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Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan - sofort und vollständig

Rede von Wolfgang Gehrcke,

Rede zur 1. Lesung des Antrags der Bundesregierung zur Beteiligung am NATO-geführten Einsatz „Resolute Support Mission“ in Afghanistan in der 74. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Freitag, 5. Dezember 2014

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie werden mir nachsehen,

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Nein!)

dass ich als Erstes meinem Kollegen Bodo Ramelow zu seiner Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen gratulieren möchte.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gratulation auch an SPD und Grüne! Für mich ist es ein sehr hoffnungsvolles Zeichen, dass man mit einer klaren Antikriegsposition ‑ ich habe zusammen mit Bodo Ramelow an unendlich vielen Demonstrationen gegen den Krieg in Afghanistan teilgenommen ‑ Wahlen gewinnen kann. Das ist ein Signal in eine andere Richtung; so nehme ich es auf. Deswegen freue ich mich darüber.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh Mann! - Charles M. Huber (CDU/CSU): Falsche Richtung!)

Ich habe viel darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir uns als Abgeordnete des Bundestags in der heutigen Parlamentssitzung aus Trauer um die Opfer des Krieges in Afghanistan ‑ ich sage ausdrücklich dazu, Herr Außenminister, dass ich die Opfer sowohl aus Afghanistan als auch aus anderen Ländern meine ‑ hätten erheben und Abbitte für unseren Anteil an diesem Krieg mit zahlreichen Opfern leisten müssen. Eine solche Geste des Parlaments wäre angebracht gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich verstehe nicht, warum man die afghanischen Opfer aus der Trauer immer herausnimmt. Ich weiß, dass es eine solche Geste nicht geben wird, auch deshalb nicht, weil es bei den anderen Fraktionen keine Bereitschaft gibt, sich schonungslos Rechenschaft darüber abzulegen, was passiert ist.

(Ingo Gädechens (CDU/CSU): Anmaßend ist das von Ihnen!)

Der Antrag der Bundesregierung lautet im Klartext: 850 Bundeswehrsoldaten werden im Rahmen eines 12.000 Personen umfassenden Kontingents der NATO und anderer Staaten in Afghanistan stationiert. Es gibt bis zum heutigen Tag kein UNO-Mandat dafür. Sie sagen, dass Sie sich darum bemühen werden. Es gibt aber kein Mandat. Sie entscheiden, obwohl die UNO ihre Position bisher nicht dargelegt hat. Das bricht mit allem, was Sie versprochen haben. Das ist kein Abzugsmandat, sondern ein Mandat, das möglicherweise dafür sorgt, dass der Krieg weitergeht.

Ich erinnere daran, dass wir die Namen der Opfer von Kunduz, zu deren Tötung ein deutscher Offizier den Befehl gegeben hatte, hier im Parlament hochgehalten haben. Wir sind damals herausgeflogen. Aber es blieben die Fragen: Warum ist das Ganze eigentlich passiert? Hat es keine anderen Wege gegeben? Wurden andere Wege nicht eingeschlagen, und warum nicht? Wann begreift der Bundestag endlich die Schwere der Fehleinschätzung, sich am Afghanistan-Krieg beteiligt zu haben?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Deutschlands Sicherheit ist nicht am Hindukusch verteidigt worden. Deutschland hat Krieg am Hindukusch geführt. Das hätte angesichts der deutschen Geschichte und unserer Verantwortung eigentlich unmöglich sein müssen. Das Parlament hätte eine entsprechende Entscheidung treffen müssen.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Henning Otte (CDU/CSU): Die Rede ist noch schlimmer als erwartet!)

Seit 13 Jahren dauert nun der Krieg in Afghanistan. Ich frage mich, wann die Bundeswehr endlich vollständig abgezogen wird. Für einen vollständigen Abzug sorgen Sie nicht. Ich frage Sie, ob Sie nicht endlich begreifen wollen, dass dieser Krieg verloren ist, militärisch, moralisch, sozial und politisch. Meine Fraktion hat als Einzige von Anfang an kategorisch gesagt: Man kann den Kampf gegen den Terror gewinnen, wenn man seine Ursachen austrocknet. Aber ein Krieg gegen den Terror ist nicht zu gewinnen. ‑ Das ist das Ergebnis und die Botschaft von Afghanistan.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben im Wesentlichen immer vier Argumenten für den Einsatz in Afghanistan angeführt. Ich habe sie nie geglaubt. Ich glaube, dass es andere Gründe für diese Auseinandersetzung gegeben hat.

(Ingo Gädechens (CDU/CSU): So ein Schwachsinn!)

Aber ich will mich noch einmal ein Stück weit mit Ihren Argumenten auseinandersetzen. Sie haben gesagt, der Krieg in Afghanistan sei ein Krieg gegen den Terror. Ich frage Sie sehr ernsthaft: Ist die Terrorgefahr heute kleiner oder größer geworden? Jeder, der halbwegs hinschaut, wird zugeben: Die Terrorgefahr ist heute größer geworden. Durch die Kriegsbeteiligung der NATO, Deutschlands und der USA sind Tausende Leute in die Hände der Terroristen getrieben worden. Das halte ich für das größte Versagen in diesem Krieg. Was wir nun im Nahen Osten erleben ‑ ich nenne als Beispiel IS ‑, hat seine Wurzeln auch im Afghanistan-Krieg. Sehen Sie endlich ein, dass dieser Weg falsch ist, dass man einen anderen Weg einschlagen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben uns erzählt, dieser Krieg müsse geführt werden, um die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu stoppen. Wie ist es nun? Ist die Gefahr kleiner oder größer geworden? Ein Blick darauf zeigt doch, dass die Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen größer und nicht kleiner geworden ist. Auch hier war Krieg nicht die richtige Antwort. Ich frage Sie, ob Sie noch heute Ihr Versprechen einlösen wollen, dass es ein Krieg für Demokratie gewesen ist.

(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Schwachsinn!)

Sowohl das, was in Afghanistan herrscht, als auch das, was wir weltweit erleben ‑ die Entstaatlichung und den Niedergang von Staaten ‑, sind ein Schlag gegen die Demokratie. Dieser Krieg hat die Demokratie nicht befördert, sondern ein Stück weit vernichtet.

Ihr Argument war: Das ist ein Krieg um Menschenrechte. Glauben Sie heute noch ernsthaft, man könne Menschenrechte mit Krieg verteidigen? Krieg und Tötung, Blut, Dreck und Vernichtung sind immer das Gegenteil von Menschenrechten. Dieser Krieg hat Menschenrechte nicht verteidigt, sondern infrage gestellt und vernichtet.

(Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Die der Taliban, oder?)

Das wollen wir hier im Parlament aussprechen; denn ohne eine Auseinandersetzung damit werden wir kein Stück vorankommen.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Kein Wort zu den Taliban!)

Es werden ja Kollegen der SPD und der CDU/CSU sprechen: Erklären Sie dem Parlament doch einmal, warum Sie ohne Beschluss der Vereinten Nationen diesen Einsatz jetzt vom Zaune brechen. Das werden Sie nicht erklären können. Das widerspricht Ihren eigenen Positionen. Deswegen wäre die einzig richtige Botschaft: Schluss mit der deutschen Beteiligung am Afghanistan-Krieg - vollständig und sofort!

(Beifall bei der LINKEN)