Zum Hauptinhalt springen
Michael Leutert

Sogar unter Kohl ging das

Im Wortlaut von Michael Leutert, neues deutschland,

Der Linksabgeordnete Michael Leutert über Rüstung und einen Exportstopp in die Türkei
 
Michael Leutert wurde 1974 im Erzgebirge geboren. Seit 2005 sitzt der Abgeordnete der Linksfraktion im Haushaltsausschuss des Bundestages. Er kümmert sich vor allem um Rüstungsfragen, die internationalen Etats und ist Vorsitzender der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe. Leutert ist verheiratet, hat zwei Söhne sowie eine Tochter. Mit ihm sprach René Heilig
 
Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen spätestens ab 2024 für die Bundeswehr ausgegeben werden. Die geht gerade »in die Vollen«, plant drei kampfstarke Heeresdivisionen, die Marine legt neue Schiffe auf Kiel, eine Cybertruppe wurde in Dienst gestellt, die Luftwaffe wird Führungspositionen in Europa übernehmen, selbst im Weltraum ist man unterwegs. Das alles wird vom Haushaltsausschuss des Bundestages abgesegnet. Wozu sitzen Sie da drin?

Michael Leutert: Um die Pläne der Großen Koalition öffentlich zu machen und sie möglichst zu verhindern. Die Zwei-Prozent-Forderung ist politisch und haushälterisch verantwortungslos.

Die Forderung nach zwei Prozent wird öffentlich diskutiert – spätestens seit der NATO-Tagung in Warschau im vergangenen Sommer …

Zunächst einmal grundsätzlich: Mehr Geld bringt nicht mehr Sicherheit. Mehr Waffen können politische Vernunft nicht ersetzen. Doch auch die Bundesregierung weiß: Das Zwei-Prozent-Ziel ist illusorisch, das wird von der Leyen nie erreichen. Der Verteidigungsetat würde im Vergleich zu heute auf 63 Milliarden Euro fast verdoppelt. Und das Bruttoinlandsprodukt wächst ja voraussichtlich weiter. Aber natürlich gibt es Leute, die von eigenen deutschen Flugzeugträgern träumen, von eigenen Atomwaffen oder der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Ich sehe auch den Druck, den die US-Administration aufbaut. Damit solche Pläne gar nicht erst durchgesetzt werden können, sitzt die LINKE im Haushaltsausschuss. Dazu gehört es allerdings auch, Alternativen für eine friedensorientierte Außenpolitik aufzuzeigen, die Hand und Fuß haben.

Um das Stichwort aufzunehmen: Das Geld, das da verplant wird, fehlt an anderer Stelle. Erst 2020 wird Minister Müller 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe ausgeben können. Dabei steht das schon lange in seinem Pflichtenheft.

Schauen wir mal, ob das wirklich erreicht wird. In diesem Jahr rechnet man ja noch die Kosten für die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland mit ein. So lässt sich die geforderte Quote vielleicht erreichen. Doch das ist Augenauswischerei.

Buchhaltertricks helfen keinem Hungernden, dem das Vieh durch die Dürre verreckt. Wieder sind wir auch bei der Verantwortung des Haushaltsausschusses …

Natürlich brauchen wir mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit. Wenn man nur einen Teil des geplanten Zwei-Prozent-Ziels der NATO dafür ausgeben würde, wäre auch der internationalen Sicherheit mehr gedient. Doch auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Wir müssen auch andere Rahmenbedingungen schaffen. Es nützt überhaupt nichts, mehr Geld in die Hand zu nehmen, um in Afrika landwirtschaftliche Strukturen aufzubauen, wenn die EU-Staaten auf der anderen Seite subventionierte Lebensmittel nach Afrika schicken und damit die gerade mit unseren Steuergeldern geschaffenen, selbsttragenden Strukturen wieder kaputt machen. Ohne vernünftige Wirtschaftsgrundlage wird es für die Menschen in Afrika keine Entwicklungsperspektive geben.

Gehört dazu nicht auch, die Einfuhrmöglichkeiten für Produkte aus solchen Ländern in die EU zu erleichtern?

Natürlich. Wenn sonst schon immer über freien Handel geredet wird.

Eine Freihandelszone mit Afrika?

Warum nicht? Wenn sie ehrlich gemeint ist. Die entscheidende Frage ist allerdings: Wer setzt welche Rahmenbedingungen?

Sie kennen sich gut in Mexiko aus. Das Land ist in einer Freihandelszone mit den USA.

Ja und nicht nur Mexiko hat darunter in vielen Bereichen zu leiden, sondern auch Länder, die in diese NAFTA nicht direkt eingebunden, aber an den sogenannten Wertschöpfungsketten beteiligt sind. Früher hat Mexiko Mais exportiert, heute muss es ihn kaufen. So sieht fairer Handel, wie er mir vorschwebt, nicht aus.

Aber was Ihnen und Ihren Fraktionskollegen vorschwebt, wird in der aktuellen politischen Situation nicht recht deutlich. Irre ich mich?

Wir müssen bei unserem Kernthema Friedenspolitik »einen Zahn zulegen« und konkreter werden. In den anderen Themenbereichen, zum Beispiel Ostdeutschland oder soziale Gerechtigkeit, geht es doch auch. Auch in der Außenpolitik ist es wichtig, dass die LINKE konkrete Forderungen stellt und zeigt, wie man eine bessere Politik macht. Nehmen wir das Thema Auslandseinsätze. Mit dem, was gerade in der Türkei passiert, wird unsere Forderung nach sofortigem Abzug aller Bundeswehrsoldaten aus der Türkei griffig. Das muss ich keinem Menschen erklären, weil die Gründe auf der Hand liegen. Das Gleiche gilt für unsere allgemeine Losung zum Verbot aller Rüstungsexporte. Verbunden mit den aktuellen Ereignissen in der Türkei liegt die Richtigkeit unserer Position auf der Hand.

Da gibt es ein ganz aktuelles Thema: Rheinmetall will in der Türkei Panzer bauen.

Diese geplante Fabrik ist ein Skandal! Ein deutscher Konzern will in einem Land, in dem gerade Demokratie und Rechtsstaat demontiert und die Kurden militärisch unterdrückt werden, Waffen bauen. Die dann übrigens nicht bloß von der Türkei eingesetzt werden können, sondern in andere Konfliktgebiete, zum Beispiel auf die arabische Halbinsel, exportiert werden. Da muss man Rheinmetall Fesseln anlegen. Der Konzern will das deutsche Exportverbot von Rüstungsgütern in Kriegs- und Krisenregionen umgehen? Dann darf Rheinmetall eben keinen einzigen staatlichen deutschen Auftrag mehr bekommen. Aktuell bewirbt sich die Firma um einen Auftrag in Milliardenhöhe für neue Funksysteme beim Heer. Doch um Restriktionen durchzusetzen, braucht es Druck im Parlament und auf den Straßen.

Gerade fanden Ostermärsche statt. Eine Massenbewegung war das nicht, oder?

Viele Menschen resignieren angesichts der Fülle von Problemen. Umso wichtiger ist es, sich gemeinsam überschaubare Ziele zu setzen, die zugleich für das allgemeine Problem stehen. Keine Panzerfabrik für die Türkei halte ich für ein realistisches, erreichbares Ziel. Das ist zugleich eine Unterstützung jener Kräfte, die gegen die Ermächtigung von Erdogan gestimmt haben. Und dass ein Waffenexportstopp in die Türkei möglich ist, zeigt ein Blick in die 90er Jahre!

Was war da?

1992 gab es ein Waffenexportverbot gegenüber der Türkei. Unter Helmut Kohl! Warum sollte das heute nicht mehr möglich sein?! Man muss Kohls Nachfolgerin im Kanzleramt nachdrücklich daran erinnern. Außerdem sollte die militärische Zusammenarbeit mit der Türkei generell eingestellt werden. Das betrifft selbstverständlich auch die im Rahmen der NATO. Das ist möglich: Laut NATO-Vertrag haben sich die Mitgliedsländer des Bündnisses verpflichtet »die Grundsätze der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts zu gewährleisten«. Dagegen verstößt der Partner Türkei massiv. Deshalb muss die Bundesregierung jetzt den Artikel 12 des NATO-Vertrages aktivieren, in dem festgelegt ist, dass jeder Mitgliedsstaat eine Beratung aller Vertragsparteien zur Überprüfung des Vertrages durchsetzen kann.

neues deutschland,