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Dietmar Bartsch © Marc DarchingerFoto: Marc Darchinger

»Arbeitsplätze dürfen nicht von Rüstungsexporten abhängen«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, Nordkurier,

Sparen auf Kosten der ländlichen Regionen und der Geringverdiener? So kann das nicht weitergehen, findet Dietmar Bartsch, Bundestags-Spitzenkandidat der Linken in MV. Im Interview mit Nordkurier-Reporterin Natalie Meinert spricht er über Wechselunterricht, Werften und Wagenknecht.

 

Nordkurier: In Sachsen-Anhalt hat die Linke bei der Wahl eine Schlappe erlitten. Auch die Umfragen in Mecklenburg-Vorpommern sehen nicht so gut aus, Ihre Partei steht bei elf Prozent. Sind Sie noch zuversichtlich? 

Dietmar Bartsch: Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war für uns eine Niederlage. Aber ich will trotzdem festhalten, dass wir dort drittstärkste Partei waren. Ich bin zuversichtlich, dass wir bei der Bundestagswahl und bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern die Ergebnisse, wie wir sie in Sachsen-Anhalt gehabt haben, deutlich überschreiten.

Die AfD kommt in den Ost-Bundesländern oft über 20 Prozent. Der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) sagt dazu, Menschen in Ostdeutschland seien anfälliger für rechtsradikale Parteien. Stimmen Sie dem zu? 

Nein. Die Aussagen von Marco Wanderwitz teile ich ausdrücklich nicht. Die Ostdeutschen zu beschimpfen und zu sagen, sie seien Diktatur-affin, ist unverschämt. Es gibt die AfD genauso in den alten Bundesländern, und gerade die Führungsleute der AfD im Osten sind vielfach Westdeutsche. Ich finde, diese Stigmatisierung der Ostdeutschen ist falsch und bewirkt das Gegenteil. Es ist doch skandalös, dass es in der Bundesregierung kaum Minister aus den ostdeutschen Ländern gibt. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet kommt aus Aachen, viel weiter westlich geht gar nicht. Auch Annalena Baerbock und Olaf Scholz kommen aus den alten Ländern. Die nächste Bundesregierung muss auch den Osten besser repräsentieren. 

Vor Kurzem rüttelten Sie an den Grundfesten der Linken: Sie haben sich für Exporte deutscher U-Boote an Israel wegen der „besonderen historische Verantwortung“ Deutschlands gegenüber dem Land ausgesprochen. Wie passt das mit dem Image der Anti-Kriegspartei zusammen?

Die Linke ist gegen Waffenexporte. Das bleibt auch so. Wozu ich allerdings stehe: Wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Die Interpretation, dass ich für U-Boot-Lieferungen wäre, ist aber schon deshalb falsch, weil es eine Scheindiskussion ist. Israel will auf absehbare Zeit gar keine U-Boote, deswegen braucht man darüber nicht reden. Weder in dieser Legislaturperiode noch in der nächsten. 

In Wolgast werden Marine-Kriegsschiffe gebaut, die stetig existenzbedrohten Werften sind froh über solche Aufträge.

Die Werften sind für MV ein sehr sensibler Punkt. Ich weiß, dass die Position „keine Waffenexporte“ bei den Beschäftigten nicht unbedingt beliebt ist. Am Ende des Tages werden diese Schiffe vielfach die Voraussetzung für die Führung von Kriegen sein. Ich bin froh, dass der Bund bei den Werften zunächst einmal kurzfristig geholfen hat. Aber wir brauchen eine neue strategische Orientierung der Werften. Arbeitsplätze dürfen nicht von Rüstungsexporten abhängen. 

Für Kinder gibt es in der Pandemie kaum Lösungsvorschläge. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat erneut Wechselunterricht nach den Sommerferien für die Schulen vorgeschlagen. Was denken Sie darüber? 

Kinder, Jugendliche und Familien sind die Verlierer der Pandemie. Deswegen finde ich sehr richtig, dass die Linke in MV einen großen Schwerpunkt auf dieses Thema legt. Weiteren Wechselunterricht finde ich falsch. Ich weiß auch als Großvater, wovon ich spreche. Wir brauchen, wenn irgendwie möglich, Präsenzunterricht. Das heißt auf gar keinen Fall, das Virus leicht zu nehmen. Vor fast anderthalb Jahren haben wir Linken gesagt, dass Luftfilteranlagen an alle Schulen kommen müssen. Stattdessen ist die Lufthansa in kürzester Frist mit Milliardenbeträgen gerettet worden. Ein Bruchteil davon hätte gereicht, um alle Schulen auszustatten. 

In MV gibt es durchschnittlich die niedrigsten Renten und Löhne. Wie will sich Ihre Partei dagegen und gegen das Ost-West-Gefälle stemmen? 

Es ist inakzeptabel, dass MV Niedriglohnland Nummer 1 ist. Wir brauchen insgesamt steigende Löhne und Renten – eine höhere Tarifbindung und einen Mindestlohn in Richtung 13 Euro. Das Land braucht ein entsprechendes Vergabegesetz. Die nicht vollzogene Renten-Angleichung ist einer der größten Kritikpunkte, die ich an Angela Merkel habe. Sie hat im Jahre 2005 versprochen, dass bis 2009 die Renten-Angleichung vollzogen wird. 2024 soll es nun endlich so weit sein.

Im Bundes-Wahlprogramm der Linken wurde Folgendes beschlossen: 30-Stunden-Arbeitswoche, 36 Urlaubstage, Mindestrente von 1200 Euro, und das bei einem Renteneintrittsalter von 65. Wie soll das finanziert werden? 

Dazu brauchen wir eine große Steuerreform. Die Milliardäre und Multimillionäre sind während der Pandemie um Milliarden reicher geworden. Gleichzeitig ist bei der Krankenschwester, dem Fernfahrer oder dem Paketboten vielfach kein Cent angekommen. Ich will nicht, dass diese Menschen für die Schulden der Pandemie aufkommen müssen, sondern die Superreichen mit einer einmaligen Vermögensabgabe.

Kleine und mittlere Einkommen wollen wir hingegen entlasten – unser Steuerkonzept bedeutet rund 100 Euro mehr im Monat im Geldbeutel. Dazu können wir bei Ausgaben erheblich sparen. Über 50 Milliarden Euro im Jahr gehen in den Rüstungshaushalt – jedes Jahr mehr. Uns bedrohen keine fremden Armeen. Aktuell bedrohen uns ein Virus und die soziale Spaltung. Die Linke hat ein schlüssiges Finanzierungskonzept. Bei anderen Parteien wird teilweise zu der Finanzierung gar nichts gesagt. Da meine ich insbesondere die Union, die die Schulden offenbar wieder den ganz normalen Leuten im Land aufbürden will. 

Auch bei der Klimapolitik hat die Linke forsche Ziele. Bis 2035 soll eine Netto-Null bei den Emissionen herrschen, gleichzeitig lehnen Sie und die Partei eine höhere CO2-Steuer für Sprit- oder Heizölpreise ab. Wie kann das in 14 Jahren umgesetzt werden? 

Die derzeitige Politik, die die Koalition betreibt und die die Grünen noch verschärfen wollen, ist eine Sackgasse. Es hilft nicht, wenn wir das Heizen, den Strom und den Sprit teurer machen. Wir brauchen strukturelle Veränderungen. Wir brauchen mehr regionale Wirtschaftskreisläufe in MV und nicht diese wahnsinnigen Handelstransporte über die halbe Welt. Die großen Konzerne müssen in die Verantwortung genommen werden, das Bahnnetz muss ausgebaut und nicht wie aktuell bei der Südbahn ausgedünnt werden.

Im ländlichen Raum fehlt es oft an öffentlichem Nahverkehr, Netzausbau und gut funktionierendem Internet. Immer mehr Krankenhäuser schließen. Was tun?  

Im vorigen Jahr sind in Deutschland 28 Krankenhäuser geschlossen worden. Auch in MV gibt es das Ansinnen bei den Geburten-Stationen, zum Beispiel in Crivitz. Für mich ist das zentrale Problem die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Bei dem Gesundheitswesen funktioniert das Konzept „Geiz ist geil“ überhaupt nicht. Wir haben jetzt schon ein Auseinanderdriften von Stadt und Land. Da wird Politik vor allem aus der Sicht der Städter gemacht. Schon vor acht Jahren hat die damalige Bundesregierung versprochen, eine Offensive zu machen, was den Netzausbau betrifft. Aber das ist verschlafen worden. Wir sind immer noch in Europa im hinteren Drittel, sowohl für den Breitbandausbau als auch für den Netzausbau.

Auch die Bauern bleiben hier häufig auf der Strecke. 

Bei den Bauern ist der zentrale Punkt, dass von den Erlösen im Handel im Durchschnitt nur 13 Prozent bei ihnen ankommen. Die fahren hin zum Händler von Lidl, bekommen einen festen Preis. Und wenn sie „Nein“ sagen, dann heißt es: Pech gehabt. Deshalb muss vor allen Dingen die Marktmacht der großen Verarbeitungs- und Vertriebsketten gebrochen werden. Ansonsten wird das Sterben von Landwirten und Höfen weitergehen. Das geschieht oft zu Lasten der neuen Bundesländer. Wir haben halt vielfach größere Flächen.

Was ist Ihre Meinung zum Wolf? 

Ich bin der Auffassung, dass man die Lage genau beobachten muss. Es gibt schon jetzt die Möglichkeit, dass Wölfe oder Hybride in Einzelfällen entnommen werden können, aber ich bin gegen die Hysterie. Generell bin ich für eine bundeseinheitliche Regelung für die „Wolfsentwicklung“.

Wollen Sie eigentlich noch etwas zu Ihrer Genossin Sahra Wagenknecht sagen? 

Sie ist Spitzenkandidatin meiner Partei in NRW. Sie kommt im Wahlkampf zu mir nach Rostock. Beides ist gut.

Nordkurier,