheerendes Signal für die ländliche Heimatregion und machen weder sozial noch fachlich oder finanziell Sinn. Das waren auch nicht die Entscheidungskriterien: Die Standorte werden vor allem geschlossen, damit Personal abgebaut werden kann - koste es, was es wolle.
Deshalb ist eine der Hauptforderung des Antrags der LINKEN die Vorlage einer Evaluierung der wissenschaftlichen, sozialen, finanziellen und strukturpolitischen Folgen der Standortschließungen und des Personalabbaus in der Agrarressortforschung seit 1996.
Bis zur Vorlage dieser Analyse fordern wir ein Moratorium für Standortschließungen das so lange in Kraft bleibt, bis dem Bundestag für die noch geplanten Standortschließungen eine Kosten-Nutzen-Rechnung einschließlich der Prüfung von Alternativen zur Standortschließung zur Beschlussfassung vorgelegt wurde.
Unser Antrag enthält darüber hinaus noch viele weitere Vorschläge zur Überwindung der Krise in der universitären und außeruniversitären Agrarforschung, auf deren Diskussion im Ausschuss ich schon sehr neugierig bin.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.