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Ursachen und Folgen von Armut bei Kindern und Jugendlichen

Rede von Diana Golze,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Letzten Sommer habe ich in Brandenburg eine Gruppe von Kindern begrüßt, die das erste Mal in ihrem Leben in einem Ferienlager waren. Finanziert wurde der Aufenthalt aus Spendengeldern. Ich konnte in die glücklichen Gesichter der Kinder sehen. Sie kamen aus Familien, deren knappe Haushaltskasse einen Urlaub nicht zulässt. Es waren Kinder, zu deren Alltag Suppenküchen, Tafeln und Kleiderkammern gehören, weil der ALG-II-Regelsatz für eine gesunde Ernährung und für Kinderkleidung nicht reicht. Von all diesen Dingen scheint die Bundesregierung aber nicht viel zu wissen oder wissen zu wollen; denn die häufigste Antwort auf unsere Fragen in der Großen Anfrage lautet: Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.

(Zuruf von der LINKEN: Eine unwissende Regierung!)

Schlimmer noch, ich glaube, Sie hatten nie vor, die Zustände ändern zu wollen. Im Koalitionsvertrag findet man das Wort „Kinderarmut“ sage und schreibe ein Mal. Auf Seite 118 heißt es: „Wir wollen materielle Kinderarmut Reduzieren...“ Immerhin! Das Abschlusszeugnis für die Regierungsarbeit fällt aus Sicht meiner Fraktion aber denkbar schlecht aus. Die schwarz-rote Untätigkeit hat dramatische Auswirkungen auf das Leben und die Zukunft von mindestens 2,5 Millionen Kindern und Jugendlichen, die der Bundesregierung und der Bundesfamilienministerin in Sonntagsreden zwar immer wieder einfallen, danach allerdings schnell wieder vergessen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Vorspann der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zum Thema Kinderarmut heißt es: Armut und soziale Ausgrenzung von Familien und Kindern sind aus Sicht der Bundesregierung bedeutende Probleme, die insbesondere für den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft von großer Relevanz sind. Das liest sich zunächst wunderbar. Diese Bundesregierung hat aber eine Politik verfestigt, die eine ganze Bevölkerungsgruppe außen vor lässt. Den letzten traurigen Beweis dieser Ausgrenzungspolitik hat die Große Koalition mit dem Schulbedarfspaket geliefert. Diese Unterstützung für Schülerinnen und Schüler sollte anfangs nur bis zur 10. Klasse ausgezahlt werden. Die Erweiterung auf die Abiturstufe ist letztlich auch auf unseren Druck hin erfolgt.

(Lachen der Abg. Ingrid Fischbach (CDU/CSU))

Auch wenn es der Union nicht passt: Sie waren schließlich diejenigen, die im Vorfeld Kinder im Hartz-IV-Bezug nicht beim Abitur unterstützen wollten.

(Zuruf von der LINKEN: Genauso ist es!)

Die Bundesregierung verharmlost das Ausmaß der Kinderarmut, leugnet ihren permanenten Anstieg und agiert mit Zahlen, die schlicht und ergreifend falsch sind. Wenn die Familienministerin schon ein Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen einrichtet, dann sollte sie auch auf diesen Sachverstand vertrauen; denn genau dieses Kompetenzzentrum widerlegt die Zahlen der Bundesregierung, die in der Antwort auf unsere Große Anfrage genannt werden. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen das ist der Umgang der Bundesregierung mit der Kinderarmut in Deutschland. Wenn man ein Problem nicht wahrnehmen will, dann will man es auch nicht lösen.

Was haben Sie denn wirklich getan? Noch immer gibt es keine eigenständigen Kinderregelsätze. Warum auch? Wer Kindern keine eigenständigen Rechte im Grundgesetz zugestehen will, der will auch ihren eigenständigen Bedarf nicht absichern. Sie haben das Kindergeld um sage und schreibe 10 Euro erhöht. Dies gleicht aber nicht einmal annähernd den Wertverlust der letzten Jahre aus. Zudem erreicht diese Erhöhung die armen Kinder überhaupt nicht; denn das Kindergeld wird auf Hartz IV angerechnet. Unser Antrag, wenigstens diese Erhöhung von der Anrechnung auszunehmen, wurde vom ganzen übrigen Haus abgelehnt. Obendrein haben Sie den Anspruch auf Kindergeld um zwei Jahre gekürzt. Volljährigen ALG-II-Beziehenden unter 25 haben Sie dann auch noch das Recht auf eine eigene Wohnung genommen. Aus dem Konjunkturpaket bekommt eine ganze Schulklasse Neunjähriger zusammen so viel Förderung wie ein neun Jahre altes Auto. Das sind Ihre Prioritäten. Dieser Bundesregierung kann ich kurz vor Ende dieser Legislaturperiode nur ein Armutszeugnis ausstellen. Sie ist ein Armutsrisiko für Familien mit Kindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin mir sicher, dass Sie alle unsere Forderungen, die Sie in unserem Entschließungsantrag finden, wie immer mit Populismus, Wünsch-dir-was-Listen und Ähnlichem abtun werden. Aber mit unseren Forderungen nach einer spürbaren Erhöhung und Verbesserung des Kinderzuschlags, einem bedarfsbezogenen Kinderregelsatz im Arbeitslosengeld II, der Einführung eines Mindestlohnes und der deutlichen Beschleunigung des Ausbaus von Tagesbetreuungsplätzen für alle Kinder stehen wir in dieser Gesellschaft nicht allein. Gewerkschaften, Kinderrechtsverbände und andere stehen an unserer Seite.

Ich sage: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit beim Zuhören, aber nicht für die Arbeit gegen Kinderarmut.

(Beifall bei der LINKEN)