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Abmahnindustrie bekämpfen

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wenn wir über den Industriestandort Deutschland reden, dann reden wir normalerweise über Autos, Stahl und Kohle. Eine ganz andere Industrie erfreut sich ebenfalls guter Konjunktur, spricht aber nicht gern darüber. Reden wir doch heute einmal über das lukrative Geschäft der Abmahnindustrie. Es ist zumindest für die Betreiber lukrativ, die mit dem Unwissen und der Angst der Bürgerinnen und Bürger sowie mit der Androhung unglaublich hoher Kosten riesige Gewinne machen.

Wie funktioniert dieses Geschäft? Ein Schüler beispielsweise lädt durch Filesharing einen Musiktitel herunter. Die schlaue Abmahnkanzlei verklagt den Schüler, weil dieser dem Musiklabel damit einen unglaublich hohen Schaden zugefügt hätte. Der angeblich hohe Schaden wiederum bildet den Streitwert, der Grundlage für die Gebührenrechnung der Anwaltskanzlei ist. Unglaublich ist dabei vor allem die Begründung zur Berechnung der Schadenshöhe. Die Kanzlei rechnet nämlich wie folgt: Jedes in der Tauschbörse angebotene Werk werde von vier Nutzern pro Stunde heruntergeladen. Nach einer Stunde verfügten also fünf Nutzerinnen und Nutzer über diesen illegalen Download, den sie in der kommenden Stunde jeweils vier weiteren Menschen zugänglich machten. Nach sieben Stunden, so besagt es rein rechnerisch die sogenannte Vervielfältigungskette, seien bereits 78 125 illegale Kopien im Umlauf. Nach 15 Stunden verfügte demzufolge jeder Bürger und jede Bürgerin auf dieser Welt über eine sogenannte Raubkopie. So rechnen Leute mit zwei juristischen Staatsexamen. Ich frage mich: Wer hat hier eigentlich den schweren Schaden? Das ist absurd.

(Beifall bei der LINKEN)

Die in den vergangenen Jahren entstandene Abmahnindustrie arbeitet dabei wie folgt: Zuerst ermitteln die Firmen die IP-Adressen, dann beantragen Anwälte mit Unterstützung von Gerichten bei den Providern die Herausgabe der Daten der Anschlussinhaber. Allein die Deutsche Telekom gibt nach Aussage einer Sprecherin jährlich 2,4 Millionen Adressen heraus. Mithilfe dieser Adressen beginnt dann das Abmahnen und Absahnen.

Nun hat der Gesetzgeber die Erstattungspflicht von Abmahnkosten vor einigen Jahren auf 100 Euro begrenzt, allerdings nur, wenn ein einfach gelagerter Fall und kein gewerbliches Handeln vorliegt, die Rechtsverletzung unerheblich ist und der Abgemahnte nicht bereits wegen ähnlicher Vorfälle auffällig geworden ist. Sie merken: vier Bedingungen für 100 Euro. Die Idee ist gut, die Formulierung schlecht. Sie sichert gerade keinen ausgewogenen Interessenausgleich.

Im Ergebnis ist die Maßnahme voll ins Leere gelaufen. Allein im Jahr 2010 sind im Auftrag von Rechteinhabern rund 600 000 Abmahnungen mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro verschickt worden. Dieses fragwürdige wie unverhältnismäßige Agieren der Abmahnindustrie gegen Bürgerinnen und Bürger wird die Linke nicht hinnehmen, und Sie sollten es auch nicht tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Es kommt nämlich noch hinzu, dass Menschen von Anwaltskanzleien allzu häufig völlig zu Unrecht beschuldigt werden, Musik oder Filme im Internet feilgeboten zu haben. Das hat manchmal eine unfreiwillige Komik, allerdings nicht für die Betroffenen. So beschreibt die Frankfurter Rundschau einen Fall, in dem eine 36-jährige Frau zu Unrecht beschuldigt wird, einen Pornofilm mit dem Titel Ohne Höschen Vol. 19 illegal verbreitet zu haben. Dafür wurde ein Streitwert von 30 000 Euro festgelegt. Das sagt einiges darüber aus, was der Abmahnanwalt als künstlerisch wertvoll erachtet. Dem Mann ist nicht zu helfen, wohl aber der zu Unrecht beschuldigten Frau, wenn wir endlich die gesetzlichen Bestimmungen entsprechend ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke hat am 6. Juli einen Gesetzentwurf vorgelegt, um genau diesem Gebaren einen Riegel vorzuschieben. Die Justizministerin erklärt vier Monate später, sie wolle nun der Abmahnindustrie den Kampf ansagen. Wir erlauben ihr, bei uns abzuschreiben.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Meine Fraktion schlägt mit ihrem Gesetzentwurf vor, zwischen privater und kommerzieller Rechtsverletzung zu differenzieren, anstatt wie bisher im Urheberrecht nur zwischen privat und öffentlich zu unterscheiden. Wir sagen: Was im Internet passiert, ist immer öffentlich.

Flankieren wollen wir dies durch die Schaffung eines Gegenkostenanspruchs, wenn jemand zu Unrecht abgemahnt wird. Wir wollen klare Regeln, um Auskunftspflichten Dritter sinnvoll zu begrenzen, und wir schaffen Regelungen zur Streitwertminderung. Wir wollen nicht, dass die Rechteinhaber insbesondere solcher Werke von zweifelhafter Güte oder auch aus anderen Gründen geringer Markttauglichkeit Abmahnungen gezielt als Instrument für ansonsten nicht realisierbare Gewinne nutzen. Kurz gesagt: Niemand soll mehr die Möglichkeit haben, für Schrott den Bürgerinnen und Bürgern Geld aus der Tasche zu ziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke will mit ihren Vorschlägen zum Urheberrecht die Rolle der Nutzerinnen und Nutzer stärken. Sie will dem massiven Lobbying seitens der klassischen Verwertungsgesellschaften etwas entgegensetzen; denn die Anzahl illegaler Downloads geht zurück, die Anzahl der Abmahnungen steigt.

Zum Schluss: Wir sagen, digitale Technologien und Verbreitungswege eröffnen große Chancen. Die Fortschreibung des Urheberrechts sollte deshalb nicht von der Angst vor den damit einhergehenden Veränderungen diktiert sein. Sie sollte stattdessen der Förderung des schöpferischen Potenzials, das in und mithilfe der digitalen Welt erschlossen werden kann, verpflichtet sein.

(Beifall bei der LINKEN)