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Agrarpolitik darf nicht die Augen vor wachsender Armut im Land verschließen

Rede von Kirsten Tackmann,

Rede zur abschließenden Lesung des Bundeshaushaltsgesetzes 2008, Einzelplan 10 (Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!

Die Sache mit dem Aufschwung hat immer etwas mit der Perspektive zu tun, vor allen Dingen bei der Antwort auf die Frage, wer von diesem Aufschwung profitiert.
Ja, es gibt landwirtschaftliche Betriebe, die als Kronzeuge für den Aufschwung dienen. Vor allem reine Ackerbaubetriebe profitieren von den steigenden Erzeugerpreisen. Die Verlierer dieses Aufschwunges sind die Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV, Niedriglöhnen und Armutsrenten und ihre Familien.
Ja, die Linke ist für kostendeckende Erzeugerpreise, aber die müssten auch bezahlt werden können.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb darf die Agrarpolitik nicht die Augen vor der wachsenden Armut in diesem Land verschließen. Ein Blick auf die Ferkelerzeuger, die Milchviehbetriebe und die kleinen Biokraftstoffproduzenten zeigt: Der Aufschwung hat nur einige Gewinner, aber viele Verlierer.
Dafür sind auch bundespolitische Entscheidungen verantwortlich. Ein Beispiel: Wer den gesetzlichen Mindestlohn verhindert, trägt dazu bei, dass erstens die Kaufkraft in den Dörfern zunehmend schwindet, zweitens fehlende existenzsichernde Arbeitsplätze die Landflucht beschleunigen und drittens sich der Fachkräftemangel auch in der Landwirtschaft zuspitzt. Auf meiner Sommertour durch landwirtschaftliche Betriebe in der Prignitz, meinem Wahlkreis, habe ich die Standardfrage gestellt: Wie stehen Sie zum Mindestlohn? Die Antwort lautete unisono in allen Betrieben: Wir würden gern 8 Euro zahlen, aber wir können das nur, wenn alle das müssen. Ein so klares Votum ist für mich ein klarer Handlungsauftrag.
(Beifall bei der LINKEN)
Andererseits ist aber auch richtig: Auf die eigentliche Agrarpolitik hat die Bundesebene nur begrenzten Einfluss. Hier dominieren Brüssel und die Bundesländer. Insofern ist der Bundesagrarhaushalt relativ schnell besprochen.
Die Linke begrüßt die Beibehaltung des Bundeszuschusses an die landwirtschaftliche Sozialversicherung von 3,7 Milliarden Euro. Damit ist bei einem Gesamtetat von 5,3 Milliarden Euro das meiste Geld gebunden. Der Ausbau der Breitbandversorgung in den ländlichen Räumen das ist schon genannt worden ist sehr wichtig. Aber auch wir sehen das da sind wir mit der FDP einer Meinung mit 10 Millionen Euro absolut unterfinanziert. Außerdem ist das nicht nur ein Problem der ländlichen Räume. Deswegen, denken wir, gehört es eigentlich in den Etat von Herrn Tiefensee.
Beim Blick auf die Agrarressortforschung muss ich erneut meine Verwunderung bezeugen. Die Verdoppelung der Bausumme für den Institutsneubau auf der Insel Riems Herr Schirmbeck hat das schon genannt von 151 Millionen Euro auf 315 Millionen Euro ist relativ großzügig. Ja, auch die Linke befürwortet diesen Neubau. Wir erwarten dieselbe Flexibilität aber auch bei anderen Projekten, die nicht Prestigeobjekte und nicht Exzellenzforschung sind. Die größten Wissensdefizite haben wir nämlich im Moment nicht in der Exzellenzforschung, sondern in der angewandten Forschung. Ich denke, auch die muss aus dem Schattendasein heraustreten können. Wir brauchen hier also dringend eine Neubewertung. In einigen Fällen könnten wesentlich größere Probleme mit weniger Geld gelöst werden.
Unter dem Strich kann man über den Einzelplan 10 sagen: Er ist wenig ambitioniert, aber er richtet auch keinen großen Schaden an.
(Beifall bei der LINKEN Lachen bei der SPD)
Es reicht nicht, damit wir ihm zustimmen, aber ist angesichts des Gesamthaushaltes schon fast ein Lob.
(Lachen bei der SPD)
Die aktuellste Bedrohung für die Landwirtschaft kommt allerdings aus Brüssel. Die ländlichen Räume haben seit 2005 20 bis 40 Prozent der EU-Fördermittel und jährlich 60 bis 100 Millionen Euro Bundesmittel plus Kofinanzierungsmittel der Länder verloren. Nun will die EU-Kommission vorzeitig die Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe kürzen. Allein Mecklenburg-Vorpommern würde dadurch über 80 Millionen Euro verlieren. Dieser Vorschlag bedroht die wirtschaftliche Existenz vor allem ostdeutscher Betriebe. Er verkennt völlig ihre real schwierige wirtschaftliche Situation und die Besonderheiten Ostdeutschlands. Durch die sogenannte Modulation geben die Landwirtschaftsbetriebe bereits jetzt Direktzahlungen an den ländlichen Raum ab. Laut aktuellem Agrarbericht reduziert das bei den ostdeutschen Betrieben den durchschnittlichen Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent. Altschulden, Flächenerwerb, Eigenkapitalschwäche und die Vielzahl von Eigentümern sind weitere Stichworte für die ostdeutsche Landwirtschaft.
Deshalb meine dringende Aufforderung an Minister Seehofer: Verhindern Sie diesen Wortbruch! Die Betriebe brauchen Verlässlichkeit, und die Dörfer brauchen die Betriebe. Sie sind oft die letzten sicheren Arbeitsplätze im ländlichen Raum.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))