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Vorratsdatenspeicherung: das tote Pferd gehört endgültig beerdigt

Rede von Anke Domscheit-Berg,

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Täglich grüßt das Murmeltier“, so kommentierte der „Logbuch:Netzpolitik“-Podcast das drölfzigste Gerichtsurteil zur Rechtswidrigkeit irgendeiner Vorratsdatenspeicherung. Es war das fünfte Urteil dazu vom Europäischen Gerichtshof. Die CDU/CSU hat aber auch diesmal nix daraus gelernt. Die Tinte auf dem Urteil war noch gar nicht trocken, da kamen Sie schon mit einem neuen Vorschlag um die Ecke, nämlich einer anlasslosen Speicherung von IP‑Adressen. Ja, es stimmt, der EuGH hat kleine Spielräume gelassen; aber drei Voraussetzungen gelten auch dann. Eine Überwachungsmaßnahme muss nämlich dreierlei sein: erstens geeignet, zweitens angemessen und drittens verhältnismäßig. Ich mache da gerne mal die Erklärbärin für die CDU/CSU.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ganz dünnes Eis, Frau Kollegin!)

Erstens. Ist sie geeignet? Zweck dieser Maßnahme soll sein, Bilder von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet zu verfolgen. Wie die Union aber kürzlich auf ihre eigene schriftliche Frage von der Bundesregierung erfuhr, gab es 2021 bei 96 Prozent dieser Straftaten kein einziges Problem mit den IP‑Adressen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Und die 2 000 Kinder sind Ihnen egal?)

Nur in 3,4 Prozent der Fälle war eine fehlende IP‑Adresse überhaupt ein Ermittlungshindernis.

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Reden Sie mal in absoluten Zahlen!)

Nehmen wir mal an, alle IP‑Adressen wären gespeichert. Wie wahrscheinlich ist es, dass derartige Straftäter zu Hause ihren privaten Laptop benutzen und ihren eigenen Telekom-Internetanschluss? Straftäter haben keinen Bock auf Knast und sind clever genug,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Unterhalten Sie sich auch mal mit Ermittlern, Frau Domscheit-Berg!)

entweder einen öffentlichen Internetanschluss zu benutzen oder aber einen Tor Browser; der verschleiert nämlich ihre IP‑Adresse. Die IP‑Adressen, die Sie da erfahren würden, führten ins Leere, aber nicht zum Straftäter. Die Maßnahme ist mithin nicht geeignet.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So weit die Beurteilung aus Sicht der Textilkunst!)

Zweitens. Wäre sie denn angemessen? Angemessen ist eine Überwachungsmaßnahme dann, wenn es keine Alternative gibt, die weniger Grundrechte verletzt. Wenn es in 96 Prozent aller Fälle schon ohne geht und es zusätzlich mit Quick Freeze in Einzelfällen eine weniger grundrechtsverletzende Variante gäbe, ist die Speicherung aller IP‑Adressen eben auch nicht angemessen.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Für die Verhältnismäßigkeit vergleicht man den Nutzen mit dem Ausmaß der Grundrechtsverletzung. Wir haben also auf der einen Seite einen Nutzen von ungefähr null,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist doch völliger Quatsch! Das ist absolut falsch, was Sie da erzählen!)

auf der anderen Seite die Grundrechtsverletzung – permanent – von 84 Millionen Menschen in Deutschland. Das ist ganz klar – auch für Dummies – nicht verhältnismäßig.

(Beifall bei der LINKEN)

Laut EuGH dürfen Regierungen im Übrigen einen Nutzen auch nicht herbeifantasieren, sie müssen ihn belegen. Und einen Beleg für den Nutzen einer Vorratsdatenspeicherung gibt es nicht, auch nicht in der Version einer anlasslosen IP-Adressspeicherung.

Außerdem hat die CDU offenbar die Einschränkung des EuGH nicht verstanden, wonach die Speicherfrist auf das äußerst Notwendige beschränkt sein muss. Bei Ermittlungen schwerster Straftaten sollten Behörden aber so mit Personal und Ressourcen ausgestattet sein, dass sie IP‑Adressen auch in ein paar Tagen abfragen können,

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Welche Frist schlagen Sie denn vor?)

wie es, voraussichtlich, das Quick-Freeze-Verfahren bei konkreten Verdachtsfällen ja auch vorsieht,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Die IP‑Adressen wechseln täglich, Frau Kollegin! Dann ist es zu spät!)

aber nicht ein halbes Jahr, meine Damen und Herren.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Sie wissen doch, dass das technisch falsch ist, was Sie da sagen!)

Es ist schon, ehrlich gesagt, eine absolute Zumutung, ein EuGH-Urteil so auszureizen, dass es eine maximale Massenüberwachung ermöglicht. Dabei aber auch noch derart dilettantische Fehler zu machen, ist einfach nur noch peinlich. Wer greift denn freiwillig mehrfach immer wieder in das gleiche Klo? Das ist die CDU/CSU, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wenn es der CDU/CSU tatsächlich um den Schutz von Kindern vor Gewalt ginge, dann hätte sie in 16 Jahren Regierungszeit mehr dafür getan, dass durch Prävention derartige Gewalttaten verhindert werden. Stattdessen mussten wir in der Linksfraktion 16 Jahre lang gegen die ständige Ausweitung anlassloser Überwachung und für Prävention und den Schutz von Kindern kämpfen.

Ich bin froh über die klare Absage an jede Form anlassloser Überwachung im Koalitionsvertrag der Ampel. Ich hoffe, sie bleibt auch dabei. Ich bin auch froh, dass die Union der Bundesregierung nicht mehr angehört. 15 Jahre rechtswidrige Versuche und fünf EuGH-Gerichtsurteile sollten reichen.

Das tote Pferd Vorratsdatenspeicherung gehört nicht weiter geritten, sondern endgültig begraben.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)