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Kanzlerin muss bei G8 Ende der Bombardierung Libyens fordern

Rede von Gregor Gysi,

Rede zum TOP 3 der 111. Sitzung des Deutschen Bundestages: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum G 8-Gipfel am 26./27. Mai 2011 in Deauville.

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, ich habe Ihnen wie immer gerne zugehört. Zum Inhalt sage ich besser nichts. Ich habe aber eines festgestellt: Nur in unserer Altersgruppe kommt wirklich Leidenschaft hoch.

(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD)

Das war deshalb so angenehm, weil Ihre Rede, Frau Bundeskanzlerin, völlig leidenschaftslos war. Das hing übrigens auch mit dem Inhalt zusammen.

Das Problem beim G-8-Gipfel besteht ja schon darin, dass Sie dort wesentliche Entscheidungen für die ganze Erde treffen wollen. Ich frage mich immer: Mit welcher Legitimation?

(Beifall bei der LINKEN)

Wer hat eigentlich acht Regierungschefs und Präsidenten berufen, Entscheidungen für die ganze Erde zu treffen? Sie lassen die Schwellen- und Entwicklungsländer aus. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Mit welchen Themen wollen Sie sich beschäftigen? Mit der Lage der Weltwirtschaft und mit den demokratischen Bewegungen in Tunesien, in Libyen, in Ägypten, in Syrien, im Jemen und in Bahrain. Letzteres ist wirklich ein in jeder Hinsicht interessantes, aufwühlendes und spannendes Thema. Ich sage hier im Namen der Linken, dass wir all den demokratischen Bewegungen in diesen Ländern größte Sympathie und unsere Solidarität entgegenbringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat entschieden, in Libyen Krieg zu führen. Die NATO-Staaten tun das. Diese Regierung hat vernünftigerweise dafür gesorgt, dass sich Deutschland der Stimme enthalten hat. Ich hätte mir gewünscht, dass sie sogar mit Nein gestimmt hätte. Aber immerhin, sie hat sich der Stimme enthalten und damit nicht Ja gesagt und nimmt an diesem Krieg auch nicht teil.

Ich habe festgestellt, dass jetzt zwei Länder ständig den Krieg kritisieren, nämlich China und Russland, die aber vergessen, zu erwähnen, dass sie Vetomächte sind. Wenn sie es nicht gewollt hätten, wäre der Beschluss des Sicherheitsrates überhaupt nicht zustande gekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt erleben wir, dass schwerste Luftangriffe geflogen werden. Dabei werden auch unschuldige Menschen getötet. Die Kriegslogik dominiert. Der Krieg wird immer härter. Von Anfang an haben wir bei diesem Krieg wie auch bei den anderen Kriegen gesagt: Krieg löst keine Probleme; er schafft nur neue Probleme. Das wird jetzt täglich in Libyen bewiesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen uns auch damit auseinandersetzen: Die Grünen und die SPD hätten für den Krieg gestimmt. Cem Özdemir hat mir bei Hart aber fair ganz klar gesagt, er hätte im Sicherheitsrat mit Ja gestimmt.

Die fünf großen Friedensforschungsinstitute in Deutschland haben jetzt ein Friedensgutachten 2011 vorgelegt. Darin sagen sie: Es gibt eine unkalkulierbare Eskalation des Krieges. Sie fordern sofortige Verhandlungen ohne Vorbedingungen, um die Gewalt zu beenden.

Ich habe eine weitere Frage. Die Regierung in Libyen hat viele unschuldige Demonstranten erschossen. Aber das macht doch auch die Regierung in Syrien, das macht auch die Regierung im Jemen, und das macht auch die Regierung in Bahrain. Warum kommen Sie eigentlich nur bei Libyen auf die Idee, Bomben zu werfen, aber bei den anderen Ländern nicht? Wenn Bomben den Demonstranten angeblich helfen ‑ das bezweifle ich energisch; aber das scheint Ihre Auffassung zu sein; Cem Özdemir hat klar gesagt, er sei für diesen Krieg gewesen -, warum gilt das dann nicht für die anderen Länder?

Hier kommen mir doch üble Gedanken, und zwar dergestalt, dass Libyen viel Öl hat. Syrien und Jemen haben kein Öl. In Bahrain liegt ein strategisch wichtiger Militärstützpunkt der USA. Daraus erklärt sich die unterschiedliche Herangehensweise. Das ist höchst unglaubwürdig. Krieg darf nie das Mittel unserer Politik werden.

(Beifall bei der LINKEN)

In Bahrain sind saudi-arabische Truppen einmarschiert und schießen dort auf Demonstranten. Ich habe in diesem Zusammenhang eine Frage ans Fernsehen. Ich sehe Bilder aus dem Jemen, ich sehe Bilder aus Syrien, und ich sehe viele Bilder aus Libyen, aber nie Bilder aus Bahrain. Warum eigentlich sollen unsere Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer nicht sehen und erfahren, was dort passiert?

Ich sage Ihnen: Wir brauchen eine andere Politik auch in Bezug auf Nordafrika und in Bezug auf die arabische Welt. Die Unterstellung, die es früher immer gab, arabische Völker wollten keine Demokratie, ist jetzt widerlegt. Überall gibt es starke demokratische Bewegungen, die wir unterstützen müssen. Ich sage noch etwas: Wer endlich Frieden im Nahen Osten will, muss die Zweistaatenlösung unterstützen. Wir brauchen einen lebensfähigen Staat Palästina und einen sicheren Staat Israel. Wer das eine oder das andere nicht will, will auch keinen Frieden im Nahen Osten.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier hat Herr Steinmeier völlig recht, Frau Bundeskanzlerin: Es geht nicht, dass Sie sich bei dieser Frage - Sie haben hier nur ganz beiläufig die Rede Obamas erwähnt - heraushalten. Nein, wir müssen sagen: Es ist richtig, der Staat Palästina muss in den Grenzen von 1967 gegründet werden. Wenn es einen Gebietsaustausch gibt, dann muss er zwischen Israel und Palästina vereinbart werden. Wer jetzt diesen Weg nicht gehen will, der schadet nicht nur den Palästinenserinnen und den Palästinensern, der bringt auch den Israelis keinen Frieden. Deshalb brauchen wir für beide Völker diesen Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen auch unsere Rüstungsexportpolitik neu durchdenken; ich komme wieder einmal darauf zurück. Mit Genehmigung der Bundesregierung gab es Rüstungsexporte an Gaddafi im Wert von 83 Millionen Euro, an Ägypten im Wert von 144 Millionen Euro, an Bahrain im Wert von 184 Millionen Euro und an Saudi-Arabien im Wert von 441 Millionen Euro, und zwar in der Zeit von 2006 bis 2009. Der Spitzenreiter sind übrigens die Vereinigten Arabischen Emirate. Sie bekamen Rüstungsexporte im Wert von 846 Millionen Euro.

Ich sage es noch einmal ganz klar: Die libysche Armee hat gegen Demonstranten aus dem eigenen Volk auch mit deutschen Waffen gekämpft. Die saudische Armee kämpft mit deutschen Waffen in Bahrain gegen Demonstrantinnen und Demonstranten.

Wir haben jetzt einen Antrag eingebracht, die Rüstungsexporte in diese Länder zu verbieten. Ich bin sehr gespannt, wie Ihre Fraktionen darüber entscheiden. Wir werden darüber namentlich abstimmen lassen, weil mich interessiert, ob wir immer noch keine Schlussfolgerungen aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen haben und tatsächlich noch Geschäfte mit Krieg machen wollen, anstatt endlich damit aufzuhören.

(Beifall bei der LINKEN - Manfred Grund (CDU/CSU): Dummes Zeug!)

Nun wollen Sie weiter über die Lage der Weltwirtschaft sprechen. Das ist übrigens ohne China sehr schwer; ich weiß gar nicht, wie Sie das machen wollen. Außerdem gehören auch Länder wie Brasilien und Indien dazu; aber das lasse ich einmal weg. Es gibt zwei Themen, die Sie erörtern wollen, nämlich zum einen die weltweiten Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen und zum anderen die gigantische öffentliche Verschuldung von Staaten auch infolge der Finanz- und Bankenkrise. Da sind wir wieder beim Thema Griechenland.

Griechenland ist am Rande der Zahlungsunfähigkeit, kurzum am Rande der Pleite. Nun hatten Sie doch lauter Maßnahmen beschlossen und haben gesagt, sie seien alle so genial und damit seien alle Probleme gelöst. Nun sind die Probleme aber nur verschärft worden. Wann nehmen Sie das denn einmal zur Kenntnis und korrigieren diese Politik?

Was wären denn die alternativen Wege, die wir diesbezüglich gehen könnten? Ich halte nichts davon, dass Sie immer wieder versuchen, Griechenland ‑ genauso wie Spanien, Portugal, Irland und andere Länder ‑ unter Druck zu setzen, indem Sie sagen: Es muss Sozialabbau betrieben werden; die Löhne müssen gesenkt werden; das ganze öffentliche Eigentum muss verkauft werden. Ich glaube, dass das nicht geht. Ich glaube auch, dass man einen Staat so gar nicht sanieren kann; denn Sie sorgen damit dafür, dass die Steuereinnahmen ständig zurückgehen. Das heißt, Griechenland wird dadurch nur noch ‑ wenn es eine Steigerung von „pleite“ gäbe ‑ „pleiter“.

(Zuruf von der FDP: Nein!)

Genau diesen falschen Weg gehen Sie bei all diesen Staaten.

(Zuruf von der FDP: Nochmals nein!)

‑ Ja, was denn? Bei Griechenland ist es ganz einfach: Die sollen jetzt die Flughäfen, die Seehäfen, die Telefongesellschaften, die Post verkaufen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Da können Sie mal Ihre veruntreuten Gelder anlegen!)

Wenn man das alles privatisiert, dann gehört der öffentlichen Hand gar nichts mehr. Glauben Sie ernsthaft, dadurch die Probleme Griechenlands lösen zu können? Ganz im Gegenteil: Sie verschärfen damit die Probleme.

(Beifall bei der LINKEN)

Es kommt aber etwas hinzu: Weder die Bevölkerung Griechenlands noch die Bevölkerung Spaniens ist bereit, sich das bieten zu lassen. Werfen Sie doch einmal einen Blick nach Spanien! Wer von Ihnen will mir eigentlich sagen, was dabei herauskommt? Wer von Ihnen kann überhaupt einschätzen, welche gesellschaftspolitischen Entwicklungen dort stattfinden? Wenn diese Länder aber in immer tiefere Krisen geraten, dann doch auch Deutschland. Wir müssen endlich einen anderen Weg für Europa und für unser Land finden; das will ich Ihnen gerne sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Weg ist klar. Sie sagen: Alles privatisieren, Löhne runter, Renten runter, Sozialleistungen runter! Sie meinen, dadurch würde Griechenland gesund werden. Was Sie erzählen, ist albernes Zeug; das Gegenteil ist richtig. Wir müssen folgende Wege gehen:

Erstens. Es fängt damit an, dass wir einen riesigen Exportüberschuss auch im Verhältnis zu Griechenland haben; wir sind Vizeweltmeister beim Export. Warum sind wir Vizeweltmeister? Ich kann es Ihnen sagen: Weil nur in Deutschland die Reallöhne in den letzten zehn Jahren um 4,5 Prozent gesenkt worden sind, weil nur in Deutschland die Realrenten in den letzten zehn Jahren um 8,5 Prozent gesenkt worden sind, weil hier so viel privatisiert worden ist. Dadurch sind wir im Angebot billig geworden. Das aber hat Griechenland mit ruiniert; denn es kann sich nicht mehr mit der Abwertung seiner Währung wehren, weil wir gemeinsam mit Griechenland den Euro haben. Wir müssen einmal begreifen, dass wir einen Binnenmarkt mit einer Binnenwährung haben. Da muss man anders miteinander umgehen, als Sie das getan haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Wir brauchen einen Marshallplan. Ich sage Ihnen einmal, was die EU hatte: Sie hatte einen Sozial- und Strukturfonds für ärmere Regionen. Darüber bekommen auch heute noch die ostdeutschen Bundesländer, Berlin und Bremen Geld; aber dieser Fonds läuft im Jahre 2013 aus. Frau Bundeskanzlerin, wo bleibt denn Ihre Initiative, um klarzustellen, dass wir in der Europäischen Union wieder einen Solidaritätsfonds benötigen, und zwar einen Fonds, der noch größer ist und auch anderen Ländern helfen kann. Im Übrigen sind auch die ostdeutschen Länder, Berlin und Bremen nach wie vor darauf angewiesen. Es gibt aber keine Initiative dazu; da wird einfach dichtgemacht.

Hier kann ich einen zweiten Schritt nennen. Die Europäische Zentralbank darf Kredite nur an Privatbanken vergeben, nicht an Staaten. Sie müssen sich doch einmal überlegen, welch ein Gipfel der Unverschämtheit da stattfindet: Die Deutsche Bank erhält von der Europäischen Zentralbank einen Kredit für 1,25 Prozent Zinsen, kauft mit diesem Geld für die Dauer von zehn Jahren Staatsanleihen bei Griechenland und erhält dann 17 Prozent Zinsen. Das ist ein Reibach, der von der Europäischen Union organisiert und von der Bundesregierung genehmigt wird. Warum sagen Sie denn nicht: „Gut, dann ändern wir den Vertrag; die EZB ‑ meinetwegen gründet man auch eine andere Bank ‑ kann Direktkredite zu günstigen Zinsen an Griechenland vergeben“? Das wäre eine Hilfe für das Land und nicht der Weg, den Sie hier beschreiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Gysi.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Ich bin gleich fertig.

Ich sage nur noch: Im Übrigen gibt es in Griechenland auch Milliardäre und Millionäre. Sie werden steuerlich so herangezogen wie in Deutschland, nämlich so gut wie gar nicht. Auch das ist ein falscher Weg. Sie denken immer nur an die Beschäftigten. Die sollen zur Kasse gebeten werden.

Sie selber wollen die Schulden, die in der Finanzkrise angehäuft wurden, abbauen. Dazu wollten Sie eine Finanztransaktionsteuer einführen. Die hat Herr Schäuble aber gerade beerdigt. Dann haben Sie noch gesagt: Die Brennelementesteuer ist wichtig.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt ist es aber gut hier!)

Die haben Sie aber auch beerdigt. Ich sage Ihnen, wer das Ganze bezahlt: die Arbeitslosen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Die Arbeitslosen? Also Gregor!)

Mit dieser Politik kommen Sie nicht durch. Das werden Sie auch bei den nächsten Wahlen erleben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt ist aber gut! ‑ Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

‑ Natürlich. Sie haben das Elterngeld gestrichen. Sie haben Mittel für weitere Maßnahmen gestrichen. Sie haben in gigantischem Maße gekürzt.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Lieber Herr Kollege Gysi.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Die Kollegen reizen mich, Herr Präsident, immer wieder zu erwidern.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das ist ja wahr.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Aber ich verstehe Sie, Herr Präsident. Sie wollen auf die Zeit achten.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Wenn die wechselseitige Begeisterung zwischen Ihnen und Volker Kauder nur von mir zu stoppen ist, dann muss ich das jetzt halt tun. Es ist vorbei.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Sie haben recht, Herr Präsident, aber Sie müssen zugeben: Seine Begeisterung für mich nimmt ständig zu.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)