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Siemens-Auftrag für Guantanamo – Plötzlich sind die Menschenrechte der Bundesregierung nichts mehr wert

Im Wortlaut von Zaklin Nastic,

Es ist das umstrittenste Gefangenenlager der Welt: Guantanamo auf Kuba. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama wollte es schließen und scheiterte am Kongress. Sein Nachfolger Donald Trump hingegen zeigt keine Skrupel, das unter George W. Bush im „Krieg gegen den Terror“ in Betrieb genommene Folterlager auf dem von Kuba seit Jahrzehnten zurückgeforderten US-Marine-Stützpunkt beizubehalten. Ein deutscher Konzern ist Teil der Modernisierungspläne der US-Administration: Vor kurzem hat Siemens einen Großauftrag mit einem Volumen von 829 Millionen Euro angenommen, in dessen Rahmen „Energieprojekte“ auf dem Marinestützpunkt umgesetzt werden sollen – inklusive des Folterknasts selbst. Die Haltung der Bundesregierung dazu ist mehr als fragwürdig, wie ihre Antworten auf meine Anfragen zeigen.

Hunderte Menschen sind seit dem Jahr 2002 in Guantanamo völkerrechtswidrig inhaftiert und gefoltert worden. Derzeit sind es noch 40 Gefangene, von denen lediglich ein einziger rechtskräftig verurteilt wurde. Dass den anderen sowohl der Kriegsgefangenenstatus als auch jeglicher Rechtsbeistand und ein ordentliches Gerichtsverfahren verweigert werden, ist nach herrschender Meinung sowohl mit dem Völkerrecht als auch den Menschenrechten unvereinbar. Unter anderem der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, die UN-Menschenrechtskommission, das EU-Parlament  als auch der Europarat haben dies festgestellt und die Schließung des US-Lagers Guantanamo gefordert. Inzwischen ist nachgewiesen, dass sogar Kinder und Jugendliche nach Guantanamo verschleppt worden sind, zudem hat sich herausgestellt, dass eine Vielzahl von Guantanamo-Insassen unschuldig sind.

Bundesregierung verstößt gegen eigene Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte

Die letzte Bundesregierung hat im Dezember 2016 ihren Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) beschlossen, der die 2011 vom UN-Menschenrechtsrat im Konsens verabschiedeten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen soll. Bereits bei Verabschiedung des NAP hatten NGOs sowie das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) deutliche Kritik geübt und den NAP als „zahnlosen Tiger“ bezeichnet.

Die Antworten der Bundesregierung auf meine Anfrage zum Siemens-Deal werden unfreiwillig zum Beleg für diese Kritik. Noch nicht einmal an ihrem eigenen Aktionsplan will sich die Bundesregierung jetzt messen lassen. Der NAP fordert, dass „Unternehmen die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht einhalten und Menschenrechte entlang ihrer Liefer- und Wertschöpfungsketten achten. [Die Bundesregierung] erwartet von allen Unternehmen, dass sie dazu Leitlinien und Prozesse einführen – in Deutschland und in ihrem Auslandsgeschäft.“ Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob beim Guantanamo-Auftrag ihrer Ansicht nach die Grundsätze des NAP und der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gewahrt sind. Dabei habe ich sowohl nach dem völkerrechtlichen Status Guantanamos als auch der menschenrechtlichen Dimension gefragt. Keine meiner Fragen wurde inhaltlich beantwortet.

Entlarvende Antworten

Zu zwischenstaatlichen Fragen nimmt die Bundesregierung keine Stellung, behauptet sie. (hier: Frage Nr. 8-103) „Zu den einzelnen Geschäftsvorgängen von Unternehmen [gebe sie] keine öffentlichen Einschätzungen ab“, hoffe aber, „dass alle Unternehmen menschenrechtliche Sorgfalt in angemessener Weise walten lassen.“ (hier: Fragen Nr. 8-102 und 8-104) Auf die Frage, welche Gespräche mit US-Vertretern zur menschenrechtlichen Lage in Guantanamo und seiner eventuellen Schließung geführt wurden, schweigt sie. Angeblich seien solche Gespräche vertraulich. (hier: Frage Nr. 8-101)

Die Nicht-Antworten der Bundesregierung sind entlarvend. So fällt auf, dass sie sich – ohne die beiden Fälle in der Sache vergleichen zu wollen – etwa zur Krim sehr häufig und ausführlich äußert (z.B. Regierungspressekonferenz vom 15. März 2019). Immerhin werden in dem Fall der Halbinsel sogar die Sanktionen gegen Russland mit dem völkerrechtlichen Status begründet. Zu den Pflichten von Unternehmen gerade in völkerrechtlicher Hinsicht fallen mir von einem Siemens-Tochterunternehmen nach Russland verkaufte Gasturbinen ein, die dann auf der Krim landeten. Die Bundesregierung verhängte prompt neue Sanktionen gegen Russland und Siemens musste das eigene Tochterunternehmen verklagen, um einer Millionenstrafe zu entgehen (siehe SZ vom 21. Juli 2017). Ganz kleinlaut verhielt sich die Bundesregierung hingegen im Falle der Golfdiktatur Katar. Zu den sklavenähnlichen Verhältnissen auf den WM-Baustellen hatte die Regierung kaum ein Wort gesagt. Bei diesen Aufträgen sind Hochtief, Bilfinger und – auch wieder – Siemens beteiligt. Zur Menschenrechtslage in anderen Ländern wiederum äußert sich die Bundesregierung ausführlich und bekennt etwa in ihrem 13. Menschenrechtsbericht, dass in öffentlichen Erklärungen immer wieder „die Menschenrechtslage in Ländern wie Ägypten, China, Iran oder Russland“ kritisiert werde. Ein eigenes Kapitel zu den USA fehlt in dem Bericht bezeichnenderweise komplett.

Der Siemens-Auftrag ist ein Skandal

Es zeigt sich wieder einmal, dass für die Bundesregierung Menschenrechte vor allem dann nicht relevant sind, wenn es den Interessen deutscher Konzerne nutzt. Aus zwei Gründen ist der Siemens-Auftrag ein Skandal: Sowohl wegen der völkerrechtswidrigen Festhaltung und Folterung von Menschen in Guantanamo aber auch wegen der jahrzehntealten Forderung Kubas, Guantanamo zu räumen. Außerdem verstößt das Geschäft gegen den von der Bundesregierung verabschiedeten NAP sowie die UN-Leitprinzipien, an denen sich sowohl die Bundesregierung als auch deutsche Unternehmen messen lassen müssen. Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, ihre Position zu Guantanamo deutlich zu machen, das ihr ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter Markus Löning einmal als "unglaublichen Schaden" für die Glaubwürdigkeit des gesamten Westens beim Eintreten für Menschenrechte in anderen Gegenden der Welt bezeichnete und dessen sofortige Schließung forderte. In keinem Fall dürfen Siemens für diesen Auftrag Unterstützungsleistungen im Rahmen der deutschen Außenwirtschaftsförderung zu Gute kommen.