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Koalitions-Gesetzentwurf zum Nichtraucherschutz ist kein Quantensprung!

Rede von Martina Bunge,

Rede zur Bundestagsdebatte um umfassenden Nichtraucherschutz in Deutschland

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Seehofer, auch wenn ich Ihnen in vielem,
was Sie in Ihrer Rede gesagt haben, zustimmen kann, als
Quantensprung würde ich den Gesetzentwurf, der heute
vorgelegt wurde, nicht bezeichnen.
Der Akt der Gesetzgebung zum Schutz vor Tabakrauch
und zur Herstellung europäischer bzw. internationaler
Normalität auch in Deutschland hätte zu einer
Sternstunde des Parlaments werden können, wenn hier
und heute ein Gesetzentwurf aus der Mitte des Parlaments
vorgelegt worden wäre, der konsequent für einen
wirklich umfassenden Schutz in allen öffentlichen Räumen
und auf allen Ebenen, vom Bund bis in die Kommunen,
gesorgt hätte.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen diskutieren wir über einen Gesetzentwurf
und drei Anträge sowie über einen Gruppenantrag, durch
den ein konsequenter Schutz gewährleistet würde, der
sich allerdings noch in der Tiefe des parlamentarischen
Raums befindet.
Das Rauchen hat in Deutschland, wie in vielen Ländern,
eine lange Tradition. Hier wie überall wirkt Nikotin
auf die Psyche. Insofern wird diese Debatte natürlich
hochemotional geführt, auch in meiner Fraktion. Trotz
allem sollten wir aber nicht vergessen: Es geht um die
Rechte der 73 Prozent der Bevölkerung, die Nichtraucherinnen
bzw. Nichtraucher sind. Es geht vor allen Dingen
um die Kinder und Jugendlichen. Es geht um die
Vermeidung von Leid durch Tod und schwere Erkrankungen.
Es geht um die Minderung der horrenden Kosten,
die für das Gesundheitssystem entstehen, und um
die Senkung anderer Folgekosten. Nicht zuletzt geht es
um den Willen von 70 Prozent der Wählerinnen und
Wähler. Auch das sollten wir immer bedenken.
Für den Schutz vor Schadstoffen - Herr Minister
Seehofer hat das ausgeführt - gilt in Deutschland Bundesrecht,
beispielhaft konsequent umgesetzt im Hinblick
auf Asbest. Warum sieht es beim Schutz vor dem
Schadstoff Rauch, der mindestens ein vergleichbares
Gefahrenpotenzial aufweist, anders aus, und das, obwohl
Millionen Menschen, insbesondere Frauen, am Arbeitsplatz
mit diesem Schadstoff konfrontiert sind?
Der Arbeitsschutz und die Arbeitsstättenverordnung
sind Bundesrecht. Aber es soll juristisch nicht möglich
sein, dass der Bundestag den Weg für einen umfassenden
Nichtraucherschutz vom Bund bis in die Kommunen ebnet?
Ich denke, es wäre eine Bankrotterklärung vor dem,
was wir beschlossen haben, wenn wir nicht nach einem
möglichen Weg suchen. Gesetze sind keine Naturereignisse,
sondern sie werden von Menschen gemacht. Man
sollte sie, wenn das Erfordernis besteht, auch ändern
können.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])

Ich denke allerdings, dazu fehlt der tatsächliche
Wille. Ein beredtes Beispiel ist der Bundestag selbst.
Am 8. März dieses Jahres haben wir auf Antrag des
Bündnisses 90/Die Grünen eine Debatte über das geplante
Rauchverbot im Bundestag geführt. Der Ältestenrat
beeilte sich, noch an diesem Tag zu vermelden, dass
es im Bundestag genauso geregelt werde, wie es im Gesetz
vorgesehen werde, und dass das parallel geschehe.
Aber bis heute ist noch keine Regelung getroffen worden.
Die Frau Ministerin sagt zwar, das sei geklärt. Aber
ich frage: Wo? Mir ist keine schriftliche Regelung bekannt.
Es sind lediglich Änderungsanträge zum vorliegenden
Gesetzentwurf angekündigt. Also hat der Bundestag
es nötig, die Pflichten, die dieses Gesetz mit sich
bringt, formal auf sich übertragen zu bekommen. Das
hätten wir beispielgebend in der Zeit von Anfang März
bis heute selbst auf den Weg bringen müssen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN)

Nun möchte ich noch auf eine ewige Debatte eingehen
und klarstellen: Der Schutz vor dem Schadstoff Tabak
ist nicht identisch mit dem Verbot des Rauchens. Zu
rauchen oder nicht zu rauchen, ist die Entscheidung eines
jeden Einzelnen, die auch ich respektiere, Herr Parr.
Mit dem Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen
sollen Nichtraucher und Raucher davor geschützt werden,
den mit dem Rauchen einhergehenden Belastungen
nicht permanent und unausweichlich ungewollt ausgesetzt
zu sein.
Natürlich erschöpft sich der Gesundheitsschutz in Sachen
Tabakrauch nicht im Rauchverbot für öffentliche
Einrichtungen. Ich plädiere selbstverständlich für einen
Dreiklang: erstens alles zu tun, um Kinder und Jugendliche
von dem Einstieg abzuhalten, zweitens Nichtraucherinnen
und Nichtraucher vor dem Tabakrauch zu schützen
und drittens Raucherinnen und Raucher zu motivieren,
auszusteigen und ihnen beim Entzug zu helfen. Insofern
tragen Sie mit Ihrem Antrag - ich spreche die FDP an -
Eulen nach Athen. Ich denke, eigentlich geht es Ihnen darum,
ein konsequentes Rauchverbot zu verhindern.
Sie haben Helios-Kliniken als Beispiel angeführt. Die
Helios-Kliniken praktizieren es. Für die Kliniken besteht
ein Rauchverbot, und sie motivieren die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, aufzuhören; denn es ist erwiesen,
dass Verbote und Ächtungen an der einen Stelle und die
Prävention an der anderen Stelle das Nichtrauchen erleichtern
und den Mainstream verändern helfen. Ich
denke, das ist ein Gesamtansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Nun liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung
vor: ein Rauchschutz mit eingeschränkter Reichweite
auf Bundesebene. Die Länder werden uns peu à peu die
Farben des Flickenteppichs präsentieren. Hier und heute
wird mit der Gesetzgebung für die Bundesrepublik begonnen.
Damit wird für lange Zeit festgezurrt, wie der
Schutz vor Tabakrauch in Deutschland aussieht.
Der Gruppenantrag, mit dem wir mehr wollten, hat
sich unseres Erachtens damit erledigt. Wir, die Unterzeichnerinnen
und Unterzeichner der Linksfraktion, ziehen
unsere Unterschriften zurück, damit die Initiatoren
- wie Herr Binding das beispielsweise auch gegenüber
meinem Kollegen Spieth erst neulich dokumentiert hat -
den Wählerinnen und Wählern nicht nach wie vor Sand
in die Augen streuen, wonach in nächster Zeit noch eine
umfassende Lösung möglich ist.

(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist aber nicht der einzige Grund für
den Rückzug!)

So schnell kommt die Gelegenheit, die es heute gibt,
nicht wieder.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit den 90er-Jahren - Herr Minister Seehofer hat es
angesprochen - quält sich der Deutsche Bundestag mit
dem Nichtraucherschutz. Jetzt werden zwar endlich Nägel
mit Köpfen gemacht, aber leider in völlig unzureichender
Weise. Es schmerzt mich, dass wir uns international
so blamieren und Chancen für Besseres vergeben
haben.
Ich danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)