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Active Endeavour: Unspezifisches Mandat, unklare Risiken

Rede von Paul Schäfer,

Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!
Alle Jahre wieder: Zehn Jahre nach den Terroranschlägen von New York und Washington sollen für die Antiterrormission Active Endeavour 700 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Mittelmeer eingesetzt werden können.
Der Einsatz von Gewalt ist gestattet – wozu, bleibt mehr als unklar. Ursprünglich sollten Al-Qaida-Terroristen Rückzugsmöglichkeiten versperrt werden und sollten Terroranschläge auf strategisch wichtige Transportschiffe unterbunden werden. Ernsthafte Belege, dass man mit dieser Mission tatsächliche Bedrohungen und Gefahren abgewendet hat oder abwenden könnte, gibt es keine. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

An der Antiterrormission Enduring Freedom beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland aus guten Gründen nicht mehr. Warum also sollten wir der Beteiligung an der Operation Active Endeavour zustimmen? Zu welchen gedanklichen Verrenkungen und Verbiegungen die Bundesregierung greifen muss, um dieses Mandat zu begründen, zeigt der vorliegende Antrag: Der Terrorangriff von New York dauere quasi bis heute an, da es ja immer wieder Anschläge gegeben habe. Entschuldigung, aber wie man mit den Marineeinheiten im Mittelmeer die Anschläge in London, Madrid oder Detroit hätte vereiteln können, das bleibt wirklich das exklusive Geheimnis dieser Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Noch einmal: Es gibt keine militärische Bedrohung, gegen die sich der Marineeinsatz richten könnte. Die NATO sagt doch selbst, dass es bei Active Endeavour im Kern um etwas anderes geht: Ihr primäres Interesse gilt der Etablierung eines umfassenden Systems der Seeraumüberwachung. (Beifall bei der LINKEN)

Staatsminister Hoyer hat schon im letzten Jahr von einem innovativen Zentrum und einem Sicherheitsnetzwerk gesprochen. Das klingt harmlos, ist aber alles andere als harmlos. Es geht um eine machtpolitische Demonstration, um Machtausübung und um eine Anmaßung: Ohne Mandat der UNO, ohne Zustimmung der Anrainerstaaten will die NATO im gesamten Mittelmeerraum quasi dauerhaft polizeiliche Aufsichts- und Kontrollfunktionen ausüben. Man verspricht sich davon Vorteile wie die umfassende Kontrolle des Seehandels.

Man will sich damit auch neue Optionen auf schnelle militärische Reaktionen auf unliebsame politische Entwicklungen in den Anrainerstaaten erschließen. Beim Libyen-Einsatz der NATO hat Active Endeavour nur in den Anfangstagen eine kleine Rolle gespielt. Das kann sich aber beim nächsten Anlass ändern. Im Antrag der Bundesregierung deutet man zumindest an, dass aus der passiven Überwachung großer Räume auch offensive militärische Handlungen werden können. In Ihrem Antrag ist von der „Unterstützung spezifischer Operationen der NATO … in Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer“ die Rede. Das ist ein weites Feld. Damit lässt sich vieles rechtfertigen, ohne dass dieses Parlament es kontrollieren kann. Und einem solchen Mandat sollen wir zustimmen? Niemals! (Beifall bei der LINKEN)

Es scheint überhaupt gängige Praxis zu werden, gestützt auf Art. 5 des NATO-Vertrages allgemeine Ermächtigungen für Militäreinsätze aller Art zu erteilen. Beim jüngsten Besuch des Verteidigungsausschusses in Brüssel haben wir auch mit dem damaligen Direktor des Militärausschusses, Herrn Di Paola, gesprochen. – Ja, er ist der neue Verteidigungsminister Italiens. Auf meine Frage, wann denn die atlantische Allianz den Bündnisfall aufzuheben gedenke, hat er sich völlig erstaunt gezeigt und gesagt, das sei doch ein symbolischer Akt der Solidarität gewesen, und natürlich gelte diese Solidarität über den Tag hinaus. So gesehen stellt sich in der Tat die Frage nach der Aufhebung des Bündnisfalles ebenso wenig wie nach der Beendigung von Active Endeavour. Dann kann man diese militärischen Aktionen endlos weiterlaufen lassen und sie je nach Bedarf umfunktionieren.

Genau das passiert hier. Dass damit de facto Kontroll- und Mitentscheidungsrechte des Parlaments ad absurdum geführt werden, ist Ihnen offensichtlich entgangen. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Was machen wir denn hier? Wir beraten doch!) Die Perspektive wird nicht deutlich, sondern diffus formuliert. Man wird über die Bedrohung, gegen die sich der Einsatz richtet, im Unklaren gelassen. Das Ziel des Marineeinsatzes ist so umfassend und unspezifisch, dass alles und jedes einbezogen werden kann. Die Risiken, sich in andere Einsätze zu verstricken, deuten Sie nur an; Sie benennen sie aber nicht klar. Daher ist die Notwendigkeit einer deutschen Beteiligung an einer solchen Militärmission mitnichten gegeben. Wir können zu diesem Militäreinsatz nur Nein sagen.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)