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Achim Kessler: Gesundheitsminister stellt Pharmainteressen über Menschenleben

Rede von Achim Kessler,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wirkungsvolle und sichere Impfstoffe sind entscheidend, um die Pandemie dauerhaft zu bezwingen, und dabei ist Eile geboten; denn durch seine Mutationen verbreitet sich das Virus vermutlich schneller und leichter. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, jetzt alle Möglichkeiten zu ergreifen, um die Produktionskapazitäten für Impfstoffe schnellstmöglich zu erhöhen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich teile die Kritik am Missmanagement der Bundesregierung bei der Bestellung und Verteilung der Impfstoffe zum Teil. Aber das ist gar nicht die entscheidende Frage. Denn entscheidend sind weniger der Zeitpunkt und der Umfang einer Bestellung. Entscheidend ist der Zeitpunkt der tatsächlichen Lieferung.

Wenn die EU oder Deutschland nun 300 Millionen Dosen eines Impfstoffes mehr bestellt hätten, so bedeutet das doch nur, dass diese Menge in einem anderen Land, vermutlich in einem ärmeren Land, fehlt. Das Nadelöhr, meine Damen und Herren, sind nicht die Bestellungen, sondern das Nadelöhr sind die Produktionskapazitäten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie nicht von selbst darauf gekommen sind, sodass Sie Die Linke am Anfang des Jahres darauf aufmerksam machen musste. Es ist wirklich ein Skandal, dass Sie noch immer nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Produktionskapazitäten endlich zu erhöhen.

(Beifall bei der LINKEN – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Deutschland oder wo?)

Angesichts der globalen Vernetzung kann die Pandemie nicht in einzelnen Ländern oder auf einzelnen Kontinenten dauerhaft erfolgreich bekämpft werden. Deshalb besteht auch ein gemeinsames globales Interesse, die Produktionskapazitäten in Deutschland, in Europa und weltweit deutlich zu erhöhen. Doch die Ausweitung der Produktionskapazitäten wird aktuell verhindert durch Patente, durch Geschäftsgeheimnisse und durch den fehlenden Transfer von Know-how.

(Zuruf von der FDP: So ein Quatsch!)

Meine Damen und Herren, angesichts der gesundheitlichen, der sozialen und der wirtschaftlichen Katastrophe, die das Coronavirus ausgelöst hat, ist das nicht länger hinnehmbar. Die Lizenzen müssen jetzt freigegeben werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Forschung und Entwicklung der Impfstoffe und für den Ausbau der Produktionskapazitäten wurden enorme Steuermittel aufgewendet. Doch anstatt als Gegenleistung für öffentliche Fördergelder und Abnahmezusagen einen schnellen und massenhaften Zugang für alle kostengünstig zu sichern, knickt die Bundesregierung vor den Profitinteressen der Pharmalobby ein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ah! Da war es wieder! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP])

Die Bundeskanzlerin hat noch im letzten Frühjahr davon gesprochen – hören Sie zu; Sie werden es nicht oft erleben, dass ich die Kanzlerin zitiere –, dass ein wirkungsvoller und sicherer Impfstoff als „globales öffentliches Gut“ zur Verfügung stehen sollte. Ich finde, recht hat sie.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Doch dagegen lief der Verband Forschender Arzneimittelhersteller sofort Sturm – erfolgreich, wie sich nun zeigt. Meine Damen und Herren von der SPD und von der CDU/CSU, das ist der Preis, den man zahlt, wenn man einen Pharmalobbyisten zum Gesundheitsminister macht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Nach den Epidemien SARS und MERS hat der europäische Pharmaindustrieverband den Vorschlag der EU-Kommission abgelehnt, zu den Coronaviren zu forschen. Der Pharmaindustrie waren die Gewinnaussichten zu niedrig, das unternehmerische Risiko zu hoch. Mit staatlichen Fördergeldern und Abnahmezusagen haben Sie genau dieses Risiko in der Pandemie vollständig beseitigt.

Aber wo ist die Gegenleistung der Pharmaindustrie? Meine Damen und Herren, warum schöpfen Sie die rechtlichen Möglichkeiten nicht aus, die Sie sich selbst mit dem ersten Bevölkerungsschutzgesetz gegeben haben? Zwingen Sie die Impfstoffhersteller, Lizenzen zu vergeben, damit die Bekämpfung der Pandemie endlich Vorrang vor den Profitinteressen der Pharmaindustrie bekommt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Pandemie wird entweder weltweit besiegt oder gar nicht. Doch gerade auf globaler Ebene versagt die Bundesregierung leider vollständig. Die Regierungen Südafrikas und Indiens haben bei der Welthandelsorganisation den Antrag gestellt, den Schutz von Patenten auf Medikamente und Impfstoffe zur Bekämpfung der Coronapandemie auszusetzen, solange diese andauert. Auf meine Frage im Unterausschuss Globale Gesundheit hat die Bundesregierung erklärt, dass sie diese Initiative nicht unterstützt.

Meine Damen und Herren, das ist nicht nur unsolidarisch gegenüber den Menschen in den ärmeren Ländern, sondern das ist auch eine grobe Missachtung unserer eigenen Interessen. Denn, wie gesagt, erst wenn ein Großteil der Menschen weltweit vor dem Virus und weiteren Mutationen geschützt ist, ist auch unser eigener Schutz dauerhaft gesichert. Ich bitte Sie deshalb sehr, sehr dringend: Unterstützen Sie unseren Antrag!

(Beifall bei der LINKEN)