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Die verratene Revolution

Im Wortlaut von Stefan Liebich, Welt Trends,

Der „Aufstand des Jahres 1432“, der weltweit begrüßt wurde, scheiterte bald. Der Arabische Frühling verwandelte sich in einen kalten, mancherorts blutigen Winter. In kaum einem arabischen Land ist heute die Lage besser, weder wirtschaftlich noch politisch. Wir sehen heute mehr Gewalt als vor der Revolution und in einigen Ländern sogar Kriege. Die westlichen Staaten haben, wie in den Jahrzehnten zuvor, beste Beziehungen zu den Machthabern in der arabischen Welt. Aber auch die Linke muss sich fragen, wie sie sich zu den politischen Entwicklungen im arabischen Raum gestellt hat.

„Heute ist ein Tag großer Freude. In den Augen der Ägypter kann man sehen, welche Kraft die Freiheit entfalten kann. Wir sind alle Zeugen eines historischen Wandels.“ So äußerte sich Angela Merkel am 11. Februar 2011, als der autokratische und korrupte ägyptische Herrscher Muhammad Husni Mubarak dem Druck der Straße nicht mehr standhielt und endlich zurücktrat. Seit 1981 regierte er das Land mit harter Hand und unter den Bedingungen eines Ausnahmezustands, den er immer wieder verlängerte. Der damalige US-Präsident Barack Obama ging noch weiter: „Dies ist nicht das Ende des ägyptischen Übergangs, das ist ein Anfang.“ Merkel und Obama verschwiegen bei ihren Freudenbekundungen, dass auch sie es waren, die Mubarak jahrzehntelang im Amt gehalten hatten. Die USA, Israel, die Europäische Union und auch Deutschland unterhielten eine weitgehend ungetrübte Beziehung zu Ägypten, einschließlich milliardenschwerer Finanz- und Militärhilfen.

Wie ist die Lage heute? Im Ägypten des Jahres 2019 regiert General Abdel Fatah El-Sisi mit harter Hand. Wer gegen ihn aufbegehrt, landet als „Muslimbruder“ in den berüchtigten Foltergefängnissen. Der bisher ungeklärte Tod des ehemaligen, erstmals frei gewählten Präsidenten Mursi vor einigen Wochen, macht deutlich, wie das gegenwärtige Regime mit Gegnern umgeht: wegputschen, inhaftieren, foltern. Die Opposition klagt, dass für sie die Lage nun noch schwieriger ist als unter Mubarak und die Presse ist gleichgeschaltet.

Und der Westen? Der macht wieder munter Geschäfte und liefert Waffen – auch und gerade die Bundesrepublik Deutschland. Gerade besuchte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Kairo. Sein Urteil: „Die ägyptische Regierung des Präsidenten Sisi ist entschlossen, die Wachstumskräfte des Landes zu stärken und damit Ägypten politisch zu stabilisieren.“ Dies könne dazu führen, „dass wir die deutsch-ägyptische Zusammenarbeit auf eine neue Grundlage stellen und weiter entwickeln.“ Als wäre nichts passiert. Leider muss man konstatieren, dass nahezu alle Hoffnungen, die die vielen Millionen mutigen und vor allem jungen Menschen auf den Straßen von Kairo bis Karthum artikuliert haben, enttäuscht wurden. Und dafür trägt auch der Westen, auch die Bundesregierung, Verantwortung. Und die politische Linke hat allen Grund, ebenfalls selbstkritisch auf ihre Rolle zu schauen.

Wie der arabische Frühling begann

Am Beginn stand die Selbstanzündung des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, der die Demütigungen und die Willkür der Polizei nicht mehr ertrug. Den Demonstrationen nach seinem Tod schlossen sich Millionen Menschen an. Die Gründe auf die Straße zu gehen, waren so vielfältig, wie die „Ergebnisse“ des Arabischen Frühlings heute sind: für Freiheit von autoritären und diktatorischen Regierungen, für wirtschaftliche Perspektiven für eine junge und schnell wachsende Bevölkerung oder einfach für Brot.

Die Welle der Demonstrationen und Aufstände stürzten Mubarak in Ägypten und Salih in Jemen und führten zu Bürgerkriegen in Syrien und Libyen, in denen ausländische Mächte ihre Interessen stellvertretend ausfochten und die bis heute andauern. In Bahrein wurden die Proteste der schiitischen Mehrheit gegen das sunnitische Königshaus von saudi-arabischen Truppen niedergeschlagen, in Jordanien führten die Proteste zum Rücktritt des Premierministers und zur Mahnung des Königs, echte Reformen durchzuführen. Auch in Marokko reagierte der König auf den Druck der Straße mit Reformen und einer teilweisen Teilung der Macht. In Kuwait musste die Regierung zurücktreten, ohne dass das System des Emirs wirklich in Gefahr geriet, ebenso führten die Proteste in den palästinensischen Autonomiegebieten kaum zu Veränderungen im Herrschaftssystem der Hamas im Gaza-Streifen und der Fatah im Westjordanland. Das Regime in Saudi-Arabien reagierte mit einer Mischung aus Zugeständnissen und Härte und bewahrte so seine Macht. Der einzige wirklich systemverändernde Erfolg der Proteste war in Bouazizis Heimatland Tunesien. Politisch hat sich eine Demokratie herausgebildet, die immer wieder neuen Herausforderungen ausgesetzt ist. Die wirtschaftliche Lage ist heute schlechter als vor der Revolution. Noch offen ist der Ausgang der Entwicklung in Algerien und im Sudan. In beiden Ländern wurden zwar die Langzeitherrscher gestürzt, aber ob das Pendel in Richtung einer Militärherrschaft, wie in Ägypten, oder in Richtung eines demokratischen Wegs, wie in Tunesien, ausschlägt, muss sich noch zeigen.

Und was macht die Weltgemeinschaft?

Die euphorischen Bekundungen der Freude, das betretene Schweigen oder das blanke Entsetzen über die rasanten Veränderungen, wichen schnell einer brutalen Interessenpolitik. Saudi-Arabien gegen Iran, der Iran und die libanesische Hizbollah gegen Israel, Schiiten gegen Sunniten, die Türkei gegen die Kurden. Russland bombte sich entgegen Obamas Behauptung, es sei nur noch eine regionale Mittelmacht, in Syrien auf die Weltbühne zurück. Die USA, Großbritannien und Frankreich versuchten, in wankenden Systemen ihre Verbündeten an die Macht zu bringen, wenn nötig mit Waffenlieferungen oder eigenen Militäreinsätzen. Der IS und andere islamistische Terrorgruppen nutzten das Vakuum, eroberten riesige Territorien und begingen furchtbare Verbrechen und mussten militärisch zurückgeschlagen werden. Ein gemeinsames Interesse dort zu formulieren, wo es hingehört, nämlich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, gelang den fünf ständigen Mitgliedern nur selten, häufig wurde es nicht einmal mehr versucht.

Und die Linke?

Aber auch die internationale politische Linke muss sich Fragen gefallen lassen. Da es keine sozialistische Revolutionen und die Frontlinien häufig diffus waren, stand sie eher hilflos kommentierend am Rand des Geschehens oder versuchte verzweifelt, die alten Schablonen hervorzuholen. Aber mit dem Motto: „für Russland“ und seine Verbündeten und „gegen die USA“ und deren Alliierte, konnte man kaum eine konsistente linke Position entwickeln. Sinnvoll wäre es gewesen, konsequent an der Seite gewaltfreier, emanzipatorischer Demonstranten gegen autoritäre Systeme gestanden zu haben, um dann jene zu unterstützen, die in demokratischeren Gesellschaften für die linke Sache streiten. Sinnvoll wäre es außerdem gewesen, konsequent jede militärische Einmischung von allen Seiten gleichermaßen zu kritisieren und nicht bei den einen lauter und den anderen leiser.

Heuchelei ohne Grenzen

Und schließlich ist das Agieren der Bundesregierung an Heuchelei nicht zu überbieten. An das Militär in Algerien werden weiter Waffen geliefert, während es sich die Macht im Land trotz anhaltender Demonstrationen sichert. Ebenso darf sich die Armee im Sudan des Rückhalts von Saudi-Arabien sicher sein, während gleichzeitig die Demokratiebewegung niedergeschlagen wird. Derweil bleibt Saudi-Arabien Stammkunde deutscher Rüstungsschmieden mit freundlicher Genehmigung der Bundesregierung. Wer so handelt, der darf sich über Kritik nicht wundern. Sich rhetorisch fest an die Seite der Demonstranten in Caracas oder Kiew stellen, Menschenrechtsverletzungen in Russland oder China beklagen und zeitgleich Diktaturen weiter aufrüsten, was für eine Doppelmoral! Meine, und unser aller Lehre aus dem Verrat am Arabischen Frühling muss lauten: Wer glaubwürdig sein will, der muss einen Maßstab anlegen und dieser kann nur sein, sich für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen und sich konsequent gegen jede autoritäre Regierungen zu stellen. Überall.

 

Welt Trends,