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Millionen arm trotz Arbeit: Bundesregierung lässt die Menschen im Regen stehen

Rede von Pascal Meiser,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage Sie: Was läuft eigentlich verkehrt, wenn in einem reichen Land wie Deutschland fast 14 Millionen Menschen von Armut betroffen sind, während die Zahl der Millionäre und Milliardäre von Jahr zu Jahr immer weiter steigt? Was läuft eigentlich verkehrt, wenn der reichste Mann in Deutschland seit Ausbruch der Coronapandemie über 25 Milliarden Euro reicher geworden ist, während andere ihren Job verloren haben und mit dem Kurzarbeitergeld nicht über die Runden gekommen sind? In Deutschland gilt inzwischen jeder Sechste als einkommensarm; zu diesem erschreckenden Ergebnis kommt der jüngste Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes. Ich finde: Das ist eine soziale Katastrophe, und es ist ein vernichtendes Zeugnis für all diejenigen, die in den letzten Jahren in der Bundesregierung Verantwortung getragen haben und aktuell zum Teil ja noch weiter Verantwortung tragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich mir anhöre, wie Sie von der Union hier mit der SPD in den Wettbewerb eintreten, wer die meisten Krokodilstränen darüber vergießt, dann will ich doch schon daran erinnern, dass in den letzten 16 Jahren in 12 Jahren Sie gemeinsam hier die Regierung gestellt haben. Es ist schon bis zu einem gewissen Grade heuchlerisch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist das! – Zurufe von der SPD und der Abg. Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU])

Hinter all diesen Statistiken stecken unzählige Menschen, die schon in der Armutsfalle sitzen und angesichts aktuell explodierender Preise überhaupt nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete zahlen, wie sie sich gesund ernähren oder angemessen kleiden sollen. Deshalb ist es gut, dass die Betroffenen nicht mehr länger schweigen, sondern unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen und jetzt auch im Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes selbst das Wort ergreifen. Frau K., eine Rentnerin, zum Beispiel schreibt:

"Wir alten Menschen haben in der Regel in unseren beruflichen Laufbahnen unser Bestes gegeben, um diese Gesellschaft weiter zu bringen. … Ich finde, keiner hat es verdient, im Alter als Rentner*in so behandelt zu werden."

Recht hat sie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich ist die beständige Sorge, ob das Geld für sich und die eigene Familie am Ende des Monats noch reicht, für viele eine schwere psychische Belastung. Frau E., ebenfalls armutsbetroffen, schreibt dazu:

"Ich habe permanent Panik vor jedem Notfall, der Geld erfordert, oder dass etwas kaputt geht."

Und dann wird diesen Menschen angesichts der aktuellen Krise gesagt, die fetten Jahre seien vorbei, sie sollten sparen und sich dabei am besten noch freudig unterhaken.

(Zuruf der Abg. Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU])

Haben Sie eigentlich auch nur die geringste Vorstellung, was das bei denjenigen auslöst, die schon seit Jahren in Armut leben müssen? Ich sage Ihnen: Hören Sie auf diese Menschen, und machen Sie endlich Politik im Interesse dieser Menschen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Gründe für die Armut sind bekanntlich vielfältig. Es sind Rentnerinnen und Rentner, die im Alter in Armut leben und Flaschen sammeln müssen. Es sind Erwerbslose, die Hartz IV beziehen, das hinten und vorne nicht reicht. Aber weit mehr als ein Viertel – das sind fast 4 Millionen Menschen – der von Armut betroffenen Menschen sind sogar erwerbstätig. Es sind die Reinigungskräfte; es ist der Paketbote, der Pakete im Onlineboom an alle Haustüren ausliefert; es sind auch diejenigen, die auf dem Rollfeld gerade dringend gebraucht werden, um den Urlaub für diejenigen zu organisieren, die sich einen Urlaub noch leisten können. Und es sind noch viele mehr. Besonders betroffen: junge Beschäftigte, befristet Beschäftigte und zunehmend auch Soloselbstständige. Sie sind arm trotz Arbeit, und das, meine Damen und Herren, ist doch wirklich überhaupt nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was wir brauchen, ist ein umfassendes Programm zur Bekämpfung der Armut in unserem Land. Dazu gehört zuallererst, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die hart arbeiten, davon auch anständig leben können.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb ist es gut, dass sich die Ampelkoalition nach langem Zögern unserer langjährigen Forderung nach einer Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro angeschlossen hat und dass diese ab Oktober endlich Realität wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber jeder, der sich ein bisschen damit auskennt, weiß natürlich auch, dass das vielleicht für einen Single reicht, um gerade so oberhalb der Armutsgrenze über die Runden zu kommen. Für diejenigen, die mit ihrem Einkommen eine Familie ernähren müssen, reicht das hingegen hinten und vorne kaum. Und dabei reden wir noch nicht davon, dass die Inflation immer größere Teile auch dieser Lohnsteigerung aufzufressen droht. Deshalb müssen Sie, wenn wir nicht schon in Kürze hier die nächste Erhöhung des Mindestlohns per Gesetz beschließen wollen, dringend dafür sorgen, dass endlich wieder die große Mehrheit der Beschäftigten in den Genuss einer Bezahlung nach Tarifvertrag kommt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Stärken Sie die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, und ermöglichen Sie die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, im Zweifel auch gegen das Veto der Arbeitgeberverbände!

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die gesetzliche Rente wieder vor Armut im Alter schützt, mit einem Rentenniveau von 53 Prozent und einer echten Höherwertung von Niedriglöhnen in der Rente, die auch Geringverdienern tatsächlich – und dann allen – ein Altern in Würde erlaubt!

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Natürlich muss auch der Hartz‑IV-Regelsatz endlich bedarfsgerecht erhöht werden. Aber sorgen Sie doch bitte auch dafür, dass Menschen, die lange Jahre gearbeitet haben und dann ihren Job verlieren, gar nicht erst so schnell auf Hartz-IV-Niveau abrutschen! Das ist doch hochgradig ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Verlängern Sie für diejenigen, die zuvor länger gearbeitet haben, endlich wieder die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I! Und sorgen Sie dafür, dass Menschen, auch wenn sie schon etwas länger erwerbslos sind, eine Chance auf einen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben bekommen! Das heißt aktuell vor allem: Stoppen Sie die Pläne der Bundesregierung und vor allem des Finanzministers, die Arbeitsmarktprogramme, die diesen Menschen eine Chance geben, auszutrocknen! Das muss verhindert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Ich sage Ihnen: Sorgen Sie dafür, dass endlich alles dafür getan wird, dass der Sozialstaat in diesem Land tatsächlich und umfassend gegen Armut schützt! Als Linke werden wir uns dafür auch weiterhin mit aller Kraft einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)